Deutschland muss in Sachen nachhaltige Finanzwirtschaft mehr tun und sichtbarer werden, so das Fazit vieler Rednerinnen und Redner während eines parlamentarischen Abends in Berlin. Organisiert vom Hub for Sustainable Finance (H4SF), initiiert von der Deutschen Börse und dem Rat für Nachhaltige Entwicklung trafen Finanzexperten, NGOs und Politiker zusammen, um das Thema auf der Agenda im politischen Berlin zu platzieren.
Hintergrund ist, dass die EU-Kommission im März eine Strategie für ein nachhaltiges Finanzsystem in Europa vorgelegt hat. „Das derzeitige Investitionsniveau reicht nicht aus, um ein ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaftssystem zu unterstützen“, schreibt die Kommission darin. Jährlich fehlten 180 bis 270 Milliarden Euro an Investitionen. Dem Aktionsplan vorangegangen war ein Bericht einer hochrangigen Expertengruppe für ein nachhaltiges Finanzsystem. Die Initiative fußt auf dem Weltklimavertrag von Paris, der in Artikel 2 unter anderem vorsieht, dass „die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung“.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) begrüßt in einer Stellungnahme die Initiative. „Die EU-Kommission skizziert in ihrem Aktionsplan einen Weg in den Kern des Kapitalmarktes, in den Kern unternehmerischer Prozesse und der Geschäftspraxis von Finanzmarktakteuren“, schreibt der RNE, vermisst aber gleichzeitig wichtige Elemente. Unter anderem müssten die Instrumente so gestaltet werden, dass sie auch für kleine und mittlere Unternehmen anwendbar seien. Das Politikfeld Sustainable Finance sollte darüber hinaus auch mit der neuen Berichtspflicht betrachtet werden, die seit Anfang des Jahres zu deutlich mehr Berichterstattung hinsichtlich der Integration von Nachhaltigkeit bei Finanzmarktakteuren beiträgt.
Wie steht Deutschland in Sachen Sustainable Finance da? Karsten Löffler vom Sustainable Finance Cluster Frankfurt drückte es in Berlin so aus: „Wir sind nicht diejenigen, die ganz vorn sind. Wir sehen, was an den Finanzplätzen London und Paris passiert und müssen aufpassen, dass wir mit dem Finanzplatz Frankfurt bei dem wichtigen Thema Sustainable Finance nicht abgehängt werden.“ Löffler ist außerdem Co-Head der Frankfurt School – UNEP Collaborating Centre for Climate & Sustainable Energy Finance. Zum Sustainable Finance Cluster Frankfurt haben sich jüngst die Accelerating Sustainable Finance Initiative der Gruppe Deutsche Börse und das Green Finance Cluster Frankfurt des Hessischen Wirtschaftsministeriums im April zusammengeschlossen.
Dustin Neuneyer, Head of Continental Europe von PRI Principles for Responsible Investment, ging auf das Thema treuhänderische Verpflichtung ein – darunter verstehen sich die Pflichten von institutionellen Investoren und Vermögensverwaltern, mit dem ihnen anvertrauten Kapital sorgsam umzugehen. Neuneyer ist Mitautor einer Roadmap für Deutschland von PRI, die Vorschläge macht, wie in der gesamten Investitionskette – von der Investitionsanalyse bis zum Unternehmen, in das investiert wird – langfristige Werttreiber wie Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social und Governance Aspekte, ESG) einfließen können. Laut Neuneyer ist es nach geltendem Recht nicht nur möglich, sondern sogar geboten, ESG-Kriterien zu berücksichtigen. „Dennoch stehen wir vor dem Problem, dass ESG-Kriterien nicht systematisch berücksichtigt werden, sondern geradezu systematisch nicht berücksichtigt werden“, kritisiert er. Er schlägt vor, dass deshalb das Versicherungsaufsichtsgesetz und das Kapitalanlagegesetzbuch im Hinblick auf eine systematische Prüfung von Nachhaltigkeitsaspekten konkretisiert werden müssten.
Michael Schmidt hat als Mitglied der Geschäftsführung Deka Investment in der EU-Expertengruppe für nachhaltige Finanzwirtschaft mitgearbeitet. Für ihn kommt der Finanzindustrie eine Schlüsselrolle hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu, doch das allein reiche nicht: Ein koordinierter Politikansatz sei nötig, damit konsistente Anreiz- und Preissignale an alle Wirtschaftsakteure gesendet werden. Denn: Realwirtschaft, Politik und Finanzsektor müssten bei der Transformation ineinandergreifen. „Nachhaltigkeit und nachhaltige Finanzwirtschaft sind dabei ein Standortfaktor und ein Wettbewerbsfaktor, nicht nur für den Finanzplatz Deutschland, sondern für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagte er.
