Frau Schultheis, Ihre App goFLUX ist eine Mitfahr-App, die sich auf Pendler*innen spezialisiert hat, wieso gerade diese Zielgruppe?
Lisa Schultheis: Während seiner Uni-Zeit beobachtete unser Gründer Wolfram Uerlich in Köln eine immense Ineffizienz: Überfüllte Busse und daneben zig Autos, die immer nur mit einer Person besetzt waren. Gleichzeitig also eine enorme Ressourcenverschwendung. Wolfram kannte Mitfahrgelegenheiten für die Langstrecke und dachte, mit dem richtigen Ansatz muss das doch auch für den Arbeitsweg funktionieren – nicht als „Gelegenheit“, sondern im täglichen Pendelverkehr, daher unser Fokus auf Pendler*innen. So entsteht großes Potenzial, den Verkehr effizienter und nachhaltiger zu machen.
Wieso ist goFLUX da effizienter als andere?
Wir haben zum Beispiel gemerkt, dass es viel sinnvoller ist, den PKW und den ÖPNV nicht getrennt zu denken. Vor allem wenn es um die Mobilitätswende geht. Über unsere App stellen wir eine Verbindung zwischen diesen beiden Fortbewegungsmitteln her. Das heißt, wir bieten den Menschen die Möglichkeit, ihre Fahrt zur Arbeit zu organisieren, aber eben nicht nur per Mitfahrt im PKW, sondern auch in Kombination mit dem ÖPNV. So werden suburbane und ländliche Räume auch viel besser an Städte angebunden.
Wie funktioniert das genau aus Nutzer*innen-Perspektive?
Unsere App ist technologisch fortschrittlich, sie arbeitet mit künstlicher Intelligenz. Das heißt, es laufen viele Prozesse im Hintergrund, verschiedene Algorithmen, die den Nutzenden fast alles abnehmen. Man gibt nur Start und Ziel ein, das Datum und die Uhrzeit. Dann schlägt die App passende Matches vor. Das funktioniert in beide Richtungen, sodass Fahrende als auch Mitfahrende Angebote bekommen und sich gegenseitig kontaktieren können.
Muss man dann jeden Tag mit der gleichen Person zur Arbeit fahren?
Nein, man kann sich eine Pendel-Routine einstellen und Homeoffice-Tage berücksichtigen, kann diese Einstellungen aber auch jederzeit anpassen. Man muss also nicht täglich Fahrten anbieten oder suchen, sondern kann bei Bedarf mit einem Klick die ganze Woche planen. Und wenn ich mit einer Person zur Arbeit gefahren bin muss mich nicht zwangsläufig diese Person wieder mit nach Hause nehmen. In der Regel haben unsere Nutzenden genug Auswahl, so zwei bis drei Carpools – also Fahrgemeinschaften – mit denen sie regelmäßig unterwegs sind.
Und wie funktioniert das in Kombination mit öffentlichen Verkehrsmitteln?
Die Integration in den ÖPNV findet z.B. in Bonn so statt, dass wir u. a. die Fahrplandaten in unsere App integriert haben. Sie kennen das von Google Maps: Menschen geben ein, dass sie von A nach B wollen, dann müssen sie auswählen, ob per ÖPNV, Auto, mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Und dann wird die beste Route angezeigt. Genau das macht goFLUX. Für Menschen, die intermodal reisen möchten – eine Kombination aus Bus, Bahn und Fahrgemeinschaft – zeigt unsere App exakt den Weg an und wann sie wo einsteigen müssen. Außerdem erinnert die App, wann man losgehen muss, weil zum Beispiel in zehn Minuten die fahrende Person am Treffpunkt erscheint.
Woher wissen Menschen, wer da bei ihnen mitfährt und was bringt ihnen das?
