Sie wollen eine Erzählung finden, die das Publikum nicht in Angst versetzt, im Frust versinken lässt. Die Macher von „vollehalle“, so sagen sie, wollen „Lust auf den konstruktiven Aufbruch“ machen. Zusammen mit den Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien, den RENN, stellen sie im „Klimasalon im Netz“ derzeit Leute vor, die neue Wege gehen wollen.
Ein Abend Mitte April, zu Gast bei dem Journalisten Kai Schächtele und der Jazzsängerin Maren Jule Kling ist Hubertus Paetow.
Paetow betreibt in Mecklenburg-Vorpommern, im Landkreis Rostock, einen 1300 Hektar großen landwirtschaftlichen Betrieb. Als Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung denkt er über seine eigenen Felder hinaus – und die Zukunft vor. Die drei skizzieren Schritte hin zu einer Ernährungswende, so dass Bauern überleben können, die Belastungsgrenzen des Planeten nicht überschritten werden und für die Menschheit genügend Nahrungsmittel verfügbar sein werden. Das ist brisant.
Denn die Landwirtschaft steckt in einer existenziellen Krise – ökonomisch und ökologisch. Und zuletzt war der Ton rau. Bauern rollten mit ihren Traktoren vors Kanzleramt, rammten grüne Kreuze in ihre Äcker, wehrten sich gegen neue Regeln für Dünger. Viele fürchten um ihre Existenz. In den vergangenen zwanzig Jahren haben bereits rund 205.000 ihren Hof dicht gemacht, rund 267 000 Höfe gibt es noch. So wird es ein einstündiger politisch brisanter – es sind Corona-Zeiten – Online-Talk.
Zuschauer sind nah dran
Schächtele und Kling sitzen in ihren Wohnzimmern, Paetow in seinem Büro. Zudem können beim virtuellen Klimasalon jeweils bis zu 100 Leute über die App Zoom mit debattieren. So stand zum Beispiel auch schon die Berliner Klimaökonomin Claudia Kemfert Rede und Antwort. Als Zuschauer fühlt man sich erstaunlich nah dran, der Abstand zu einer wuchtigen Bühne entfällt. Es wird auch persönlich.
Paetow sagt zum Beispiel, dass er eigentlich nicht Landwirt habe werden wollen. Eher Maschinenbauer. Heute kombiniert er das. Er glaubt, dass sich mit digitalen Techniken schonender wirtschaften lässt, nicht nur produktiver. Schon heute habe der Alltag auf den Höfen viel mit Hightech zu tun, erzählt er. Trecker führen zentimetergenau ferngesteuert, der Landwirt erhalte auf seinem Bildschirm im Büro jede Menge Daten. Wie üppig wachsen die Pflanzen? Wie ist der Boden beschaffen? Wo ist Dünger nötig? Saat, Düngung und Bewässerung der Äcker etwa sind dann genauer.
Hightech auch für Kleine
Aber kann sich die modernen Techniken jeder leisten? In Mecklenburg-Vorpommern sind die Betriebe groß, aber was ist mit den kleinen Höfen, die Obst, Gemüse oder Wein etwa in Rheinland-Pfalz anbauen? „Digitalisierung ist größenneutral“, sagt Paetow, sie sei „nicht zentraler Treiber des Strukturwandels“. Viel laufe einfach über ein Smartphone, teure Maschinen kaufen sich mehrere Höfe zusammen. Sorgen indes könne der Datenschutz bereiten: „Landwirte haben immer große Angst, dass man ihnen auf die Finger guckt.“ Aber womöglich lasse sich, so Paetow, daraus auch „ein Geschäft generieren: du darfst auf die Daten zugreifen, aber dafür bekomme ich was.“ Paetow will Innovation, Fortschritt, Modernisierung – und die Landwirtschaft in der sozial-ökologischen Marktwirtschaft verankern.
Mag sein, dass sich mit Technik viel ändern lässt. Willen braucht es aber auch. Wie also bekommt man auch jene seiner Berufskollegen, die derzeit vor allem alles beim Alten belassen wollen? „Wir müssen die Forderung nach Nachhaltigkeit ernst nehmen und sie nicht protestmäßig abbügeln“, findet Paetow. Die Lösung heiße ja auch nicht entweder öko oder konventionell. Letzteres lasse sich auch nachhaltiger gestalten.
Neuer Preis fürs Fleisch
„Warum die Landwirtschaft nicht mit in den Emissionshandel einbeziehen“, fragt er, also die Klimagase aus der Nahrungsmittelproduktion bepreisen? Nach Angaben des Umweltbundesamtes verursacht die Landwirtschaft direkt gut 7 Prozent der Treibhausgase in Deutschland. Da die Viehhaltung das Klima besonders belastet, würde Fleisch dann vergleichsweise teuer. Heißt: Der Kunde könnte an der Ladentheke entscheiden, ob es ihm das wert ist – und ändert womöglich seinen Konsum.
Zugleich meint Paetow, müssten auch die jährlich 60-Milliarden Euro schweren EU-Agrarsubventionen – die deutschen Landwirte erhalten davon gut 6 Milliarden – stärker an Nachhaltigkeit gebunden werden. Bisher erhalten die Landwirte den großen Batzen aus der sogenannten ersten Säule als Direktzahlungen. Das Hauptkriterium dafür ist die Flächengröße. Bei der zweiten Säule ist das Geld an Maßnahmen etwa zu Umweltschutz, lokaler Entwicklung oder Tierschutz gebunden. Schon 2017 hat die DLG zehn Thesen zur „Landwirtschaft 2030“ verabschiedet.
Ein Plan statt „Du-musst-Dich-ändern“
Doch das Umsteuern ist schwer, der Unmut bei Bauern groß, bei deren Kritikern genauso. Paetow – das ist am Ende nach einer Stunde Talk klar – will beide wieder besser ins Gespräch bringen. Das gegenseitige „Du-musst-Dich-ändern-Fordern“ bringe nicht weiter, meint er. Besser sei „gemeinsam einen Plan zu machen“. Schließlich helfe es dem Landwirt nicht, „ihm zu sagen: Du zerstörst den Boden.“ Anders sei das, wenn Kunden ihnen auch Optionen bieten würden wie „Wir ändern unsere Konsumgewohnheiten, wir kaufen regional.“ Paetow will die Sache gemeinsam denken.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat unlängst erklärt: „Die Zeit ist reif für einen Gesellschaftsvertrag“. So eine, wie er es nennt, „Vereinbarung entlang des gesamten Ernährungssystems“ will Paetow auch – für eine Landwirtschaft mit Zukunft.
Die Aufzeichnung des Klimasalons lässt sich hier ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=Lefb4IT5QOU&t