Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) will Nachhaltigkeitsrisiken künftig stärkere Aufmerksamkeit widmen. Die Aufsicht wird deswegen voraussichtlich noch im Dezember ein Merkblatt dazu veröffentlichen. Bis Ende November hatte die Aufsichtsbehörde alle Stakeholder aufgerufen, einen Entwurf des Papiers zu kommentieren. Verschiedene Beobachter halten das Papier für wegweisend für eine Wende in der Finanzindustrie. „Die BaFin holt damit das Thema Nachhaltiges Investment aus der grünen Nische heraus und stellt es mit Wucht dorthin, wo es hingehört: mitten hinein in das gesamte Finanzsystem“, schreibt Silke Stremlau, Vorstandsmitglied der Hannoverschen Kassen und Mitglied im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung, in einem Kommentar dazu.
Nach eigener Aussage will die BaFin mit dem Merkblatt den von ihr beaufsichtigten Unternehmen eine Orientierung im Umgang mit dem immer wichtiger werdenden Thema „Nachhaltigkeitsrisiken“ geben. Illustriert mit zahlreichen Beispielen und Fragen soll das Merkblatt, so die Aufsicht, ein „Kompendium von Good-Practices“ sein, das „unter Berücksichtigung des Proportionalitätsprinzips“ in den beaufsichtigten Unternehmen Anwendung finden solle, und damit die Mindestanforderungen an das Risikomanagement für Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Kapitalverwaltungsgesellschaften sinnvoll ergänze.
Nachhaltigkeitsrisiken: keine separate Risikoklasse
Insgesamt 37 Banken, Organisationen und Privatpersonen haben den Entwurf während der Konsultationsphase kommentiert, auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Frank Pierschel, Leiter der BaFin-Abteilung für nachhaltige Finanzen, hat sich positiv zu den Stellungnahmen geäußert. In einem Interview mit dem BaFin-Journal sagte er: „Alle begrüßen das Merkblatt, viele jedoch mit einem ‘Aber’.“ Das ‘Aber’ falle je nach Interessenlage sehr unterschiedlich aus: „Das kommt natürlich nicht unerwartet. Wir werten jetzt alles sorgsam aus und erstellen dann eine finale Fassung, die den Entwurf in einigen Punkten verändern wird.“
Für den RNE schreibt Yvonne Zwick, Leiterin des Büros Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK), sie begrüße den Ansatz des Merkblattes“. Sie bringt ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass das Merkblatt auf den DNK als Nachhaltigkeitsstandard und als Rahmen für die Berichterstattung zu nichtfinanziellen Aspekten der Geschäftstätigkeit verweist. Positiv hebt sie das Verständnis von Nachhaltigkeitsrisiken hervor, das die BaFin zugrunde legt: Die Aufsicht vertritt die Ansicht, dass Nachhaltigkeitsrisiken ein Teilaspekt bekannter Risikoarten sind. Eine separate Risikoart „Nachhaltigkeitsrisiken“ lehnt die Behörde derzeit ab und argumentiert dies an den verschiedenen Risikoarten durch.
Zu den Empfehlungen in der RNE-Stellungnahme zählte, die Zukunftsperspektive mitzudenken und Risikoanalysen durch geeignete Zieldimensionen zu ergänzen, sowie der Hinweis, bei der Umsetzung der Strategieverantwortung für Nachhaltigkeit im Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als „Change Agents“ zu berücksichtigen. Darüber hinaus legt der RNE der Aufsichtsbehörde ans Herz zu ergänzen, wie die im Merkblatt formulierten „Erwartungen“ an die beaufsichtigten Institute nachgehalten werden sollen. Das werde Unsicherheiten bei den Unternehmen abbauen.
Das Geschäftsmodell gravierend verändern
Auch die GLS Bank, die Bank für Kirche und Caritas (BKC) und die Hannoverschen Kassen hatten gemeinsam eine Stellungnahme zum Merkblatt-Entwurf abgegeben. Sie begrüßten den Schritt der BaFin ebenfalls und bezeichneten ihn als mutig, aber auch als längst überfällig. Wenn Nachhaltigkeitsrisiken integriert würden, so die Pensionseinrichtung und die beiden Banken, werde das das derzeitige Geschäftsmodell der Banken gravierend verändern. Sie formulierten ebenfalls konkrete Forderungen: unter anderem solle die BaFin neben den Nachhaltigkeitsrisiken auch die Chancen in den Mittelpunkt stellen, die ein Umbau in Richtung mehr Nachhaltigkeit mit sich brächte. Somit sollte die Analyse der Risiken auch immer damit einhergehen, die Möglichkeiten zu überprüfen, sein Geschäftsmodell neu auszurichten. Die Diskussion solle verstärkt darum gehen, externe Kosten zu internalisieren. Nachholbedarf sehen die drei im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken erfahrenen Finanzinstitute darin, ökologische und soziale Risiken zu verzahnen. Derzeit dominiere die Klimakrise die Debatte.
Zu den eher bremsenden Stimmen zählte unter anderem der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV): In einer ersten Stellungnahme erklärte der Verband, dass das Merkblatt juristisch keine verbindliche Regulierung für die Institute darstellt. „Dennoch ist zu befürchten“, hieß es weiter, „dass in der Prüfungs- und Verwaltungspraxis der unverbindliche Charakter einer Erwartungsdarstellung verloren gehen könnte“.
In ihrer Stellungnahme kritisierte die Deutsche Kreditwirtschaft (DK), unter Federführung des Bundesverbands deutscher Banken (BdB), dass das Merkblatt vorerst einen nationalen Alleingang markiere und die beaufsichtigten Unternehmen wie auch die laufende Diskussion auf europäischer Ebene in unnötiger Weise belaste. Der Verband warnt davor, durch die „umfassenden und sehr in die Detailtiefe gehenden Beschreibungen nachhaltiges Handeln zu einer technischen Compliance-Übung zu degradieren.
Das Thema Nachhaltigkeit steht schon länger auf der Agenda der BaFin: Anfang Mai hat die Aufsicht bereits eine Konferenz rund um „Nachhaltige Finanzwirtschaft“ in Berlin abgehalten, das Thema hatte das BaFin-Direktorium bereits Anfang 2018 als strategisch wichtig eingestuft.