Frau Krautzberger, 1985 veröffentlichte der Sachverständigenrat Umwelt (SRU) sein aufsehenerregendes Gutachten über die ökologischen Auswirkungen der deutschen Landwirtschaft. Ist die Situation seitdem besser geworden?
Maria Krautzberger: Um die Frage im Detail zu klären, haben wir ein Gutachten an die Technische Universität München vergeben. 30 Jahre nach der Veröffentlichung des SRU-Gutachtens sollte eine Art „Erfolgsbilanz“ gezogen werden. So konnten wir überprüfen, welche Kritikpunkte und Empfehlungen inzwischen umgesetzt wurden und wo nach wie vor die Defizite liegen. Wir können sowohl Verbesserungen als auch Verschlechterungen gegenüber der Situation von 1985 feststellen.
Im Hinblick auf welche Parameter hat sich eine Verbesserung der ökologischen Situation in landwirtschaftlichen Gebieten ergeben?
Verbesserungen sehen wir beim Wasser und der Luft. Unser Grundwasser ist weniger mit Pflanzenschutzmitteln belastet als noch vor 30 Jahren. Dies haben wir nicht zuletzt dem strengen Zulassungsverfahren in Deutschland zu verdanken. Das Umweltbundesamt ist hier als Einvernehmensbehörde beteiligt. Und auch die Luftqualität ist heute erheblich besser. Der Regen hat fast wieder seinen natürlichen Säuregrad. Die Landwirtschaft trug zu dieser Entwicklung allerdings nur bedingt bei.
Kann man heute sagen, dass Grundwasser und Oberflächenwasser wieder in gutem Zustand sind?
Trotz der positiven Entwicklung kann man leider noch nicht pauschal von einem guten Zustand sprechen. Bei 63 Prozent des Grundwassers ist die chemische Zusammensetzung gut. In den übrigen Vorkommen wird der Grenzwert für Nitrat einfach noch zu häufig überschritten. Oberflächengewässer erreichen den guten chemischen Zustand immerhin bereits zu 88 Prozent, den guten ökologischen Zustand allerdings weniger häufig. Beeinflusst wird diese Situation neben der Verbauung auch durch Stickstoff- und Phosphateinträge aus der Landwirtschaft.
Wo besteht Handlungsbedarf – lässt sich beispielsweise eindeutig belegen, dass die Biodiversität bei den Feldvögeln weiter abnimmt?
Ja, leider. Im Agrarland ist die Bestandssituation vieler Vogelarten kritisch. Der Zielwert für 2015 wurde gerade einmal zu zwei Dritteln erreicht. Der statistische Trend geht leider weg vom Zielwert. Das ist übrigens kein deutsches Problem, sondern gilt weltweit. Eine schwedische Forschergruppe sieht in den Biodiversitätsverlusten die mit Abstand größte Überschreitung der planetaren Grenzen – noch vor dem überhitzten globalen Stickstoff-Kreislauf und dem Klimawandel.
Gibt es weitere Belege für eine geringere Vielfalt bei Pflanzen und Tieren, die auf das Konto der Landwirtschaft gehen?
Allerdings, Vögel stehen in der Nahrungskette ja ziemlich am Ende. Ihnen fehlen also unter anderem die lebensnotwendigen Insekten und Pflanzen als Nahrungsgrundlage. Deren schlechter Erhaltungszustand schlägt auf die Vögel durch und zeigt sich im Ergebnis dort besonders deutlich.
Welches sind die Ursachen dieser Entwicklung?
Zum einen die Veränderung der Landschaft in eine maschinengerechte Landnutzung. Zum anderen die Einstellung der Standorte auf einen hohen Nährstoff- und mittleren Feuchtegehalt. Weiterhin führt der nahezu flächendeckende Einsatz von Pestiziden zur Vernichtung der ackerbegleitenden Flora und Fauna. Und wir dürfen nicht vergessen: In den vergangenen Jahren sind eine Vielzahl artenreicher Grünlandflächen verloren gegangen.
Welche Gegenmaßnahmen schlagen Sie vor?
Als allererstes sollten Dünge- und Pflanzenschutzmittel auf ökologischen Vorrangflächen verboten werden. Und diese sollten in wenigen Jahren auf sieben Prozent ausgeweitet werden. Zusätzlich brauchen wir mehr Geld für die Förderung freiwilliger Agrar-Umweltmaßnahmen durch Umschichtung im Agrarhaushalt. Davon würde nicht zuletzt die Biodiversität profitieren. Aber auch der ökologische Landbau könnte hier helfen. Die Bundesregierung hat sich bereits einen Flächenanteil von 20 Prozent als Ziel vorgenommen. Wir kommen bei dieser Umstellung derzeit allerdings zu langsam voran.
