Die Biobranche in Deutschland hat im vergangenen Jahr wieder zugelegt. Doch wie sieht die Zukunft aus, wenn Bio Massenware wird? Drei Experten haben angesichts der Messe Biofach ihre Einschätzungen gegeben. Sie sehen bei allen Vorzügen des Biolandbaus auch Gefahren für die Branche – und kritisieren die geplante Reform der EU-Ökoverordnung.
Die Zahlen lesen sich gut: Der Arbeitskreis Biomarkt hat errechnet, dass die Biobranche im Jahr 2014 in Deutschland um 4,8 Prozent gewachsen ist. Die Umsätze zertifizierter Waren im normalen Einzelhandel, in Biosupermärkten, der Verkauf in Hofläden oder in Form von Lebensmittelkisten summierten sich auf 7,91 Milliarden Euro. Die Zahl der Biobetriebe wuchs um 666 auf 23.937. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 setzte die deutsche Ernährungsindustrie insgesamt im Inland 121,6 Milliarden Euro um, den Export eingerechnet 175,2 Milliarden.
Der Biobranche allerdings steht ein großer Umbruch bevor: Auf EU-Ebene wird eine komplette Überarbeitung der EU-Ökoverordnung verhandelt. Die sogenannte Gemeinsame Agrarpolitik in der EU wird immer für mehrere Jahre festgelegt, der momentane Finanzrahmen gilt von 2014 bis 2020. Die noch nicht beschlossenen, neuen Bio-Regeln wiederum enthalten die Kriterien für eine Zertifizierung nach dem in Deutschland bekannten EU-Biosiegel.
Der Vorschlag der Kommission wird jedoch unter anderem von der Bundesregierung abgelehnt. Deutschland fordert, den Vorschlag komplett zurück zu ziehen, sollte es im ersten Halbjahr 2015 keine Einigung geben. Ein Teil der Biobranche in Deutschland formuliert es in einem offenen Brief an EU-Agrarkommissar Phil Hogan drastisch: „Wir sehen die Wirtschaftsweise des Ökologischen Landbaus und der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft in ihren Grundfesten angegriffen“, heißt es darin.
EU-Agrarkommissar Hogan griff die Sorgen der Branche in einer Rede auf der Biofach auf und versprach, die kritischen Aspekte einer Revision zu unterziehen.
Nicht nur deshalb fragt sich die Branche, wo die Chancen und Risiken für den Ökolandbau in Zukunft liegen. Florian Schöne etwa, Referent für Agrarpolitik und Bioenergie beim Nabu, sieht, bei allen Chancen des Biolandbaus, durchaus die Gefahren einer Art Konventionalisierung des Ökolandbaus. „Die Intensivierung und Industrialisierung macht mit einer Massenmarkt-Tauglichkeit auch vor der ökologischen Landwirtschaft nicht halt“, schreibt er.
Regional und Bio verschmelzen
Als Probleme nennt er den Futtermittelzukauf vieler Betriebe, die wachsenden Betriebsgrößen in der Tierhaltung, den Verzicht auf geschlossene Kreisläufe oder den Einsatz von Kupfer oder Pyrethrum als Pflanzenschutzmittel. Zudem setze auch die konventionelle Landwirtschaft auf eigene, ökologischere Standards als Verkaufsargument und setze die Branche unter Druck.
Schöne schlägt deshalb ein ganzes Paket an Maßnahmen vor. Dazu zählt eine Weiterentwicklung der Biostandards, etwa durch den Anbau seltener Sorten oder einer freiwilligen Begrenzung des Tierbestandes. Für Schöne ist es sinnvoll, Bioprodukte mit anspruchsvolleren Standards von massenproduzierten Biowaren abzugrenzen. Ein Vorschlag: Regionaler Anbau könnte mit Bio zu einem Bio-Plus-Standard weiterentwickelt werden.
Mit einer derartigen Verbindungen zwischen regionaler Produktion und ökologischem Anbau ließen sich auch mögliche Widersprüche zwischen Ökologie und langen Transportwegen auflösen, schreibt Franz-Theo Gottwald, Vorstand der ökologischen Schweisfurth-Stiftung.
Gottwald sieht die Gefahr, dass sich der Ökolandbau in ein “industrielles Wettrennen um Nachhaltigkeitsführerschaft” einreiht. „Mein Hauptargument ist dabei, dass Nachhaltigkeit ein typisches Industrieparadigma ist, das sich für die Entwicklung einer zukunftsfähigen, enkeltauglichen ökologischen Landwirtschaft nur bedingt eignet“, schreibt er. So seien beispielsweise Nachhaltigkeitsberichte in der Umsetzung oft zu wissens- und kapitalintensiv. Darüber müsse diskutiert werden, sagt Gottwald.
Ulrich Hoffmann wiederum nimmt eine globale Perspektive ein. Hoffmann ist Chefberater des Direktors der Handelsabteilung im Sekretariat der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung. Für ihn können die Ernährungsprobleme der Menschheit nur durch ökologischen Landbau gelöst werden. Er macht aber mehrere Hindernisse aus.
Bio-Regelwerke zu kompliziert
Dazu gehören der Biotreibstoffboom und damit einhergehend steigende Bodenpreise. Hoffmann macht zudem auf „die fast völlig fehlende Internalisierung der durch die industrielle Landwirtschaft verursachten Schäden“ aufmerksam – Kosten also, die der Gesellschaft etwa in Form von Entwaldung und Schäden durch exzessiven Stickstoffeinsatz entstehen.
Ähnlich wie Gottwald kritisiert Hoffmann zu komplizierte Regelwerke: „Die Biobranche leidet unter relativ hohen Kontroll- und Zertifizierungskosten durch ein viel zu kompliziertes Standard- und Kontrollregelwerk“, sagt er. Konventionelle Produzenten hätten diese Kosten dagegen nicht – sondern profitierten erheblich von direkten und indirekten Subventionen.
„Leider ist der Entwurf der neuen Bioverordnung der EU in dieser Richtung wenig hilfreich“, so Hoffmann. Er sieht die Gefahr, dass die Konzentration von Bio im Groß- und Einzelhandel die Waren so weit verbilligt, dass der Fokus auf Produktivitätssteigerung und Spezialisierung liegt. Und nicht darauf, die Grundprinzipien des Biolandbaus einzuhalten.
Wie aber sehen die aus? Für Gottwald geht es nicht nur um ein fertiges Produkt, das nach einem bestimmten, zertifizierten Standard angebaut worden ist. „Die relative Vorzüglichkeit des ökologischen Landbaus ergibt sich Teilschritt für Teilschritt entlang der sorgsam auf Naturnähe hin betriebenen Prozesse im Anbau und in der Verarbeitung gleichermaßen“, schreibt er.
Weiterführende Informationen
Umsätze der Biobranche 2014
Offener Brief gegen die Revision der EU-Ökoverordnung
Deutsche Position zur Reform der EU-Ökoverordnung
Rede von EU-Agrarkommissar Phil Hogen auf der Biofach [pdf, 299 KB]