Der Vorsitzende des deutschen Bioökonomierates, Joachim von Braun, sieht „ein enormes Potenzial“ dafür, dass Konsumgüter künftig auf pflanzlicher Basis hergestellt werden. Gut 60 Agrarminister bekennen sich jetzt in einer Resolution zur Umstellung der erdölbasierten Wirtschaft. Nur: Woher soll die notwendige Biomasse kommen?
Die Bioökonomie soll in der Landwirtschaft eine prägende Rolle spielen. Darauf haben sich die Agrarminister von mehr als 60 Ländern im sogenannten „Global Forum for Food and Agriculture“, dem GFFA, bei ihrem 7. Berliner Agrarministergipfel in Berlin verständigt. Die Landwirtschaft sei „längst über ihre Rolle als Nahrungs- und Futtermittellieferant hinausgewachsen“, heißt es in der von ihnen verabschiedeten Resolution.
Die knapper werdenden fossilen Rohstoffe, die beim Erzeugen von Energie Umwelt und Klima belasten, müssten durch nachwachsende ersetzt werden. „Dadurch ist die Nachfrage nach Agrarrohstoffen für den Nicht-Lebensmittelbereich gestiegen“. Die Minister setzten sich „dafür ein, dass das Potenzial der Bioökonomie voll genutzt wird“.
Längst suchen Staaten nach Wegen, wie die erdölbasierte Wirtschaft umgestellt werden kann. Neben Deutschland setzen Japan und die USA zum Beispiel auf staatliche Förderprogramme. Das hat soeben die Analyse der Bestrebungen in den G7-Staaten durch den Bioökonomierat gezeigt. Jenes Gremium wurde im Jahr 2010 von der damaligen schwarz-gelben Regierung ins Leben gerufen, zusammen mit der „Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“.
Hierzulande sind für insgesamt sechs Jahre 2,4 Milliarden Euro eingeplant, damit die Industrie nach Alternativen zur herkömmlichen Produktion sucht. 2016 sollen alle Ergebnisse vorliegen. Ersten Entwicklungen hin zu einer biobasierten Wirtschaft gibt es bereits, wenn auch oft nur als Testprodukt und nicht im Markt.
Stahlseile aus Stroh
Joachim von Braun, Bonner Agrarökonom und Vorsitzender des Bioökonomierates, zieht eine Parallele zu Rumpelstilzchen im Märchen der Brüder Grimm. „Wir spinnen aus Stroh Gold, da sind wir schon ganz nah dran.“ So gewinnen Forscher Fasern aus Stroh, die etwa Stahlseile für Aufzüge ersetzen sollen. Da sie leichter sind, könnten sie sogar bessere Eigenschaften haben.
Für Reifen wird der Saft von Löwenzahn zu Gummi verarbeitet. Eine Pflanze liefert zwar nur rund einen Milliliter Milchsaft, im Jahr sind aber mehrere Ernten möglich und die Entwickler versuchen zudem die Ausbeute zu verbessern. Fahrräder gibt es schon fast komplett aus Holz, Kleider entstehen aus Milch.
Experimentiert wird auch, um Kosmetika und Reinigungsmittel aus nachwachsenden Rohstoffen zu entwickeln. Von Braun sieht ein „enormes Potenzial“. Er sagt: „Das zieht in unsere Wohnzimmer ein.“ Und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka meint, durch die Produkte und Verfahren sei „neues Wirtschaftswachstum“ möglich.
Nur: Wird die Förderung biobasierter Produkte zur Nahrungsmittelknappheit führen? Die Agrarminister versichern in ihrer Resolution, dass der „Vorrang der Ernährung“ bleiben müsse. Der schonende Umgang mit Boden und Wasser sowie der gleichberechtigte Zugang zu natürlichen Ressourcen und der Nutzung seien zudem „wichtige Voraussetzung“.
Sie schreiben, dass international freiwillige Standards und Nachhaltigkeitszertifizierung „die Akzeptanz der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber nachhaltig erzeugten biobasierten Produkten erhöhen“ sollen. Eine mit der Tank-Teller-Diskussion vergleichbare Auseinandersetzung wollen sie so vermeiden.
Grüne Gentechnik hilft wenig
Doch Steffi Ober, beim Umweltverband NABU zuständig für nachhaltige Forschungspolitik, meint, es gebe „auf dem heutigen Konsumniveau nun mal nicht genug Biomasse für die innovativen Produkte“. Schon heute importiert Deutschland laut Bodenatlas 2015 Agrarprodukte und andere Verbrauchsgüter, die mit knapp 80 Millionen Hektar mehr als das Doppelte der eigenen Landesfläche in Anspruch nehmen.
„Selbst die umstrittene grüne Gentechnik würde nicht zu nennenswert mehr Ertrag führen“, sagt Ober. Allenfalls könne die so genannte weiße Gentechnik helfen: Mikroorganismen werden dabei gentechnisch so verändert, dass sie in geschlossenen Systemen Grundstoffe für die Chemieindustrie produzieren ohne viel Fläche zu brauchen. Trotzdem könne die gesamte erdölbasierte Wirtschaft nicht umgestellt werden, solange der Verbrauch von Gütern nicht zurückgehe. Derzeit basierten 13 Prozent der Produkte, die die Chemieindustrie herstellt, auf Biomasse, 87 Prozent auf fossilen Rohstoffen.
Weiterführende Informationen
Kommuniqu© des Agrarministergipfels [pdf, 254 KB]
Analyse der G7-Staaten des Bioökonomierates
Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030 [pdf, 3,2 MB]
Wer forscht wo an was [pdf, 17 MB]
Die Strategie der Politik, Webseite BMEL