Als zweites herausragendes Problem benennt das UBA in seinem Gutachten den hohen Stickstoffeintrag in die Böden. Allerdings wurde die belastete Fläche in den vergangenen 30 Jahren doch nahezu halbiert?
Richtig. Der Flächenanteil, auf dem die sogenannten kritischen Eintragsraten oder kritischen Belastungsgrenzen überschritten werden, ist von etwa 90 auf rund 50 Prozent gesunken. Wir sind hier also schon ein gutes Stück vorangekommen, haben aber immer noch eine beträchtliche Wegstrecke vor uns.
Ist die zu hohe Nitratbelastung eine quasi automatische Folge der zunehmend intensiveren Tierproduktion auch in Deutschland?
Regional auf jeden Fall. Paradebeispiele sind die Kreise Vechta und Cloppenburg in Niedersachsen. Hinzu kommt, dass dort jetzt zusätzlich Biogasanlagen betrieben werden. In diesen wird ja nicht nur die bereits vorhandene Gülle vergoren, sondern zusätzlich meist auch noch Mais, der von auswärts angeliefert wird. Mit dem Biogas wird aber nur Kohlenstoff entnommen, der Stickstoff verbleibt in den Gärrückständen und muss dann zusätzlich auf der Fläche untergebracht werden.
Gibt es realistische Ansätze, um die Gülle von Großmastbetrieben zu weniger belasteten Flächen zu transportieren?
Es gibt in Marktfrucht-Regionen durchaus Bedarf an organischem Dünger. Tierische Ausscheidungen sind ja nur dann schlecht, wenn sie auf zu engem Raum in zu großen Mengen anfallen. In einigen Nachbarländern, wie in den Niederlanden oder Belgien gibt es bereits gute Ansätze. Klar ist aber auch, dass solche Verfahren zusätzliche Kosten verursachen und somit die Tierhaltung teurer werden würde. Was wir eigentlich seit Jahrzehnten wollen, ist eine Flächenbindung der Tierhaltung. Hier fehlt bis heute eine Konkretisierung im landwirtschaftlichen Fachrecht. Mit einem „ausgewogenem Verhältnis“ kann wohl nicht gemeint sein, dass Gülle aus Nordrhein-Westfalen auf Felder in Brandenburg ausgebracht wird.
Welche Regulierungsmaßnahmen wären nötig, um den Landwirten hinsichtlich Stickstoff Anreize für eine umweltfreundlichere Produktion zu geben?
Die Bundesregierung will Mitte 2016 eine umfassende Stickstoff-Minderungsstrategie verabschieden. Im Rahmen der Zuarbeit prüfen wir derzeit sowohl rechtliche als auch ökonomische Instrumente. Entscheidende umweltrelevante Stellgröße ist aber nicht der Stickstoffeinsatz, sondern der Bilanzüberschuss. Beim Ordnungsrecht muss vor allem die Düngeverordnung verschärft werden. Allein das drohende Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof macht dies notwendig. Die diesbezügliche Abstimmung zwischen den Ressorts ist derzeit noch im Gange. Der Vollzug ist sicher auch verbesserungsfähig. Dieser liegt aber in der Zuständigkeit der Länder.
Erwarten Sie, dass die laufende Revision der EU-Öko-Verordnung den ökologischen Landbau stärkt und Deutschland auf dem Weg zu Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) voranbringt?
Sie sollte es jedenfalls tun! Schließlich wollen wir den Flächenanteil des Ökolandbaus auf 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche steigern. Allerdings gibt es über das „Wie?“ derzeit erhebliche Auseinandersetzungen. Man hat bei manchen Vorschlägen anscheinend deren Auswirkungen auf die Praxis nicht immer ganz zu Ende gedacht. Lebensmittel werden grundsätzlich in Deutschland streng überwacht. Zusätzliche spezielle Grenzwerte und Kontrollen für Ökoware halte ich daher für wenig begründet.
Das Interview führte Hannes Koch.
„Der Grenzwert für Nitrat wird zu häufig überschritten“ – Interview mit der Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger
Das Umweltbundesamt hat eine ökologische Bilanz der landwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland seit 1985 gezogen. Seitdem seien Fortschritte bei der Qualität von Wasser und Luft zu verzeichnen. Allerdings gehe die Vielfalt an Wildtier- und Pflanzenarten weiter zurück. Außerdem sei der Stickstoffeintrag in die Böden nach wie vor zu hoch.