Das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit ist am Netz

Die 21. RNE-Jahreskonferenz markierte den feierlichen Auftakt eines neuen Plattformprojekts zur Beschleunigung der Nachhaltigkeitstransformation.

„Wer hat gute Ideen und Lösungen und was können alle anderen davon lernen und mitnehmen?” Diese Frage stellte Sarah Ryglewski bei der 21. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) und brachte damit die Motivation hinter dem Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit auf den Punkt. Die Staatsministerin für die Bund-Länder-Koordination war kurzfristig für den an Covid erkrankten Bundeskanzler Olaf Scholz eingesprungen, um den Startschuss für diese neue Bund-Länder-Initiative zu geben. Das neue Plattformprojekt wird vom RNE aufgebaut und soll „bundesweit alle Aktivitäten im Bereich Nachhaltigkeit bündeln, von den lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen über die Wirtschaft und die Wissenschaft bis hin zu den Kommunen“, so Ryglewski.

Gemeinsam mit Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, schaltete Ryglewski in einem symbolischen Akt die Webplattform frei, die die Basis für das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit bildet. Die Plattform soll bereits existierende Nachhaltigkeitsaktivitäten sichtbar machen, Organisationen miteinander vernetzen, neue Aktivitäten anstoßen und so dazu beitragen, dass die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele erreicht werden. Bei der Mobilisierung sollen Aktionswochen, Gemeinschaftsziel-Kampagnen, Auszeichnungen, Innovationswettbewerbe und Netzwerktreffen helfen. Hendrik Wüst bot an, 2023 ein Netzwerktreffen des Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit in seinem Bundesland auszurichten.

Zentrale Rolle der Kommunen

Nachhaltigkeit sei das geeignete Leitbild, um uns in eine gute Zukunft zu führen, sagte Werner Schnappauf, Vorsitzender des RNE, auf der Jahreskonferenz. Es gebe derzeit ein Momentum wie nie zuvor, in der Gesellschaft, aber auch in der Wirtschaft. Die Politik stelle die Weichen und öffne die Türen für eine nachhaltige Entwicklung: „Aber durch diese Türen durchgehen müssen wir alle selbst: Bürgerinnen und Bürger, Kommunen, Unternehmen.“ Denn der Erfolg der Transformation entscheide sich in den Kommunen vor Ort, wo die Bürgerinnen und Bürger leben: Genau hier setze das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit an.

Auch Sarah Ryglewski hob die Bedeutung der Kommunen für die nachhaltige Transformation hervor. Sie seien „Nachhaltigkeitsexperten in der Fläche“. Markus Lewe, Oberbürgermeister von Münster und Präsident des Deutschen Städtetags, hatte kurz zuvor auf derselben Bühne gesagt: „Die Stadt der Zukunft wird eine nachhaltige sein – oder sie wird nicht mehr sein.“ So sei es gut und richtig, so Ryglewski, dass ein erster Schwerpunkt des Gemeinschaftswerks in dem für Kommunen so wichtigen Bereich ‘Bauen und Wohnen’ liegen werde: „Hier wird in vielen Kommunen schon weit gedacht, und wir müssen sicherstellen, dass diese Ideen Einfluss in die Gesetzgebung finden“, sagte Ryglewski. Deshalb ist für kommendes Jahr ein offener Innovationsprozess („Open Social Innovation“) zum Transformationsbereich nachhaltiges Bauen und Wohnen gemeinsam mit dem Bundesbauministerium unter dem Dach des Gemeinschaftswerks in Planung. Die Idee: ein 48-Stunden-Hackathon, bei dem neue Ideen entwickelt und ausgewählte Projekte im Anschluss umgesetzt werden.

Eine lernende Plattform

„Diese Plattform wird nicht so bleiben, wie sie jetzt ist“, prognostizierte Lisi Maier, Direktorin der Bundesstiftung Gleichstellung und RNE-Mitglied. Es handele sich vielmehr um eine lernende Plattform, die auf die Beteiligung aller angewiesen ist. In der anschließenden Podiumsdiskussion teilten Vertreterinnen und Vertreter großer Verbände und Stiftungen mit, welchen Beitrag diese zum Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit leisten können und müssen.

Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), sieht beispielsweise eine große Chance darin, den 9.000 Sportvereinen mit 25 Millionen Mitgliedern unter dem Verbandsdach, möglichst konkrete Vorschläge zu machen. Zum Beispiel das Flutlicht zu reduzieren und Trainingszeiten anzupassen, um Energie einzusparen. Dann werde das auch umgesetzt. Oft fehle einfach nur der Anstoß. Die Bereitschaft sei da.

Die Vorständin der Stiftung KlimaWirtschaft Sabine Nallinger betonte, dass nicht mehr viel Zeit für die nachhaltige Transformation bleibe: „Wir müssen jetzt ganz viel Tempo in gesellschaftspolitische Prozesse, aber auch in die Wirtschaft bringen.“ Die Wirtschaft stehe vor einer Revolution. Um 80 Prozent der Emissionen bis 2030 zu reduzieren, brauche es neue Prozesse und neue Kooperationen: „Und weil wir so groß denken müssen, brauchen wir eben Netzwerke.“

Für die Handwerksbetriebe sprach Constantin Terton, Abteilungsleiter Wirtschaft, Energie und Umwelt im Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Diese seien momentan an einer Stelle, wo man aufpassen müsse, dass sie durch die Krisen nicht nachhaltig Schaden nehmen würden. Es gehe darum, gerade die Kleinbetriebe zu stabilisieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass sie als Umsetzer von Nachhaltigkeit und Energiewende agieren könnten. Terton formulierte als eine große Hoffnung in die gemeinsame Webplattform, dass sie junge Menschen, aber auch Quereinsteiger für das Handwerk begeistert. „Am Ende geht es darum, mit den Händen etwas zu schaffen“, sagte der ZDH-Vertreter. „Wie schaffen wir es, die Photovoltaikanlage zusammenzubauen, die Wärmepumpe zu installieren, Kraft-Wärme-Kopplung umzusetzen? Das geht nur mit Menschen.“

Der Rat der Evangelischen Kirche Deutschland hat eine Klimaschutzrichtlinie beschlossen: „Wir wollen bis 2035 zu 90 Prozent und bis 2045 klimaneutral werden“, sagte Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland Kristina Kühnbaum-Schmidt. „Wir haben in der Regel gar kein so großes Erkenntnisproblem, was wir tun könnten und tun müssten“, so fasste es Kühnbaum-Schmidt zusammen. „Sondern wir haben ein Umsetzungsproblem.“ Am Nachmittag in den Themenforen der Jahreskonferenz ging es dann auch ganz konkret darum, wie das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit in die Umsetzung gebracht werden kann.

Junge Perspektive und Expertise

Eines der Foren gestalteten die Vertreterinnen und Vertreter der im Vorfeld abgehaltenen Jugendkonferenz zur Nachhaltigkeitspolitik entlang der Themen klima- und umweltfreundliche Strukturen schaffen, Mobilität und Begegnung sichern, Nachhaltigkeit gerecht gestalten und Bildung für nachhaltige Entwicklung. „Junge Menschen sind die Generation, die wie keine zuvor von der Klimakrise betroffen ist“, erklärte der Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings Wendelin Haag. Darüber hinaus würde bislang unterschätzt, wie viel Wissen junge Menschen mitbringen, meinte Gülistan Bayan vom Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ). Laut Fabian Abel vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend sei Nachhaltigkeit durch alle Jugendverbände hindurch ein großes Thema. Doch beim „wie“ unterscheiden sich die Ansichten. Junge Menschen seien weitaus vielfältiger als sie medial dargestellt werden; das hatte sich auf der Jugendkonferenz zur Nachhaltigkeitspolitik gezeigt. Was sie eint, ist die gemeinsame Forderung an die Politik, die nachhaltige Transformation schneller voranzutreiben. In diesem Sinne nutzten die Vertreterinnen und Vertreter des Bundesjugendrings die Gelegenheit und übergaben die Ergebnisse der Jugendkonferenz an die Staatsministerin.

Staatsministerin Sarah Ryglewski hatte in ihrer Rede an eine Aussage der Brundtland-Kommission erinnert, die den Nachhaltigkeitsbegriff bis heute prägt: „Die Menschheit ist einer nachhaltigen Entwicklung fähig – sie kann gewährleisten, dass die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen.“ Dafür wäre keine Zeit mehr zu verlieren, warnte sie: „Der beste Zeitpunkt, ein Problem anzupacken, war ja bekanntlich gestern.“ Das gute sei allerdings: „Der zweitbeste ist heute, der ist jetzt.“

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