Selten hatte Nachhaltigkeit ein so klares Programm: Als Vorabendunterhaltung empfiehlt sich „Großstadtrevier“ oder „Notruf Hafenkante“, für die Kinder die Serie „die Pfefferkörner“. Anschließend käme als Hauptfilm „Spider Man 2“ in Frage, auch die Disney-Produktion „Queen of Katwe“ stünde zur Auswahl. Falls er noch in der Mediathek zu finden ist: Schauen Sie sich den Tatort „Fünf Minuten Himmel“ von 2016 mit Heike Makatsch an.
All diese Filme und Serien haben gemeinsam, dass die Produzenten bei den Dreharbeiten besonders auf Nachhaltigkeit geachtet haben – im Falle der Serien waren das die Letterbox Filmproduktion im Studio Hamburg. Bei Spider Man war es Sony Pictures, bei der Produktion sind 755 Tonnen Abfälle recycelt worden. Für den ersten „Bio“- Tatort zeigte sich die Produktionsfirma Zieglerfilm im Auftrag des SWR verantwortlich. Disney will bis 2020 seinen CO2-Abdruck halbieren und hat für Queen of Katwe zwei Öko-Supervisoren in Uganda ausbilden lassen.
Das nachhaltige Kino dauert
Walter Spruck vom Institut für Nachhaltigkeit in Kultur und Tourismus beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema, wie Kinos und Filmproduzenten ihrem oft starken Bewusstsein für ökologische und soziale Themen auch Taten folgen lassen können. „Nachhaltigkeitskultur“ – wie kann Kultur nicht nur über das Thema reden, sondern selbst nachhaltiger Handeln – ist auch Thema auf der Jahreskonferenz des RNE, auf der Spruck sich unter anderem mit Dieter Kosslick, dem Chef der Berlinale austauschen wird.
„Wer im Kulturbereich arbeitet, reagiert meist sehr positiv auf das Thema Nachhaltigkeit. Praktisch in der eigenen Arbeit umgesetzt wird es aber zögerlich“, resümiert Spruck. Er hat in Hessen den „Preis für Nachhaltiges Kino“ mit initiiert und in dem Bundesland zahlreiche Filmhäuser besucht – von großen Kinoketten bis zum kleinen, kommunalen Kino.
„Oft wird das Thema darauf reduziert, Glühbirnen gegen LEDs auszutauschen und Ökostrom zu beziehen“, sagt Spruck. Vieles laufe am Kulturbetrieb geräuschlos vorbei, wenn es um Nachhaltigkeit gehe. Grundsätzlich müsse bei dem Thema zwischen Filmproduktion und Kinobetrieb unterschieden werden – das seien unterschiedliche Welten, sagt Spruck.
Green Film Shooting
Die Journalistin Birgit Heidsiek gibt seit 2013 das jährlich zur Berlinale erscheinende Magazin „Green Film Shooting“ heraus. „Viele in der Filmbranche haben damals mit dem Kopf geschüttelt, als ich ein Magazin zum Thema Nachhaltigkeit in der Filmproduktion auf der Berlinale vorgestellt habe. Das Thema grüne Filmproduktion war in Deutschland lange überhaupt kein Thema“, sagt Heidsiek.
Die USA waren zu diesem Zeitpunkt deutlich weiter. Bereits 2006 haben sich dort Hollywoodstudios zusammengeschlossen, um sich des Themas Nachhaltigkeit anzunehmen und haben einen Green Production Guide entwickelt. Spätestens seit der ehemalige Vizepräsident Al Gore 2006 seinen Film „Eine unbequeme Wahrheit“ präsentierte, der eindrücklich vor den Gefahren des Klimawandels warnt, nimmt sich Hollywood auch thematisch immer wieder Ökothemen vor. Zuletzt war Leonardo DiCaprio in der Dokumentation „Before the Flood“ über die Erderwärmung zu sehen, die er auch produziert hat.
Al Gore wird bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes das Sequel zu seinem Klimawandelfilm präsentieren, „Eine unbequeme Fortsetzung“. Welche grünen Initiativen es inzwischen in Europa hinter der Kamera gibt, zeigt der Cine-Regio Green Report 2017, den Heidsiek bei der Podiumsdiskussion „Sustainability first“ über grüne Filmproduktion in Cannes vorstellen wird.
