Der Hunger in der Welt ist zwar weniger geworden, aber immer noch unerträglich hoch, und die Probleme der Welternährung steigen. Vor diesem Hintergrund lud der Nachhaltigkeitsrat Professor Joachim von Braun zur diesjährigen Carl-von-Carlowitz-Vorlesung ein.
Waren 1990 noch 40 Prozent der Kinder unterernährt, so waren es 2011 „nur“ noch 26 Prozent – bei gleichzeitig massivem Bevölkerungswachstum. Der Hunger könnte bis 2030 besiegen werden, sagt Joachim von Braun. Doch einen Königsweg gibt es nicht, während der Nutzungsdruck auf die natürlichen Ressourcen beständig zunimmt.
Die enormen Zuwächse der Agrarproduktion im vergangenen Jahrhundert sei teuer erkauft: Sie gehe zu Lasten der Natur, rechnete von Braun bei seiner Carl-von Carlowitz-Vorlesung zum Thema Welternährung und Nachhaltigkeit vor. Das Süßwasser werde knapp, die Böden degradierten, die Biodiversität schwinde. Der Klimawandel verursache Unwetter und bedrohe die Ernte. „So kann es nicht weiter gehen“, sagt der Wissenschaftler vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung und Vorsitzende des Bioökonomierates der Bundesregierung. Der Bedarf an Nahrungsmitteln steige andererseits jedes Jahrzehnt um 20 Prozent. Vorrang für den Schutz der Natur könne es in dieser Situation aber eben so wenig geben wie umgekehrt Vorrang für die Nahrungsmittelproduktion. „Wir brauchen sowohl das eine, als auch das andere“, so von Braun.
Die Weltbevölkerung nehme bis 2050, so seine Prognose, von derzeit sieben auf dann neun Milliarden Menschen zu. Wenn in Folge fehlgeleiteter Agrarpolitik Feldfrüchte im Tank statt auf dem Teller landeten, verschärfe das nur die fatale Situation. Dies gelte auch, wenn potenzielle Lebensmittel zu Tierfutter verarbeitet werden. Von Braun rechnete vor, dass ohne Verfüttern theoretisch 28 Prozent mehr für den menschlichen Verzehr zur Verfügung stünden. Der hierzulande seit geraumer Zeit populäre Verzicht auf den Fleischkonsum selbst bringe hingegen wenig. Nähme man die 34 OECD-Staaten, ergänzt um China und Brasilien, gäbe das doch nur acht Prozent mehr Nahrungsmittel für die Weltbevölkerung.
Große Wirkung durch Mangelernährung
Das Verändern von bestehenden Konsummustern sei zwar unverzichtbar, reiche aber bei weitem nicht aus. Um den Zuhörern ein Beispiel zu geben, richtete er den Blick auf unterernährte Kinder: „Zwei Milliarden Kinder leiden unter dem Mangel an Mikro-Nährstoffen wie Eisen, Jod oder Zink“, erläuterte er. Neben dem verzögerten und geringeren Größenwachstum leide – weniger offensichtliche Folge der Fehlentwicklung – die kognitive Entwicklung dieser Kinder. Er zitierte eine randomisierte Studie, die mangelhaft ernährte Kinder mit einer Gruppe Gleichaltriger verglich, die Nahrungsergänzungsstoffe erhalten hatten. Von Braun: „46 Prozent der Kinder, die Zusatznahrung bekommen haben, haben 25 Jahre später ein höheres Einkommen als die Vergleichsgruppe.“ Dies zeige, dass die Folgen von Mangelernährung gezielt behebbar sind.
