„Ich habe als Entwicklungsministerin im Kabinett von Gerhard Schröder unter rot-grüner Regierungszeit im Jahr 2001 den Einsatz in Afghanistan gebilligt.
Für mich ging es immer darum, der Entrechtung der Frauen durch die Taliban ein Ende zu setzen, Frauen zu stärken und ihren Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung zu verbessern. Denn beides war ihnen durch die Taliban massiv verwehrt worden. An diesen Zielen habe ich auch unsere Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan ausgerichtet, bis ich im Jahr 2009 aus dem Amt der Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ausschied.
Ich war im Dezember 2001 in Kabul, an dem Tag, an dem die Taliban ihre endgültige Niederlage einräumen mussten. Und alle Frauen, die ich damals traf, haben mir ihre große Hoffnung ausgedrückt, dass wir sie nicht allein lassen! Und das habe ich auch versprochen. Besonders berührt hat mich bei dieser ersten Reise (der noch viele folgen sollten) das Treffen mit der noch gar nicht im Amt befindlichen Gesundheitsministerin, die mich umarmte und sagte: „Wir haben so auf Euch gewartet!“
Und alle, die meinen, unser Engagement in Afghanistan habe für die Menschen dort nichts bewirkt, seien daran erinnert, dass Mädchen zur Schule gehen konnten, und zwar in allen Regionen des Landes, was ihnen vor 2001 verboten war und auch die Müttersterblichkeit konnte drastisch gesenkt werden. Denn die Taliban hatten den Frauen während ihrer Gewaltherrschaft jeden Zugang zur Gesundheitsversorgung verwehrt. Und dass eine neue Generation von Mädchen und Frauen ein eigenes Selbstbewusstsein entwickeln konnten, ist die Errungenschaft der vergangenen 20 Jahre.
Von Anfang an gab es zwei unterschiedliche militärische Strategien; die der USA im Rahmen der Terrorismusbekämpfung „kill and destroy“ und die der Europäer, die eine Stabilisierungsstrategie für das Land verfolgten. Dass damit Konflikte, auch im Bewusstsein der Afghaninnen und Afghanen, verbunden waren, war mit Händen zu greifen. Und als dann später Barack Obama eine neue Strategie, die der der Europäer näher war, versuchte, war es schon zu spät.
In jedem Fall ist meines Erachtens eine unabhängige, auch internationale Untersuchung des Einsatzes notwendig. Natürlich wäre die fortdauernde und umfangreiche Präsenz ausländischer Soldaten auf Dauer nicht sinnvoll gewesen. Aber das aktuelle Grundversagen lag darin, dass zuerst Donald Trump gegen Ende seiner Regierungszeit und danach Joe Biden einen faktisch bedingungslosen Abzug der US-Truppen ankündigten. Zu Recht hat der frühere US-General David Petraeus, der von 2010 bis 2011 Kommandierender der ISAF Truppen in Afghanistan war, die Art der Rückzugspläne der US-Regierung kritisiert. Die NATO-Mitgliedsstaaten folgten der Linie der US-Regierung, ohne öffentliche Kritik. Das „Ergebnis“: Die Taliban mussten mit niemandem mehr „verhandeln“.
Vor allem aber: Die Menschen, die auf uns hofften und sich auf unsere Unterstützung verließen, vor allem die vielen Frauen und Menschenrechtsengagierten, fühlen sich zurecht im Stich gelassen.
Das Mindeste, das jetzt getan werden muss, ist, diejenigen, die sich für unsere Bundeswehr und Entwicklungszusammenarbeit engagiert haben, bei uns aufzunehmen und ihnen eine Perspektive zu geben.“