Die EU-Umweltkommission hat Essen zur Green Capital 2017 gekürt. Die Ruhrmetropole kann anderen Städten als Vorbild bei der Bewältigung des Strukturwandels und dem umweltgerechten Umbaus der Stadt dienen.
Am Ende des mehrstufigen Auswahlverfahrens hat sich Essen gegen die Wettbewerber Nijmegen, Hertegenbosch (beide Niederlande) und Umea (Schweden) durchsetzen. Der Titel wird erst seit 2010 verliehen. Nach Hamburg im Jahr 2011 fiel die Wahl nun zum zweiten Mal auf eine deutsche Kommune. Die Bewältigung des Strukturwandels weg von der Schwerindustrie hin zu einer ökologisch ausgerichteten Dienstleistungswirtschaft beeindruckte die Juroren als ein „Beispiel für andere“ besonders.
Essen ist mit 577.000 Einwohnern die neuntgrößte Stadt Deutschlands. Inmitten des Ruhrgebietes gelegen lebte sie jahrzehntelang vor allem vom Kohlebergbau und den damit verbundenen Produktionsstätten wie Stahlwerken. 1986 schloss die letzte Zeche „Zollverein“.
Für Essen begann damit auch äußerlich eine neue Ära. Die zum Weltkulturerbe erklärte Zeche „Zollverein“ ist danach zum Kernstück einer großflächigen Grünanlage geworden. Auch auf anderen Industriebrachen entstehen seither Grünflächen, die mittlerweile mehr als die Hälfte des Stadtgebietes ausmachen.
Büros statt Zechen
Entgegen kommt der einstigen Kohlehochburg eine starke Wirtschaft. Eine ganze Reihe der in den wichtigsten beiden Börsenindizes notierten Unternehmen haben ihren Sitz in Essen Die Unternehmen erwirtschaften ihre Umsätze längst nicht mehr nur mit Kohle und Stahl. Sie haben Tausende Jobs in den Dienstleistungsbereichen geschaffen. Inzwischen stellen diese Sparten 80 Prozent der Arbeitsplätze. Täglich pendeln 140.000 Beschäftigte in die Stadt. Allein 20.000 so genannte Green Jobs, also Tätigkeiten rund um den Umweltschutz, hat sich die Stadtverwaltung als Ziel für das Jahr 2025 gesetzt.
Ein wesentlicher Teil dieses Strukturwandels ist der ökologische Umbau der Stadt. Schwerpunkt wird dabei unter anderem der weitere Ausbau des Fahrradverkehrsnetzes unter Beteiligung der Bürger sein. Bis zum Ende des Jahrzehnts soll sich der Anteil des Fahrrades am Gesamtverkehr mehr als verdoppeln und dann bei elf Prozent liegen.
Gemessen am aktuellen bundesweiten Spitzenreiter Münster mit einem Fahrradanteil von 37 Prozent erscheint dies nicht viel. Aber mit Blick auf die Ausgangssituation, bei der das Rad für die Mobilität praktisch keine Rolle spielte, ist der Aufholprozess beachtlich. Für 2035 plant die Stadt eine gleichmäßige Verteilung der Mobilität auf den öffentlichen Nahverkehr, das Fahrrad, das Auto sowie den Fußweg. Das geht aus der 260 Seiten starken Bewerbung Essens bei der EU-Umweltkommission hervor.
Punkten konnte Essen bei den Juroren auch durch den Umfang des grünen Managements, das von Einsparungen beim CO2-Ausstoß über die Biodiversität, die Ver- und Entsorgungssysteme bis hin zur Luftqualität und der Lärmverminderung reicht. „Essen ist führend beim integrierten Umweltmanagement“, stellte die Umweltkommission fest. “Wir sind gesamtheitlich orientiert”, erläutert der Leiter des Umweltamtes, Matthias Sinn. Wie dies in der Praxis aussieht, zeigt das Beispiel der nicht mehr benötigten Trasse einer Güterbahn.
Anstelle der Schienen verläuft dort nun ein Radweg, der zwei Seen miteinander verbindet. Das Gebiet wird so zum Naherholungsareal. Die Ruhrmetropole erhofft sich durch die Auszeichnung weitere Impulse auf dem Weg zur grünen Stadt. „Die Auszeichnung zur “Grünen Hauptstadt” sichert und erhöht die Lebensqualität in der Stadt und fördert die Identifikation der Menschen mit Stadt und Region“, heißt es im Rathaus. Außerdem werde der Wirtschaftsstandort bekannter und für Investoren attraktiver.
Parteiübergreifende Zustimmung
Es ist ein Erfolg im zweiten Anlauf. Der erste verlief 2012 noch ergebnislos. Damals wollte sich die gesamte Ruhrregion gemeinsam um den Titel bewerben. Das scheiterte an der formalen Vorgabe, dass nur einzelne Städte am Wettbewerb teilnehmen dürfen. Mit im Boot war seinerzeit das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, das die Daten für die zwölf einzelnen Themenfelder der Ausschreibung zusammenstellte.
Die Entscheidung der Umweltkommission stößt parteiübergreifend auf Zustimmung. Auch Linke und Grüne sehen in der vom SPD-Oberbürgermeister erreichten Auswahl eine Chance, Essen durch eine grüne Umwelt attraktiver für Bewohner werden zu lassen. Lob kommt auch aus der Wissenschaft.
„Das Ruhrgebiet erlebt einen massiven Strukturwandel“, erläutert der damalige Projektleiter des Wuppertal-Instituts, Oscar Reutter. Dazu zählt er neben den Veränderungen der Wirtschaftsstruktur auch andere langlaufende Prozesse wie den demographischen Wandel. Die Region und damit auch Essen zeichne sich dadurch aus, dass diese Prozesse gestaltend mitgegangen werden und sie in eine nachhaltige Entwicklung münden sollen. „Das Bild des Zupackens ist kein Klischee“, sagt Reutter.
Weiterführende Informationen
So hat sich Essen der Jury präsentiert [pdf, MB]
Essen denkt schon an das Jahr 2030