Die Kampagnen und Initiativen, damit Verbraucher, Industrie, Gastronomie und Handel weniger Lebensmittel wegwerfen, greifen erst langsam. Vom Acker über die Weiterverarbeitung, den Handel bis zum Teller ist ein weiter Weg. Nichtregierungsorganisationen fordern zur Abfallvermeidung politische Zielvorgaben.
Die Verbraucher in Deutschland verschwenden immer noch zu viele Lebensmittel. Eine Mehrheit der Haushalte wirft wenigstens einmal monatlich Brot, Obst oder Gemüse in den Abfalleimer, das noch nicht verdorben ist. Dies geht aus einer Studie des Instituts TNS Emnid im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hervor. “37 Prozent der Befragten schätzen sogar, dass sie mindestens einmal in der Woche Lebensmittel entsorgen”, heißt es darin.
Mit der längerfristig angelegten Kampagne „zu gut für die Tonne“ will das Ministerium eine Bewusstseinsänderung erzeugen. Denn eine vor drei Jahren veröffentlichte Studie der Universität Stuttgart hat eine gewaltige Verschwendung wertvoller Lebensmittel ans Licht gebracht.
Elf Millionen Tonnen davon landen jährlich im Müll. Nicht nur die privaten Haushalte verschwenden Nahrungsmittel. Auch die weiterverarbeitenden Betriebe, der Handel oder die Gastronomie. Zusammengenommen macht das in Deutschland umgerechnet auf die Bevölkerung fast 82 Kilogramm pro Kopf. Den größten Teil schreiben die Autoren den Privathaushalten zu.
Es gibt kaum Daten zur Wirkung
Inwieweit die Kampagne fruchtet, lässt sich noch nicht quantifizieren. Nach Angaben des BMEL wird eine neuerliche Erhebung der Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten erst im laufenden Jahr wieder vorgenommen. Doch das Thema ist zumindest in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.
So wurde die App des BMEL mit Rezepten für die Verwertung von Lebensmittelresten rund 600.000 Mal aus dem Internet heruntergeladen und ist damit das populärste Angebot der Bundesregierung. Für die Verbraucher lohnt sich der bewusstere Umgang mit dem Einkauf aus dem Supermarkt. Der Untersuchung der Stuttgarter Universität nach spart ein Vier-Personen-Haushalt 940 Euro im Jahr, wenn er so plant, dass keine Lebensmittelabfälle anfallen.
Angesichts der knappen Ressourcen soll der Nahrungsabfall weltweit verringert werden. Bis 2020 will Deutschland die Menge halbieren. Verschiedene Initiativen, an denen auch der Handel, die Gastronomie und die Industrie beteiligt sind, suchen nach Wegen der Abfallvermeidung.
Auch hier gibt es noch keine neueren Zahlen, die einen Erfolg der Bemühungen belegen könnten. Der Handel hat 2011 seinen Beitrag zur Lebensmittelverschwendung in einer Studie des Kölner Handelsforschungsinstitut EHI Retail Institute ermitteln lassen.
Filialisten arbeiten mit den Tafeln zusammen
Anhand der Daten der zehn führenden Lebensmittelfilialisten rechnete EHI die Quote der durch Beschädigung oder Verderb nicht mehr verkäuflichen Produkte hoch. Im Durchschnitt gingen 1,1 Prozent des Warenwertes im Handel verloren. Dieser Wert kommt einer Verschwendung von jährlich 310.000 Tonnen Nahrung gleich. In den Backshops mit 6,5 Prozent und bei Obst und Gemüse mit über fünf Prozent sind die Verluste besonders hoch.
Die Unternehmen wollen die Abfallmenge durch eine bessere Warenbedarfsplanung verringern. „Je besser der vorhandene Warenbestand den Kundenwünschen entspricht, desto geringer sind die potenziellen Verluste“, erläutert der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels. Es gehe vor allem um eine optimale Sortimentzusammensetzung, verbesserte Prognosen der Nachfrage und eine engere Zusammenarbeit mit den Lieferanten.
Zudem setzen die Filialisten verstärkt auf Sonderaktionen oder stark reduzierte Preise, um beispielsweise Waren noch vor dem Ende der Mindesthaltbarkeit abzusetzen. „Circa 80 bis 90 Prozent aller Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte kooperieren mit Organisationen wie den Tafeln“, erklärt der Verband einen weiteren Weg der Abfallvermeidung. Auch diese Zusammenarbeit lässt sich nicht quantifizieren.
