Bereits von weitem erkennt man, dass es sich beim Freiburger Rathaus um ein außergewöhnliches Gebäude handelt. Die Lärchenholzfassade aus lokalem Waldbestand, deren bewegliche Lamellen mit Photovoltaik-Modulen belegt sind, ist einzigartig und integraler Bestandteil des ganzheitlichen Energiekonzepts. Aufgrund der beachtlichen Höhe des Gebäudes braucht es eine Solarfassade, um das Ziel eines klimapositiven Gebäudes zu erreichen, erklärt Michel Sinn, Leading Consultant von Drees&Sommer. Das Stuttgarter Unternehmen war als Generalfachplaner maßgeblich am Bau beteiligt. Der Bau des neuen Rathauses zeigt, wie Klimaschutz, Innovation und Baukultur in Einklang gebracht werden können. Aus diesem Grund machte die Reihe „Bauwende unterwegs“ von Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ihren vierten Stopp in Freiburg im Breisgau.
Gesucht: Netto-Plusenergiegebäude mit Vorbildcharakter im Nachhaltigen Bauen
Doch was macht das Rathaus auf einer Fläche von gut 24.000 m² klimapositiv, und damit zu einem Netto-Plusenergiegebäude? Das Gebäude erzeugt mehr Energie als es verbraucht. Überschüssige Energie wird ins Freiburger Stadtnetz eingespeist. Für ein Verwaltungsgebäude eher ungewöhnlich wurden hier die energetischen Anforderungen des Passivhausstandards als Orientierung verwendet. Ein Standard, der für einen sehr geringen Energieverbrauch steht. Der Großteil des Wärmebedarfs stammt aus „passiven“ Energiequellen, zum Beispiel aus Abwärme. In der Regel wird dann keine klassische Gebäudeheizung mehr benötigt. Darüber hinaus werden Solar- und Geothermie zur Stromgewinnung, zum Heizen und zum Kühlen genutzt. So liegt der Primärenergiebedarf des neuen Rathauses für Heizung, Kühlung, Belüftung und Warmwassererzeugung bei 45 kWh/m² im Jahr, was nur etwa 40 Prozent des Primärenergiebedarfs eines vergleichbaren, modernen Bürogebäudes entspricht. Als der Entwurf des Rathauses 2011/2012 in einem Wettbewerb ausgeschrieben wurde, waren die 840 Mitarbeitenden der Stadtverwaltung noch auf 16 verschiedene Standorte verteilt. Ziel war es, sie an einem Ort zusammenzubringen und bessere Arbeitsbedingungen u.a. durch das Integrieren einer Kindertagesstätte in das Gebäude zu schaffen. Auch die Freiburger*innen sollten von dem Neubau profitieren, indem ein Bürgerservicezentrum als zentrale Anlaufstelle für all ihre Belange eingerichtet wurde. Das Servicezentrum im Erdgeschoss ist das Herzstück des sechsgeschossigen und voll unterkellerten Neubaus und wirkt dank seines geräumigen Grundrisses und großer Tageslichtkuppel hell, freundlich und einladend.
Jeder Quadratmeter, der nicht gebaut wird, ist nachhaltig
Flächeneffizienz war ein weiteres Ziel der Ausschreibung, Denn jeder Quadratmeter, der nicht gebaut werden müsse, sei per se nachhaltig, so Prof. Dr. Martin Haag, Baubürgermeister der Stadt Freiburg. Davon konnten sich die Teilnehmenden der „Bauwende unterwegs“ beim Rundgang durch das Gebäude überzeugen. Er führte sie in die über dem Bürgerservicezentrum liegenden Geschosse mit geschlossenen Einzel- und Zweierbüros sowie großräumigen Teambüros mit offenen Arbeitsstrukturen. Dank variabler Systemtrennwände aus Glas sind die Grundrisse der Büros flexibel und reversibel. Interaktionsbereiche im gesamten Gebäude fördern die Kommunikation. Das Gefühl von Weite setzt sich auch hier fort. Vom Treppenhaus sowie den innenliegenden Büros schaut man nunmehr von oben auf die Tageslichtkuppel. Aus dieser Perspektive sieht man auch, dass sie von zahlreichen Grünpflanzen umgeben ist.
Wie geht es weiter?
Der Entwurf von ingenhoven architects aus den Jahren 2011/2012 enthält ein Gebäudeensemble, bestehend aus drei Gebäuden, das sich in den Grünraum zwischen Eschholzpark und Universitätsklinikum integriert. In der ersten Baustufe wurde das Rathaus im Stühlinger umgesetzt. Die beiden weiteren Gebäude werden in den kommenden Jahren folgen, angepasst an die aktuellen technischen Möglichkeiten des nachhaltigen Bauens. Auch beim zweiten Gebäude wird auf Flächeneffizienz geachtet und eine Technik ähnlich wie im Rathaus verbaut. Außerdem wird eine Fahrradtiefgarage errichtet. In das dritte Gebäude wird neben den Mitarbeitenden des Rathauses das Landratsamt einziehen. Die Büroräume können flexibel genutzt werden, je nach personeller Auslastung der beiden Einrichtungen.
Drittes Gebäude berücksichtigt graue Energie
Laut Martin Haag wird im dritten Bauabschnitt ein „echtes grünes Gebäude“ realisiert, in dem auch die sogenannte graue Energie zunehmend berücksichtigt wird. In Bezug auf den Bausektor bezeichnet graue Energie die Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Gebäudes aufgewendet werden muss. Sie ist also die in Gebäuden gebündelte Energie, die für Bau, Herstellung und Transport aufgewendet wurde. Bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit von Gebäuden sollte neben dem aktuellen Energiebedarf für den Betrieb auch die in den Mauern der Gebäude gebundene graue Energie berücksichtigt werden. „Gebäude sind Rohstoffdepots“, sagt Michel Sinn. „Früher landeten die Überreste eines Abrisshauses als „Sand“ im Straßenbau. Heute denken wir immer mehr in Stoffkreisläufen und orientieren uns an dem cradle-to-cradle Prinzip“. Das Rathaus im Stühlinger in Freiburg wurde 2018 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur ausgezeichnet.
Zur Reihe „Bauwende unterwegs“
Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) und das vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) koordinierte Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit bieten 2023 eine neue Eventreihe an. Unter dem Titel „Bauwende unterwegs“ finden monatlich gemeinsame Veranstaltungen statt, bei denen Interessierte Vorzeigeprojekte des nachhaltigen Bauens hautnah erleben können. Darüber hinaus geht es um die regionale Vernetzung von Akteuren der Bauwende – von Architektur über Bauwirtschaft und Handwerk zu Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Mehr Informationen: www.gemeinschaftswerk-nachhaltigkeit.de