Sabine Pex, Vorstand des Forums für Nachhaltige Geldanlagen (FNG), sieht bei nachhaltigen Geldanlagen derzeit echte Fortschritte. „Lange Zeit war das Thema eine Nische“, sagte sie. Es habe eine begrenzte Anzahl an Produkten und Investoren gegeben, kaum Standardisierung und Akteure, die aus einer Werteorientierung heraus gehandelt haben. „Das ändert sich gerade. Das Thema ist in einer ganz anderen Größenordnung angekommen“, sagte sie. Mittlerweile gehe es nicht nur um Werte, sondern, seit dem Klimaabkommen von Paris, um handfeste Risiken für Investoren, wenn sie ESG-Kriterien missachteten. 2017 hat das FNG die Bundesregierung und die Bundesbank in einem offenen Brief aufgefordert: „Finanzwirtschaft für die Sustainable Development Goals fit machen“. Im April 2018 forderte das FNG in einem weiteren Brief an das Finanz- und Umweltministerium eine proaktive, ressortübergreifende Positionierung der Bundesregierung zum EU-Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzsystem – orientiert am Risikomanagement-Ansatz.
Matthias Kopp, Leiter des Bereichs Nachhaltige Finanzsysteme beim WWF, mahnt zu Eile und Gestaltungswillen. „Wir haben eine riesige Chance, weil aus Europa Impulse kommen. Die darf man aber nicht nur hinnehmen, man muss sie gestalten. Da gilt es sehr, sehr viel mehr Impulse aus Deutschland einzubringen“, sagte er. Die neue Bundesregierung habe jetzt ein Zeitfenster, in dem es zu handeln gelte. Als Beispiel nannte er das geplante EU-weite Klassifikationssystem zur Definition nachhaltiger Geldanlagen. „Das ist sehr technisch, aber wenn es keinen klaren Rahmencharakter bekommt, sondern einfache Positivliste wird, wird man nicht glücklich werden“, sagte er.
Ralf Frank, Geschäftsführer und Generalsekretär des Berufsverbandes der Investment Professionals in Deutschland, ging auf die Rolle der Digitalisierung ein und darauf, dass Nachhaltigkeit auch eine Frage der Motivation der Anlagemanager sei. „Eine Zinkmine in Afrika gibt einen Green Bond aus, um Umweltschäden zu beheben: Ist das Nachhaltigkeit oder nicht? Ich würde sagen, das liegt in der Motivation des Anlegers“, sagte er. Frank glaubt, dass es bereits heute genug Daten gibt, damit Anlagemanager entscheiden können, was eine nachhaltige Anlage ist. Die Daten müssten nur ausgewertet werden. „Wir sind überzeugt: Die Zukunft des nachhaltigen Investierens muss quantitativer und damit digitaler ablaufen“, sagte er. Der Berufsverband hat mit dem DVFA Kodex für Nachhaltigkeit die Relevanz des Themas im Anlageprozess des Mainstream-Kapitalmarktes beschrieben.
Marlehn Thieme schließlich, Vorsitzende des RNE, richtete sich in einem Appell direkt an die auf dem parlamentarischen Abend anwesenden Bundestagsabgeordneten: „Wir alle wissen, dass das Thema Sustainable Finance nicht ohne Ihren Willen und ohne Ihre Abstimmung entwickelt werden kann. Ich erwarte, dass Sie hierzu initiativ werden, ehe sich der Finanzplatz Deutschland den Bedingungen anderer in dieser Sache nur noch anschließen kann“, sagte sie. Gastgeberin Kristina Jeromin, Head of Group Sustainability bei der Deutschen Börse, drückte es so aus: „Den Dialog zu Sustainable Finance zwischen Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Finanzindustrie zielführend voranzutreiben, ist eine der Prioritäten des Hub for Sustainable Finance.“
Diesen Dialog auf einer Plattform sichtbar zu machen, dazu laden RNE und Deutsche Börse auf der neuen Projektwebsite ein. Dort können interessierte Akteure aus dem Finanzmarkt, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ihre Beiträge zu den zehn Thesen für eine nachhaltige Finanzwirtschaft einreichen. Die Website soll durch die Beiträge der Akteure zur zentralen Seite für Sustainable Finance in Deutschland werden, die Diskussion und das Wissen über unterschiedliche Ansätze und Herangehensweisen im Themenfeld fördert und verbreitet.