Wer Fahrten anbietet spart bis zu 150 Euro Spritkosten im Monat. Für Mitfahrende ist es meist der bessere Pendelweg und sie sparen Zeit. Man kann am persönlichen Profil und an den Bewertungen erkennen, wer da einsteigen wird. Kontakt ist auch schon vor der Fahrt per Chat möglich. Das war auch ein Learning. Wir dachten erst, wir brauchen keinen Chat und unsere Nutzenden kontaktieren sich auf anderem Weg. Aber da müsste man eine App schließen, eine andere App öffnen, Nummer speichern – total kompliziert. Also haben wir einen In-App-Chat entwickelt. Sobald eine Anfrage kommt, kann man chatten. Und in 95 Prozent der Fälle machen die Menschen das auch, weil es ein vertrauensbildender Aspekt ist und man Bescheid sagen kann, falls man erst einige Minuten später am vorgegebenen Treffpunkt sein wird.
Der Treffpunkt wird auch von der App vorgegeben?
Genau. Unserer Ansicht nach funktionieren viele andere Apps im Alltag nicht, weil der Aufwand, eine Fahrt und den Treffpunkt zu organisieren, viel zu viel Zeit kostet. Mit goFLUX nehmen wir den Pendelnden diese Arbeit ab und bieten einen Treffpunkt an einer verkehrssicheren Stelle an. Man kann diesen Treffpunkt aber natürlich auch anpassen.
Welche Regionen deckt die App ab?
Unsere App kann man als Endnutzer*in bundesweit kostenfrei herunterladen. Aber – und das ist sehr wichtig – damit Angebote und Nachfragen von Fahrgemeinschaften funktionieren, braucht es eine kritische Masse. Wir gehen von Region zu Region vor und suchen uns ÖPNV- und Unternehmenspartner, um unser Carpooling-Netz aufzubauen. Wir glauben, ein Großteil der Mitfahr-Projekte ist zuletzt an dieser fehlenden kritischen Masse gescheitert. Anfangs waren wir ja auch etwas auf einem Irrweg.
Wie kommt man zu einer kritischen Masse?
Man braucht eine gute Technologie, den richtigen Ansatz und Expertise, um ein funktionierendes Netz aus Fahrgemeinschaften aufzubauen – und eben die Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene. Zwei Aspekte sind also wichtig: Die Integration unserer Mitfahr-App, als Netzergänzung im ÖPNV – so wie in Bonn, wo wir mit den Stadtwerken Bonn kooperieren. Und parallel die Einbindung von Unternehmen in dieser Region, die unsere App auch über eine Lizenzgebühr für ihre Mitarbeiter*innen erwerben können.
Was haben die Unternehmen davon?
Sobald Mitarbeitende goFLUX-Fahrgemeinschaften bilden, sparen sie gemeinsam CO2-Emissionen ein. Das können Unternehmen in ihrem Nachhaltigkeitsbericht angeben – der wird ab 2024 auch für kleinere Unternehmen verpflichtend. Außerdem gibt es an Unternehmens-Standorten oft Parkplatznot, was sich durch Fahrgemeinschaften ebenfalls verbessert. Auch schlecht erreichbare Standorte werden besser angebunden.
Wo steht goFLUX heute und was bringt die Zukunft?
Dieses Jahr haben wir im Rheinland viel geschafft. Bonn, Köln, Aachen, Jülich und Mönchengladbach, sind schon gut über Fahrgemeinschaften vernetzt. Jetzt wollen wir aus NRW herauswachsen und weitere Bundesländer bedienen. In Bonn binden wir auch das Deutschlandticket ein. Das heißt, Mitfahrende können ohne Zusatzkosten, neben Bus und Bahn, auch in Fahrgemeinschaften unterwegs sein, so gewinnt der ÖPNV auch mehr Fahrgäste.
goFLUX hilft als Mitfahr-App Unternehmen und Kommunen, ihre verkehrsbedingten CO₂-Emissionen zu reduzieren, indem Nutzer*innen sich über die App zu Fahrgemeinschaften verabreden können. So reduzieren sich das Verkehrsaufkommen und die Umweltbelastung. Die Idee dazu entstand 2017 und goFLUX wurde 2019 in Köln gegründet. Lisa Schultheis ist Head of Communications bei der goFLUX Mobility GmbH.
Der Wettbewerb Projekt Nachhaltigkeit
Seit fünf Jahren zeichnet Projekt Nachhaltigkeit herausragende Initiativen und Projekte des Wandels in Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kommunen aus, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen. Vergeben wird der Nachhaltigkeitspreis von den vier RENN (Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien) in Kooperation mit Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) unter dem Dach des Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit.