Umwelt- und Klimaschutz, faire Löhne entlang der Lieferkette, die Wahrung der Menschenrechte in den Produktionsländern: Ökologische und soziale Kriterien spielen bei den Entscheidungen vieler Geschäftsleute und Geldgeber zwar bereits eine Rolle. Doch an den Finanzmärkten hat das Thema noch keine große Bedeutung. Ein Beispiel: So beträgt das Volumen der Assets under Management, das sich derzeit in Nachhaltigkeitsindizes der Deutschen Börse befindet, gerade einmal rund 12,5 Millionen Euro.
Wie kann man eine nachhaltige Entwicklung in der Finanzwirtschaft vorantreiben? Die Deutsche Börse AG und der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) haben hierzu eine strategische Zusammenarbeit beschlossen. Diskutiert und weitergedacht wird ab sofort im Hub for Sustainable Finance (H4SF), in dem vor allem der Dialog zwischen Wirtschaft, Finanzmarkt und gesellschaftlichen Akteuren stattfinden soll.
„Gerade in Deutschland wurde die Rolle des Kapitalmarktes aus Nachhaltigkeitsperspektive noch nicht genügend beachtet“, sagt RNE-Ratsmitglied Alexander Bassen, Professor für Kapitalmärkte und Unternehmensführung an der Universität Hamburg und Mitglied im H4SF-Steuerungskreis. Für ihn haben vor allem die Akteure dieser Märkte einen wichtigen Hebel in der Hand.
Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Steuerungskreises des Hub for Sustainable Finance (H4SF) hat Bassen nun zehn Thesen für eine nachhaltige Finanzwirtschaft erarbeitet, die der Steuerungskreis am 27. September in Berlin vorstellte. Grundlage für das Papier sind der Interimsbericht der High Level Expert Group on Sustainable Finance der EU-Kommission, die PRI Roadmap für Deutschland, das living document Sustainable Finance des Rates für Nachhaltige Entwicklung, welches der Rat seit März fortschreibt, die Zielsetzung der Accelerating Sustainable Finance Initiative der Deutschen Börse und die Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures des Finanzstabilitätsrates.
Bundesregierung soll nachhaltige Investments fördern und fordern
Vor allem die Politik sehen die Experten in der Pflicht. Ihr komme eine impulssetzende Rolle als Gestalterin zu, die sie bislang noch nicht ausreichend wahrnehme, heißt es gleich zu Beginn des Thesenpapiers. Der Finanzsektor und die ihm zukommende Verantwortung seien im Rahmen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie unterrepräsentiert. Vice versa fehle auf Seiten der Finanzmarktakteure eine branchenspezifische Erörterung ihrer Beiträge, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Bassen fordert die künftige Bundesregierung auf, das Thema in der Nachhaltigkeitsstrategie zu verankern. Damit könne die Interaktion zwischen Kapitalmarkt und Politik gestärkt werden, so das RNE-Ratsmitglied.
Der politische Rahmen für eine nachhaltigere Finanzwirtschaft spielt eine zentrale Rolle. Dies betont auch Kristina Jeromin, Head of Group Sustainability bei der Deutschen Börse. „Nachhaltiges Finanzieren rückt zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Aber wenn wir uns die Realität anschauen, dann sind solche Investitionen leider noch nicht an der Tagesordnung“, sagt Jeromin. Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen seien zwar wertvoll und gut. „Aber der Markt muss sie auch nutzen.“
Im Hub for Sustainable Finance sollen konkrete Instrumente entwickelt, aber auch Aspekte der Regulierung sowie die Verzahnung von Politik und Wirtschaft beleuchtet und vorangetrieben werden. „Das grundsätzliche Verständnis über Nachhaltigkeitsaspekte als wichtige Indikatoren für Risiken, aber auch als mögliche Chancen für Geschäftsmodelle muss sich ändern“, sagt Jeromin. „Diese sind keine Zugangssperre zum Markt, sondern sollten selbstverständlicher Teil von Unternehmertum und Investitionsstrategien werden.“
Nachhaltigkeitskriterien kein Hemmnis für Investitionen
Den Vorstoß und die Handlungsempfehlungen hält auch Steuerungskreismitglied Michael Schmidt für notwendig. Der Finanzexperte ist Geschäftsführer der Deka Investment und Mitglied der High-Level Expert Group on Sustainable Finance der EU-Kommission. Vor allem im EU-Vergleich hinke Deutschland beim Thema nachhaltige Finanzwirtschaft hinterher, sagt Schmidt. Während Staaten wie Großbritannien oder Frankreich sich mit zahlreichen Entsandten an der Expertengruppe der EU-Kommission beteiligten, ist Schmidt der einzige Vertreter aus Deutschland. „Zu viele Akteure in den Finanzmärkten sehen Nachhaltigkeitskriterien immer noch als Einschränkung ihrer Zielsetzungen – vollkommen zu Unrecht“, sagt Schmidt. Vielmehr sei es lohnend und gehöre zur treuhänderischen Verantwortung, Nachhaltigkeit im sogenannten magischen Dreieck von Rendite, Risiko und Liquidität explizit und systematisch zu berücksichtigen.
