Bauwende unterwegs: Innovation durch Reduktion

Ein Ort wird zur Keimzelle für das Thema „Einfach Bauen“. Im oberbayerischen Bad Aibling zeigen die Low-Tech-Forschungshäuser, dass weniger mehr sein kann – auch und gerade im Bausektor. Die Reihe „Bauwende unterwegs“ machte hier Ende Juli Station.

Von außen lässt sich zunächst nichts Außergewöhnliches erkennen. Drei gleiche Häuser nebeneinander – und das soll zukunftsweisend sein? Ist es. Denn auf dem Gelände der B&O-Gruppe, einem Vorreiter im Bereich des ökologischen Wohnungsbaus, wurden die Gebäude als Forschungshäuser errichtet. Die simple und doch zukunftsweisende Idee von Prof. Florian Nagler von der TU München und Dr. Ernst Böhm, Gründungsgesellschafter der B&O-Gruppe: Drei gleiche Häuser, mit einem zentralen Unterschied – den jeweils verwendeten Materialien. Die monolithischen Wandaufbauten aus Holz, Ziegeln und Beton sorgen für eine energieeffiziente Bauweise und eine Rückbesinnung auf altbewährte Konstruktionsformen. Beim Holzbau kam eine Art dreilagiges Brettsperrholz zur Ausführung. Im Betonhaus wurde der Dämmbeton unbewehrt ausgeführt. Das Mauerwerkshaus wurde aus ungefüllten Hochlochziegeln errichtet.

Nach dem Bau der Gebäude wurde allerdings nicht Halt gemacht. Heute wird in den Forschungshäusern gewohnt und das Verhalten der verwendeten Materialien erforscht. Aber was bedeutet „einfach“ bauen eigentlich? Geht es lediglich um die Verwendung möglichst weniger Materialien? Nein, zeigt das Beispiel aus Bad Aibling.

Hohe Komplexität überfordert Planung, Bauherren und Nutzer*innen

Schließlich steigt die Komplexität der Konstruktionen und Gebäudetechnik seit Jahrzehnten stetig. Auch Normen und Baugesetze werden in Deutschland immer unüberblickbarer. Die Folge der hohen Anforderungen ist eine hohe Fehlerquote bei Planung und Ausführung, Bauherren und Nutzer*innen werden schnell überfordert. Die Idee des „Einfach Bauens“ will die Trendumkehr. Wie sinnvoll das ist, wird auch den Teilnehmenden der „Bauwende unterwegs“-Veranstaltung von DGNB und Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit schnell deutlich.

Ziel des von Nagler initiierten Projektes an der TU München ist es, die konstruktive Komplexität von Gebäuden so weit wie möglich zu reduzieren. Der Architekt wollte die drei Forschungshäuser ursprünglich mit dem Studierendenwerk realisieren. Dort gestalteten sich die Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse aber äußerst langwierig. Dann hatte Böhm Nagler angeboten, die Häuser auf dem Parkgelände kurzfristig in Bad Aibling zu realisieren.

Einfache Technik, wenige Materialien

Hier sorgen die einschichtigen Wand- und Deckenkonstruktionen, klimatisch träge Bauteile durch Speichermasse und angemessene Fensterflächen für ein angenehmes Raumklima. Der geringe Aufwand für den Betrieb durch die geringe Komplexität des Gebäudes, die handwerkliche Fügung der Bauteile und der Verzicht auf Hilfsstoffe und materialfremde Sonderbauteile tragen zur Nachhaltigkeit des Projekts bei. Eine konsequente Trennung von Gebäude und Techniksystemen sorgt für eine klare Strukturierung und unaufwändige Wartung.

Auch für Nagler ist klar, dass immer stärker gedämmte, hermetisch geschlossene Häuser, deren Innenräume dann technisch aufwändig belüftet werden müssen, ein „Irrweg“ seien. Stattdessen setzt er auf einfache technische Ausstattung wie etwa simple statische Heizkörper und Fensterfalzlüfter für den Mindestluftwechsel.

Innovation durch Reduktion

“Die Komplexität im Gebäudebau nimmt stetig zu, dient aber nicht immer den Nutzer*innen”, sagt Prof. Nagler. Das Projekt “Einfach Bauen” ist ein Beispiel dafür, wie Innovation durch Reduktion erreicht werden kann. Durch das Weglassen von allem, was sich nur begrenzt bewährt hat und wieder neue Probleme erzeugt, entstehen Gebäude, die einfach zu bedienen, energieeffizient und nachhaltig sind.

Die B&O-Gruppe hat für die Forschungshäuser „Einfach bauen” den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2022 gewonnen. Vielleicht hat die Auszeichnung dazu beigetragen, sicher hat es aber mit dem Forschergeist von Nagler und Böhm zu tun, dass in Bad Aibling weiter getüftelt wird. Der Großteil eines neuen Gebäudes aus Lehmziegeln steht bereits, ein weiteres Gebäude aus Stampflehm ist in Vorbereitung.

Zur Reihe „Bauwende unterwegs“

Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) und das vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) koordinierte Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit bieten 2023 eine neue Eventreihe an. Unter dem Titel „Bauwende unterwegs“ finden monatlich gemeinsame Veranstaltungen statt, bei denen Interessierte Vorzeigeprojekte des nachhaltigen Bauens hautnah erleben können. Darüber hinaus geht es um die regionale Vernetzung von Akteuren der Bauwende – von Architektur über Bauwirtschaft und Handwerk zu Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Mehr Informationen: www.gemeinschaftswerk-nachhaltigkeit.de