Im Berliner Stadtteil Weißensee, nur wenige Schritte von der lärmenden Greifswalder Straße entfernt, liegt die Welt der alten Gewerbehöfe. Industriekultur und Innovation, eng beieinander. In einem Backstein-Gebäude mit grün verputzten Wänden befindet sich der Verein Baufachfrau Berlin e.V.. Martina Maire, Architektin, steht mit fünf Frauen zwischen 30 und 50 Jahren in der Lernwerkstatt und quetscht Magerquark in einen Plastikbehälter. Heute geht es um neue und nachhaltige Oberflächen. Maire gibt Borax dazu und rührt mit dem Schneebesen um: „Das mineralische Salz spaltet die Eiweißstoffe im Quark auf. So entsteht ein wasserunlöslicher Anstrich für den Außenbereich.“ Aus dem Plastikbehälter riecht es nach Zitronenquarkspeise.
Martina Maire war acht Jahre Projektleiterin für große denkmal-geschützte Objekte in einem Architekturbüro. Mit der Zeit kamen die Fragen: „Was verbaue ich hier eigentlich – an Ressourcen, auch an Schadstoffen? Welche Kosten verursacht das Gebäude im laufenden Betrieb – und welche Entsorgungskosten der Giftmüll später beim Abriss?“ Maire suchte nach Alternativen und lernte Lehmbauweise, bei der nur wenig Energie aufgewendet werden muss. Aber: Lehm braucht auch viel länger zum Trocknen als Gips, der als Nebenprodukt in Kohlekraftwerken entsteht und zudem noch günstiger ist. „Auf den großen Baustellen ist Zeit Geld“, sagt Maire. Alternative, schadstoffarme Baustoffe kämen eher im privaten Bereich oder in Kindergärten zur Anwendung.
Mit zwei Kolleginnen schult Maire seit 2018 arbeitssuchende und arbeitslose Berlinerinnen in den Themen „Nachhaltige + neue Baustoffe“, „Grüne Stadt“ sowie „Upcycling & Zero Waste“. Diese Qualifizierungs-Work-Shops, kurz: QLabs, sollen den Frauen praktische Grundlagen und Wissen für den Wiedereinstieg oder Neustart in einen Beruf vermitteln, der zur nachhaltigen Entwicklung und zur Erreichung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele beiträgt. Das Projekt ist vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) und den vier Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN) nun als Transformationsprojekt 2020 ausgezeichnet worden.
„Frauen entscheiden sich oft sehr bewusst für nachhaltige Themen“
An den Werkbänken stehen eine Content-Managerin, eine Schmuckdesignerin, eine Pädagogin und eine Architektin. „Ich möchte mich mit Werkzeug auskennen. Selber bauen“, sagt Manou Voigt. Noch etwas ist der Pädagogin wichtig: „Ich möchte Mädchen die Angst vor dem Werken nehmen.“
Ein paar Meter weiter rührt Amel Messadi eine Lasur aus Malzbier und kastanienbraunen Erdpigmenten an. Messadi hat als Architektin Entwurfs- und Ausführungsplanung in Architekturbüros gemacht, nun möchte sie mehr als nur am Computer sitzen: „Praktisch und vor allem: gemeinsam arbeiten“, darum sei sie hier. Sie überlegt, sich nach dem Lab für ein nachhaltiges Schulbauprojekt in Afrika zu bewerben.
In den zehntägigen QLabs werden Frauen im klassischen Handwerk gestärkt und bekommen Einblicke ins Digitale – etwa, wie eine CNC-Fräse funktioniert, die Werkstücke hochpräzise auch für komplexe Formen automatisch herstellt, aber auch, wie man sich in den sozialen Medien präsentieren und einen Job finden kann, der zu einem passt. Baufachfrau zählt zu den ersten Qualifizierungs- und Bildungsträgern, die den Beschluss von Bund, Kultusministerien, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit umsetzen. Diese hatten sich darauf geeinigt, das Wissen darüber künftig in jedem dualen Ausbildungsberuf zu vermitteln. Innovative nachhaltige, neue und auch traditionelle Arbeitsweisen und Technologien können gerade in Handwerk und Bauwesen zur Erreichung der Klimaziele beitragen. So würde etwa der verstärkte Einsatz von Holz im Bau zur dringend notwendigen CO2-Reduzierung in der klassischen Bauwirtschaft beitragen.
Die QLabs werden aus dem Europäischen Sozialfonds und vom Berliner Senat finanziert.100 Frauen haben in drei Jahren die QLabs erfolgreich absolviert, beworben hatten sich noch viel mehr. Martina Maire sagt: „Frauen entscheiden sich oft sehr bewusst für nachhaltige Themen“, Handeln müsse für sie Sinn machen. Nun sind die Baufachfrauen gespannt, wo die Absolventinnen ihre Fertigkeiten und das Wissen für eine nachhaltige Entwicklung einbringen.
Dieser Text ist eine aktualisierte Fassung des von Katja Tamchina verfassten Textes „Bauen lernen und die Welt verändern“, der zuerst in der DB MOBIL – das Magazin der Deutschen Bahn, Ausgabe November 2020, erschienen ist.