Mit den Sustainable Development Goals (SDGs) hat sich die Weltgemeinschaft dazu verpflichtet, Armut zu bekämpfen, die Umwelt zu schützen und Nachhaltigkeitsaspekte in allen Lebensbereichen und Entscheidungen in den Fokus zu rücken. Für Dustin Neuneyer, Head of Continental Europe von PRI Principles for Responsible Investment, geht es vor allem um die Frage, wie der Finanzsektor die UN-Nachhaltigkeitsziele umsetzen kann – auch in Deutschland.
In den vergangenen elf Jahren haben mehr als 1.800 Unterstützer die PRI-Initiative unterzeichnet, ein ursprünglich von den Vereinten Nationen initiiertes Projekt. Damit ist rund die Hälfte der weltweit verfügbaren Gelder abgedeckt. Dies bedeutet aber nicht zugleich, dass die Hälfte aller Investitionen nach Nachhaltigkeitskriterien erfolgt. Auch Neuneyer bestätigt, Deutschland sei bei der nachhaltigen Finanzwirtschaft noch „unterentwickelt“. Das liege auch an der deutschen Gründlichkeit. „Man will 100prozentige Lösungen“, sagt Neuneyer. „Doch die Dinge sind komplex und sie erfordern den Mut, anzufangen und Teillösungen zu akzeptieren.“
Debatte über Agenda für nachhaltige Finanzwirtschaft vorantreiben
An Beispielen, die zeigen, wie dringend der Einsatz von Kapitalgebern und Unternehmen gefordert ist, um nachhaltiges Wirtschaften voranzutreiben, mangelt es nicht. Der Diesel-Skandal um gefälschte Abgaswerte zählt dazu oder der Brand auf der Bohrplattform Deep Water Horizon 2010. Die dadurch ausgelöste Ölpest hatte verheerende Folgen für das Ökosystem des Meeres.
Wie geht es weiter mit den zehn Thesen für eine nachhaltige Finanzwirtschaft? Welche Weichen müssen gestellt werden? Am 23. Oktober wollen die Mitglieder des Hub for Sustainable Finance ihre Ideen weiter diskutieren.
Bei dem „Sustainable Finance Gipfel Deutschland“ in Frankfurt kommen Politikvertreter/-innen, Wirtschafts- und Finanzexpert/-innen, Investor/-innen und Wissenschaftler/-innen zusammen. Das Bundesfinanzministerium hat die Schirmherrschaft für die Veranstaltung übernommen. Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir kommt, um ein Grußwort zu halten. Ziel der Veranstaltung ist es, die wichtigsten Aspekte für eine Agenda nachhaltiger Finanzwirtschaft in Deutschland aufzustellen und die Politik darauf aufmerksam zu machen.
Aufgrund des großen Interesses ist die Veranstaltung bereits ausgebucht. Für alle Interessierten steht am 23.10.17 für die gesamte Dauer der Veranstaltung von 9 bis 18 Uhr ein Livestream auf www.h4sf.de zur Verfügung.