Parallel zu Hollywood hat sich in Frankreich das Konsortium Ecoprod frühzeitig des Themas Nachhaltigkeit angenommen. In Deutschland begann 2011 die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein mit der Einführung des Grünen Drehpasses, der bundesweit vergeben wird. Die Filmförderung der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg lobte kürzlich ein Förderprogramm für ressourcenschonende Produktionsweisen aus und erstellt ebenfalls einen Leitfaden inklusive CO2-Rechner für Filmproduktionen. Zu den Vorreitern im Bereich grüne Film- und Fernsehproduktion gehörten in Deutschland auch das Studio Hamburg und die Bavaria Filmstudios, sagt Heidsiek.
Keine Kulissen aus Styropor
Die Maßnahmen zur Nachhaltigkeit in der Filmproduktion sehen überall gleich aus, erklärt Heidsiek: Vom Einsatz von LED-Beleuchtungstechnik über Elektroautos bis hin zu Mülltrennung oder Recycling auf dem Set. Produktionen können auf Dieselgeneratoren, Einweggeschirr und auf Kulissen aus Styropor verzichten, Kostüme und Requisiten aus dem Fundus verwenden, statt neue herzustellen. „Das betrifft den gesamten Workflow einer Produktion, weil die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in jedem Gewerk ihre Gewohnheiten ändern müssen. Die Arbeit beginnt bereits in der Planungsphase“, erklärt Heidsiek. Der Aufwand macht jedoch Sinn: Laut einer französischen Studie ist der ökologische Fußabdruck der Filmindustrie bislang so groß wie der der Telekommunikationsbranche.
In der Film- und Fernsehbranche gibt es bisher keine Umweltauflagen wie etwa in der Autoindustrie. LED-Beleuchtung werde längst noch nicht flächendeckend vorgehalten, sagt Heidsiek. Noch fehle es oft an der Infrastruktur, die Nachfrage nach nachhaltigem Equipment sei gering. „Produktionen klagen immer über das gleiche Problem: Sie haben keine Zeit und kein Geld“, sagt Heidsiek.
In Deutschland komme erschwerend der Fördertourismus der Filmproduktionen hinzu. Einer der größten Posten bei der CO2-Bilanz einer Filmproduktion ist der Transport. Da die Produzenten oftmals von mehreren regionalen Filmförderungen Fördermittel erhalten, müssen sie in jeder dieser Regionen auch drehen. „Viele Filmteams ziehen wie eine Karawane von Berlin nach Düsseldorf bis nach München quer durch die Republik, was weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll ist“, sagt Heidsiek.
Jedes Kino mit eigenen Aufgaben
Es sind von Land zu Land spezifische Aufgaben, konstatiert Walter Spruck auch für die Kinos. Große Ketten haben wesentlich mehr Ressourcen zur Verfügung und haben mehr Personal, um das Thema Nachhaltigkeit anzugehen. Große Kinoketten sind oft deshalb energieeffizienter als kleine Programmkinos, weil sie in extra neu errichteten Gebäuden untergebracht sind, die wegen der geltenden Bauauflagen zum nachhaltigen und energieeffizienten Bauen energiesparender sind. Beim „Preis für nachhaltiges Kino“ in Hessen nimmt Spruck deshalb die Situation vor Ort in Augenschein. „Wir schauen uns an, ob die Kinos einen Nachhaltigkeitsplan und ein Interesse an einer Bestandsaufnahme und einer Zielsetzung haben“, sagt er.
Spruck hofft, das Projekt bundesweit auszudehnen. In Hessen war die Einführung des Preises im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Regierung verankert, in Berlin ist ein Antrag der Grünen im Bundestag auf einen gesamtdeutschen Preis gescheitert. „Wenn die Politik nicht vorangeht, dann wird der Kulturbereich nicht nachhaltiger“, glaubt er. Als Beispiel nennt er, dass der mit Abstand größte CO2-Posten bei einer Filmvorführung nicht die Frage sei, ob die Becher für die Getränke aus Plastik sind oder aus Pappe. Den größten Posten macht vielmehr die An- und Abreise der Gäste aus.
Spruck schlägt etwa vor, in Kinotickets in Ballungszentren den Nahverkehr kostenlos zu integrieren, was bei Fußballspielen und Konzertveranstaltungen bereits oft der Fall ist. Dazu müssten die Veranstalter und die Nahverkehrsbetriebe kooperieren, sonst würden die Kinopreise steigen. „Da müssen noch viele Gespräche geführt werden“, sagt Spruck.