Frage: Gerade noch rechtzeitig haben genügend Länder das Klimaabkommen ratifiziert, so dass es nun zum Auftakt der COP22 in Kraft treten kann. Das hatte in Paris noch kaum jemand für möglich gehalten. Welche Erwartungen haben Sie vor diesem Hintergrund an die UN-Klimakonferenz?
Karsten Sach: Im Paris-Abkommen hat die Weltgemeinschaft beschlossen, dem globalen Klimawandel durch eine Transformation hin zu resilienten klimaneutralen Gesellschaften zu begegnen. Wie ernst sie diese Herausforderung nimmt, zeigt das rasante Inkrafttreten. Diesen historischen Erfolg für den internationalen Klimaschutz wollen wir in Marrakesch sicher ein wenig feiern. Zugleich muss von der COP22 ein eindeutiges Signal für die ambitionierte Umsetzung des Paris-Abkommens ausgehen. Das Regelwerk zur effizienten Umsetzung muss auf den Weg gebracht werden, 2018 als wichtiger Meilenstein im Prozess etabliert werden.
Marokko hat inzwischen einen höheren Anteil an Ökoenergien am Strommix als Deutschland, genauso wie einige lateinamerikanische Staaten. Selbst China ist kurz davor, seinen Höhepunkt an Emissionen zu erreichen – obwohl das Land dies in Paris erst für das Jahr 2030 versprochen hat. Was muss Europa tun, um seine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz wieder zu erreichen? Was kann Deutschland dazu beitragen?
Dies ist ein eindeutiges Zeichen, dass die Energiewende in vielen Staaten bereits Realität ist und sich enorm beschleunigt. Energieeffizienz und Erneuerbare Energien werden zur neuen Normalität. Europa wird zeigen müssen, dass es bei diesem Wettlauf um die Zukunft weiter an der Spitze steht und seine Transformation beschleunigen. Klimaschutz muss in alle Politiken, inklusive der Strukturpolitiken, noch stärker integriert werden. Deutschland kann dafür ein Beispiel geben – mit einem Klimaschutzplan 2050, der klare Orientierungen für die einzelnen Sektoren enthält und Schlüsselmaßnahmen auf den Weg bringt.
Private Akteure verlangen nach klaren Preissignalen, langfristigen Klimazielen und Transparenz über Klimarisiken, um sich noch stärker engagieren zu können. Die Politik muss hier liefern, um den Geist von Paris in die Realwirtschaft zu übertragen. Es geht auch nicht darum, im Detail die zukünftige Entwicklung in allen Sektoren vorzuzeichnen, sondern um den Einstieg in einen lernenden Prozess. Der Klimaschutzplan soll zukünftig regelmäßig überprüft und im Sinne der Pariser Übereinkunft fortgeschrieben werden.
Nachdem die EU es Ende September im Schnellverfahren möglich gemacht hat, das Pariser Klimaabkommen zu ratifizieren, werden nun harte Auseinandersetzungen über die Lastenverteilung innerhalb der EU erwartet. Was sind die Bedingungen dafür, dass es weiterhin eine gesamteuropäische Klimapolitik geben wird? Welche Rolle spielt die EU?
Es ist nicht überraschend, dass wir bei der Zielverteilung innerhalb der EU durchaus kontroverse Diskussionen haben – das liegt in der Natur der Sache. Wesentliche Eckpunkte der Zielverteilung sind aber bereits durch den Europäischen Rat im Oktober 2014 entschieden und vorgezeichnet worden. Ich bin mir daher auch sicher, dass es zu einer Einigung kommen wird und dass es auch weiterhin eine gemeinsame EU-Klimapolitik geben wird, die auch global wichtige Impulse setzt. Wichtig ist es, dass die EU die Klimapolitik zum Kern ihrer Modernisierungs- und Strukturpolitik macht. Und es ist wichtig, dass die EU-Mitgliedstaaten diesen Weg gemeinsam gehen, denn das senkt für uns alle die Kosten und vermeidet Verzerrungen im Binnenmarkt.
In Marrakesch wird es um die konkrete Ausgestaltung der abstrakten Pariser Einigung gehen. Welches sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Punkte bei der Umsetzung, damit das Pariser Klimaabkommen auch Wirkungen zeitigt und zu einem Erfolg wird?
Wir wollen die Vertragsstaatenkonferenz nutzen, um einen ambitionierten Fahrplan für die weiteren Verhandlungen zu beschließen, damit das Abkommen zügig umgesetzt werden kann. Konkret bedeutet das: Die Diskussionen zur globalen Bestandsaufnahme, zu Unterstützungsleistungen, zum internationalen Warschau-Mechanismus für klimabedingte Verluste und Schäden und zu einem verstärkten Transparenzsystem für die Minderung und Unterstützungsleistungen gilt es zu beschleunigen. Wir wollen das Regelbuch anspruchsvoll und zügig schreiben.