Von Braun nennt vier Bereiche, in denen ein entschiedenes Umsteuern notwendig sei. Die knappen Süßwasserreserven dürften nicht mehr übernutzt werden. Es gelte den „Wasser-Fußabdruck“ zu verkleinern, das heißt, vor allem den nicht auf den ersten Blick sichtbaren Wasserverbrauch reduzieren, der zum Beispiel durch die Produktion von Fleisch, Futtermittel oder Baumwolle entsteht. Die am meisten vernachlässigte Ressource ist dem Wissenschaftler zufolge der Boden. Die Degradation schreite scheinbar unaufhaltsam voran, dagegen helfe konsequent an den jeweiligen Standort angepasster Landbau. Die Biodiversität schwinde. Dies gelte für Nutztiere, vor allem aber für Saatgut. Wo ein industrialisierter Markt dafür bestehe, reduziere dieser die Biodiversität.
Die Kleinbauern, so von Braun, seien diejenigen, die immer noch am effektivsten produzierten. Sie beobachteten genau ihre Umwelt und handelten sozial angepasst, vermieden Monokulturen und nutzten ihre wenigen Ressourcen nachhaltig. Sie müssten verstärkt gefördert werden. Zudem müsse ihnen der Zugang zu Innovationen ermöglicht werden: um ihre Produktivität zu steigern bei gleichzeitig zurückgehendem Einsatz von Wasser, Boden sowie Düngemitteln und Pestiziden. Grundsätzlich müsse der Schutz öffentlicher Güter besser honoriert werden.
Er setze auch auf technologische Innovationen, etwa die Gentechnik. Sie sei längst Realität auf der Welt, 175 Millionen Hektar würden damit beackert. Auch die biotechnischen Fortschritte seien ermutigend, neue Sorten seien entstanden, die ertragreicher und nährstoffreicher seien. Dies gelte in besonderem Maße für Cassava, Bohnen und Mais.
Den Hunger in der Welt bis 2030 zu beenden, sei ein ambitioniertes Ziel, aber erreichbar. Die Nachhaltigkeitskriterien auf dem Weg dorthin sollten jedoch ungleich verteilt sein: Reiche Gesellschaften sollten die rigorosesten Kriterien erfüllen, bei Armen seien so harsche Beschränkungen nicht zu legitimieren.
In der folgenden Diskussion sagte Umweltministerin Priska Hinz, die hessische Landesregierung wolle mehr Anreize schaffen, um die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft zu fördern. Die kleinteilige Produktionsstruktur mit zahlreichen Familienbetrieben biete dazu gute Ansatzpunkte. „Da müssen die Verbraucher auch mitziehen“, sagte Hinz. „Ich will die Mehrheit für Nachhaltigkeit gewinnen, zum Beispiel, indem wir Akteure zusammenbringen wie heute auf dem Marktplatz.“
Lebensmittelverschwendung ist ein Problem, das gemeinsam von Politik und Konsumenten angegangen werden müsse. Der Hessische Nachhaltigkeitstag habe hier ein öffentlichkeitswirksames Zeichen gesetzt. Auf dem Wiesbadener Marktplatz hatte sich die Ministerin an der Zubereitung von Mittagessen aus zwölf Tonnen Lebensmitteln beteiligt, die ansonsten weggeworfen worden wären. Die Produkte seien zwar noch tadellos gewesen, aber das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht. Ein typischer Fall von Lebensmittelverschwendung. Hinz: „Die Gerichte haben wir kostenlos an die Bevölkerung ausgegeben.“ Das sei eine Aktion im Rahmen des Hessischen Nachhaltigkeitstages gewesen, um Nachhaltigkeit konkret erfahrbar zu machen.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung veranstaltet die Vorlesungsreihe. Pate und Namensgeber ist Hans Carl von Carlowitz, der in seinem Lebenswerk „Sylvicultura Oeconomica“ den Begriff der forstlichen Nachhaltigkeit geprägt hat. Darin empfiehlt er eine „nachhaltende Nutzung“ des Holzes mit dem Ziel, die Ressourcenzerstörung zu beenden und zukunftsorientiert zu denken und zu handeln. In diesem Jahr fand die Vorlesung im Rahmen des Hessischen Tags der Nachhaltigkeit in Wiesbaden statt.