Wandel ist machbar. Davon ist Bernd Tischler überzeugt. Er spricht von der „Blaupause Bottrop“. Der SPD-Politiker ist der Oberbürgermeister der Stadt, in der mit der Schließung der Zeche „Prosper Haniel“ Ende 2018 die Steinkohle-Ära in Deutschland zu Ende gegangen ist. Von der Industriestadt lasse sich lernen, wie der Umbau hin zu mehr Nachhaltigkeit funktioniert. Bottrop hat seinen CO2-Ausstoß seit 2010 schon fast halbiert.
Tischler ist einer der Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, die am 20. Februar 2018 nach Berlin gekommen sind, um mit Bundestagsabgeordneten zu diskutieren, welche Impulse Kommunen in die Bundespolitik geben und wie sie die Zukunft gestalten können. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat sie zusammen mit der Vizevorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der Unions-Bundestagsfraktion, Dietlind Tiemann, zum Parlamentarischen Abend „Nachhaltige Stadt“ geladen.
Die Kommunen seien mit ihren Ideen, Innovationen und lokalen Kompetenzen eine „wichtige Kraftquelle“ bei der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, sagte die RNE-Vorsitzende Marlehn Thieme. Der RNE bringt schon seit rund zehn Jahren Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister von über dreißig deutschen Städten regelmäßig zum Dialog über strategische Fragen der „Nachhaltigen Stadt“ zusammen.
Kommunen als Impulsgeber für die große Transformation
Erst im Juni 2018 hat die Runde das Papier „Mehr Nachhaltigkeit der Bauland- und Bodenpolitik“ verabschiedet. Ihre grundsätzliche Forderung: Wohnraumbedarf und Ressourcenschutz sollten mit einer nachhaltigen Bodenpolitik von Bund, Ländern und Kommunen Hand in Hand gehen. Immerhin müssten, so meinte CDU-Politikerin Tiemann, „die Kommunen das ausbaden, was sich in Berlin ausgedacht wird.“ Tiemann war bis Oktober 2017 selbst Oberbürgermeisterin der Stadt Brandenburg an der Havel, in der DDR einst größter Stahlerzeuger mit 10.000 Beschäftigten. Im Jahr 2003 lag die Arbeitslosigkeit dort noch bei 25 Prozent, heute ist sie unter zehn Prozent. Die Stadt wächst, auch dank der Zuzüge von Familien aus Berlin, die wegen deutlich günstigerer Mieten und guter Bahnanbindung den Wohnort wechseln.
Bezahlbares Wohnen zu sichern und auszubauen wird für viele Städte immer wichtiger. „Das erfordert ein Umdenken im Umgang mit unserem Grund und Boden“, so der SPD-Bundestagsabgeordnete Bernhard Daldrup. Viel zu viele Jahre sei das Wohnen allein dem Markt überlassen worden.
Erst vor kurzem hatte der mittlerweile 93jährige SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel vorgerechnet, dass die Bodenlandpreise in Deutschland seit 1964 um 1800 Prozent gestiegen seien. Daldrup sieht den sozialen Zusammenhalt und die Idee der europäischen Stadt gefährdet, wenn sich zunehmend – wie es andere schon formuliert hätten – „die Städte zu begehbaren Investmentfonds“ wandelten. Mittlerweile sei das Problem aber erkannt. Ein Ausschuss im Bundestag befasst sich mit dem Leben in den Städten. Der Bund wird von 2018 bis 2021 fünf Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau investieren. Miet- und Bodenpreise seien aber nicht alles für die Stadt mit Zukunft, meinte der SPD-Mann. Auch die Digitalisierung stelle eine Herausforderung dar, wenn einige Menschen Städte nur noch als Ort sehen, „an denen sich Besucher mit ihrer IP-Adresse anmelden“.
Spaß beim Umbau – mit Dialogen und Investitionen
Städte wie Münster denken tatsächlich längst weiter: Die nordrhein-westfälische Universitätsstadt bringt den Bau günstigen Wohnraums besonders voran. Hierfür hat der Stadtrat einstimmig die Einführung der sozialgerechten Bodennutzung beschlossen. Das ist einer der Gründe, warum die Stadt den Deutschen Nachhaltigkeitspreis erhielt. Sie meistert aus Sicht der Jury soziale, ökologische und ökonomische Herausforderungen vorbildlich.
CDU-Oberbürgermeister Markus Lewe hat die Nachhaltigkeit zur „Chefsache“ gemacht, wie er sagte. Eine eigene Stelle wurde in der Verwaltung eingerichtet. Die Stadt spreche mit der Wirtschaft, der Wissenschaft, den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. So seien deren Wissen und Wünsche etwa in den Umbau eines ehemaligen Militärstützpunktes eingeflossen. Vor allem aber, so sagte Lewe, müsse der Wandel „Spaß machen, spürbar sein“, die Debatte dürfe nicht zu akademisch geführt werden. Er spreche darum weniger von Nachhaltigkeitszielen und -unterzielen, sondern sage es eher so: „Alles was wir tun, alles, was wir lassen, muss enkeltauglich sein.“
Gute Beispiele aus Kommunen mit Mehrwert für Wirtschaft, Umwelt, Gesellschaft – und Politik
Die Leute mitnehmen – das war auch das Ziel von Oberbürgermeister Tischler aus dem alten Kohlerevier. Darum hätten sie sich mit Stadtgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft gefragt, wo ihre Stärken seien, erklärte er. Die Antwort: „Wir können gut mit Energie umgehen“. Also machten sie Energieeffizienz und Erneuerbare Energien zu ihrem Zukunftsthema. 2009 wurde die Stadt zur Pilotstadt für die energetische Stadtsanierung erkoren und bekam das Label „Innovation City Ruhr“. Die CO2-Emissionen sollen bis 2020 halbiert werden. Ein wichtiger Baustein: Jeder kann sich kostenlos beraten lassen und einen Zuschuss bis zu 25 Prozent für die Kosten der Modernisierung bekommen.
Bottrops Bürgermeister Tischler macht am Ende drei Effekte für den Erfolg allein bei den Wohnungssanierungen aus: „Viele neue Jobs. Die Bürger werden mitgenommen. Und ein Euro, den wir rein geben, zieht sieben Euro an Investitionen nach sich.“ Im Ergebnis werden in Bottrop derzeit pro Jahr dreimal so viele Privathäuser aufs Energiesparen getrimmt wie im Bundesdurchschnitt. Die Erfahrungen sollen nun zum klimagerechten Stadtumbau von 20 weiteren Quartieren im Ruhrgebiet genutzt werden.
Kommunen sollten im Rahmen von Experimentierklauseln noch mehr Möglichkeiten haben, Neues auszuprobieren, meinte Monika Thomas, Leiterin der Abteilung „Stadtentwicklung, Wohnen und öffentliches Baurecht“ im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Bottrops Bürgermeister Tischler lud jeden ein, sich die „Bottroper Blaupause“ anzuschauen.
→ Meldung vom 13.02.2019: Ausgezeichnet: Wie Wohnraum bezahlbar werden kann