Der Flächenverbrauch für Siedlungen oder Verkehrswege schreitet weiter voran. Die Einführung von Flächenzertifikaten für Kommunen könnte die Entwicklung bremsen. Ein Planspiel dazu bringt erste ermutigende Ergebnisse. Das Instrument ist jedoch unter anderem wegen befürchteter Preissteigerungen umstritten.
Der enorme Flächenverbrauch in Deutschland verläuft bisher noch weitgehend ungebremst. Täglich werden Böden mit einem Gesamtumfang von, je nach Quelle, 73 Hektar bis 77 Hektar Land in Bauland oder Grund für Infrastrukturvorhaben umgewandelt. Das entspricht einer Größe von mehr als 100 Fußballfeldern. Bis zum Jahr 2020 soll der Verbraucher auf noch 30 Hektar sinken. Über den Weg dorthin sind sich Experten nicht einig.
Als eine mögliche Lösung wird der Handel mit Flächenzertifikaten angesehen. Das Prinzip ist leicht verständlich. Jede Kommune erhält eine an der Einwohnerzahl orientierte Anzahl von Flächenzertifikaten. Diese können genutzt werden, um neue Flächen für die Bebauung freizugeben oder sie können verkauft werden. Ein Planspiel des Umweltbundesamtes (UBA) testet die Alltagstauglichkeit dieses Anreizsystems.
Begonnen wurde es unter der wissenschaftlichen Leitung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) 2013. Nun liegen Zwischenergebnisse durch die Auswertung von Fallstudien aus 15 Kommunen vor. Der große Testlauf mit 100 Städten und Gemeinden startet in diesem Frühjahr.
Eigentümer und kommunaler Wettbewerb als Bremsklötze
„Der Flächenzertifikatehandel kann funktionieren“, sagt IW-Projektleiter Ralph Henger, „und man kann damit den Flächenverbrauch verringern.“ Auch habe sich nach anfänglicher Skepsis bei den Städten und Gemeinden gezeigt, dass sich der Zertifikatehandel gut in die Verwaltungen einbetten lässt. In der ersten Phase hätten sich die großen regionalen Unterschiede, zum Beispiel in der Wirtschaftsstruktur der jeweiligen Kommunen, nicht negativ auf das Instrument ausgewirkt. Derzeit arbeiten die Fachleute der beteiligten Institute und der Kommunen an der Endabstimmung ihres noch nicht veröffentlichten Zwischenberichts.
Das Planspiel fördert jedoch auch Hemmnisse für eine Reduzierung des Flächenverbrauchs zutage. Zwei zentrale Schwächen der Rahmenbedingungen haben die Forscher ausgemacht. „Die Probleme liegen nicht beim Handel, sondern zum Beispiel beim Eigentum des Bodens oder der Immobilien“, erläutert Henger. Das Problem ist bekannt. Stadtväter haben oft keinen Zugriff auf bereits bebaute, oder leer stehende Flächen. Daher können viele Potenziale zum Bau neuer Wohnungen oder Eigenheime nicht genutzt werden.
Der zweite Bremsklotz findet sich im Konkurrenzverhalten der Städte und Gemeinden zueinander. Es wird um Einwohner und Wirtschaftskraft gerungen. Diesen Wettbewerb tragen sie häufig durch die Ausweisung von neuen Gewerbegebieten oder Bauland aus. Dieses Verhalten ist aus Sicht der einzelnen Kommune rational.
In der Summe vernichtet der Versuch, sich gegenseitig zu übertrumpfen, wertvolle Flächen. Henger sieht im Zertifikatehandel eine Möglichkeit, dem Gegeneinander zu begegnen. „Genau hier setzt der Flächenzertifikatehandel an, indem er Fehlanreize abbaut, Kooperationen fördert und eine Mobilisierung von Flächen fördert“, sagt der Experte.
Doch der Handel mit Flächenzertifikaten ist auch umstritten. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) erwartet dadurch beispielsweise steigende Preise für Wohnraum und lehnt das Instrument daher ab. Das Institut setzt auf eine verstärkte Nutzung der vorhandenen Flächen in den Innenlagen. „Wir wollen Flächenpotenziale im Bestand nutzen, damit Wohnraum auch bezahlbar bleibt und ein begrüntes Wohnumfeld Lebensqualität bietet”, erläutert BBSR-Experte Fabian Dosch. Henger widerspricht der Befürchtung. In begehrten Lagen dürften die Preissteigerungen keine große Rolle spielen, vermutet er.
Genug Brachflächen für vier Jahre
Das BBSR hat im vergangenen Herbst eine Studie zur Entwicklung des Leerstands von Immobilien vorgelegt. Danach stehen bundesweit zwischen 120.000 und 160.000 Hektar an Brachflächen und Baulücken zur Verfügung. Dies entspreche dem drei- bis vierfachen der jährlich neu beanspruchten Flächen. Diese Potenziale sieht das Institut noch nicht ausreichend genutzt. Das Institut konstatiert Fehlanreize, die für einen anhaltenden Bedarf an neuen Flächen sorgen.
„Gerade in Kommunen mit schrumpfender oder stagnierender Bevölkerung werden nach wie vor Gewerbe- und teilweise auch Wohnbauflächen auf der grünen Wiese ausgewiesen“, kritisiert Co-Autor Roland Goetzke. Nach den Prognosen der Forscher geht der Flächenbedarf zwar zurück. Doch bis zum Jahr 2030 vermindert er sich gerade einmal auf 48 Hektar Land pro Tag.
Das Ziel der Bundesregierung von nur noch 30 Hektar hält Goetzke zwar für erreichbar, wenn alle vorhandenen Instrumente auch eingesetzt werden würden. Dazu zählt er zum Beispiel eine Veränderung bei der Grund- und Gewerbesteuer oder die Einführung von Flächenmanagementsystemen. Goetzke ist aber mit Blick auf das Zieljahr 2020 eher skeptisch. „Das wird eine enge Geschichte“, befürchtet der Experte.
Das Instrument handelbarer Flächenausweisungsrechte wurde 2004 von den Experten in der Evaluation der Empfehlungen des Nachhaltigkeitsrats als „zwar ein vielversprechendes, aber gleichzeitig auch ein sehr umstrittenes ökonomisches Instrument zur Erreichung des 30-ha-Ziels“ beurteilt. Der Testlauf mit den 100 teilnehmenden Städten wird zeigen, welche der Pro- und Contra-Argumente aus dieser Studie schwerer wiegen.
Weiterführende Informationen
BBSR-Studie zum Leerstand von Immobilien
RNE-Studie zur Reduzierung des Flächenverbrauchs [pdf, 930 KB]
Bundesumweltministerium zum Flächenverbrauch