Darüber hinaus werden wir uns auch in anderen Foren für eine ambitionierte Umsetzung des Paris-Abkommens einsetzen. Im Dezember dieses Jahres übernimmt Deutschland von China die G20-Präsidentschaft. Die G20-Agenda der deutschen Präsidentschaft wird von Bundeskanzlerin Merkel vorgestellt. Aber wir wissen bereits, Klimaschutz wird ein Schwerpunkt der Präsidentschaft sein. Und wir sind fest entschlossen zu zeigen, dass der Übergang zu einer treibhausgasneutralen und klimaresilienten Wirtschaft ohne Nachteile für Wachstum, Beschäftigung und Stabilität vollzogen werden kann. Unser Ziel ist es, die Umsetzung des Paris-Abkommens stärker innerhalb der G20 zu verankern. Dafür hoffen wir, möglichst viele G20-Länder zu gewinnen.
Ein wichtiger Punkt auf der Agenda werden die Schäden und Verluste durch den Klimawandel (etwa der Umgang mit Klimaflüchtlingen oder Landverluste durch Meeresspiegelanstieg) und damit auch um finanzielle Kompensation für die Betroffenen sein. Erwarten Sie in diesem strittigen Punkt in Marrakesch größere Fortschritte? Was halten Sie von dem Gedanken einer Art Versicherungssystems für die besonders Betroffenen, das auch von den Verursachern bezahlt wird?
In Marrakesch wird es um die Fragen gehen, wie der Warschau-Mechanismus weiterarbeiten soll und wie die Aufträge aus den Entscheidungen von Paris umgesetzt werden können. Es wird also um Lösungsvorschläge zur klimawandelbedingten Vertreibung und die Etablierung einer Informationsplattform für Klimarisikoversicherungen gehen. Die G7-Initiative InsuResilience zur Versicherung von 400 Millionen Menschen bis 2020 gegen Klimaschäden stellt hier einen wichtigen Ansatz dar, zu dem Deutschland einen großen Beitrag in Kooperation mit bestehenden Initiativen und der Weltbank beiträgt. Finanzielle Kompensationen, so wurde es in Paris beschlossen, werden hingegen nicht Inhalt der Verhandlungen sein.
Welches sind aus Ihrer Sicht die kontroversesten Punkte, die es in Marrakesch zu lösen gilt?
In Paris wurde beschlossen, dass die Detailregelungen für die Ausgestaltung des Paris Abkommens bis 2018 ausgehandelt werden sollen. Es geht also darum, den Fahrplan und die Struktur für dieses Regelbuch gut aufzusetzen. Ich erwarte nicht, dass es in Marrakesch dazu unüberwindliche Streitpunkte gibt. Mit den Themen Nationally Determined Contribution (NDC)-Umsetzung, Klimafinanzierung und Kapazitätsaufbau hat die COP22 daher auch eine klare Umsetzungsagenda. Und ich bin zuversichtlich, dass der Start der NDC-Partnerschaft und die Vorstellung und Diskussion des Fahrplans für die Klimafinanzierung einen wesentlichen Beitrag dazu leisten werden, die Umsetzung des Abkommens voranzutreiben.
Es wird unter anderem darüber spekuliert, ob Deutschland weitere finanzielle Zusagen machen wird. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch eine Initiative, welche die Bundesregierung auf dem Gipfel vorstellen will: Sie will Entwicklungsländern dabei helfen, ihre Klimapläne umzusetzen und mehr Ökoenergien zu installieren. Ihre Einschätzung dazu?
Das ist richtig. Wir entwickeln derzeit gemeinsam mit anderen Ländern und in engem Schulterschluss mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine internationale Partnerschaft zur Umsetzung der nationalen Beiträge. Diese sogenannte NDC-Partnerschaft – NDC steht dabei für Nationally Determined Contribution, also national festgelegte Beiträge zum Klimaschutz und zur Emissionsreduktion – soll zusammen mit den Entwicklungsländern und anderen Gebern die Umsetzung der NDCs unterstützen und voranbringen. Sie soll helfen, Kapazitäten in den jeweiligen Ländern aufzubauen. Sie wird in Marrakesch offiziell ins Leben gerufen werden und wird von Marokko als eines der wichtigsten Ergebnisse der Konferenz angesehen. Wir werden innerhalb der von Deutschland gegebenen Verdoppelungszusage sicher einige konkrete Zusagen machen, aber an Spekulationen darüber beteilige ich mich nicht.
Die Fragen stellte Carolyn Braun.