Edeka setzt auf Portionierung
Auf diese Strategien setzt auch der Edeka-Verbund, die größte Lebensmittelkette in Deutschland. „Für Edeka ist es von zentraler Bedeutung, dass die Hauptursachen für Lebensmittelverschwendung erkannt und in ihrer Entstehung angegangen werden“, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Konkret würden die Warenwirtschaftssysteme im Verbund optimiert, um das Angebot in den Regalen immer exakter an die Nachfrage der Kunden anzupassen.
Die meisten Abfälle entstehen laut Edeka bei den Verbrauchern. Deshalb biete das Unternehmen an den Bedientheken frische Waren an, die nach den Bedürfnissen der Verbraucher portioniert werden. Sowohl Familien, als auch Rentner oder Alleinstehende finden deshalb ein Angebot im Supermarkt. Auch Sonderaktionen und die Zusammenarbeit mit den Tafeln vermeiden Abfälle.
Unter dem Motto „Keiner ist perfekt“ bietet Edeka zudem optisch nicht ansprechende, aber qualitativ einwandfreies Obst und Gemüse in einer Testaktion an. „Die Kundenresonanz war in den ausgewählten Testmärkten überwiegend positiv“, erklärt Sprecher Johannes Götting.
Ein Liter Abfall ist zwei Euro wert
Mit ökonomischen Anreizen will die 2012 auch in Deutschland eingerichtete Plattform United Against Waste verzehrfähige Nahrungsmittel vor der Tonne bewahren. In dem Verein haben sich Verbände der Lebensmittelindustrie und Gastronomie sowie Unternehmen der Ernährungsbranche zusammengefunden. Gegründet wurde die Plattform einst vom Industrieriesen Unilever. „Wir wollten unsere Branche zunächst sensibilisieren“, sagt Geschäftsführer Torsten von Bostel, „das haben wir erreicht.“
Nun bietet der Verein Unternehmen, zum Beispiel Gastronomiebetrieben, ein Analysetool an, mit dem die Verschwendung von Lebensmitteln anhand einer vierwöchigen Messphase ermittelt wird. Allein der damit verbundene bewusstere Umgang mit den Lebensmitteln erzeuge Einsparungen, berichtet Borstel, „die meisten sparen schon bei der Analyse 30 Prozent der Abfälle ein, weil sie plötzlich bewusst mit den Rohstoffen umgehen.“
Der Verein hebt den finanziellen Anreiz dafür hervor. Ein Liter Abfall hat demnach einen Wert von zwei Euro. Bei einem analysierten Krankenhaus kam beispielsweise rasch das Potenzial für eine jährliche Kostenentlastung in Höhe von 38.000 Euro zusammen.
„Geniesst uns“ verlangt staatliche Eingriffe
Für eine weitere Kampagne haben sich Nichtregierungsorganisationen wie der WWF und die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zusammengetan. Unter dem Motto „genießt uns“ setzen sie sich für stärkere staatliche Eingriffe bei Lebensmittelwirtschaft, Verbänden und Verbraucherorganisationen ein, damit das deutsche Ziel, die Abfallmenge bis zum Ende des Jahrzehnts zu halbieren, auch erreicht wird.
In einem Positionspapier fordert die Initiative verbindlich vorgegebene Zielmarken zur Einsparung von Abfällen, eine stärkere wissenschaftliche Erfassung des Problems und eine Reform der Kennzeichnung mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum. „Ohne staatliche Regulierung werden wir in Deutschland nicht weiterkommen“, heißt es im Papier.
Die Bundesregierung setzt dagegen weiter auf Aufklärung. Lediglich bei der Abschaffung von europäischen Normen will das Landwirtschaftsministerium aktiv tätig werden. 26 der 36 Vermarktungsnormen für Lebensmittel sind bereits gestrichen worden, zum Beispiel dürfen nun auch krumme Gurken in den Geschäften angeboten werden. Für zehn Obst- und Gemüsesorten, zum
Beispiel Äpfel und Tomaten, gelten sie jedoch noch. „Das BMEL setzt sich mit Nachdruck auf europäischer Ebene für die Abschaffung dieser noch bestehenden Vermarktungsnormen ein“, teilt ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage mit.
Weiterführende Informationen
Zu gut für die Tonne – Webseite der Initiative
Studie zu Lebensmittelabfällen in Deutschland
Studie Lebensmittelverschwendung im Einzelhandel
United Against Waste