Der Fischmarkt in Warnemünde ist bekannt für seine fangfrischen Schollen, seinen Hering, Dorsch oder Aal, aber auch Süßwasserfische wie Karpfen. Der sei ein gutes Beispiel, wo es derzeit noch schwer sei mit dem plastikfreien Verpacken, sagt Inga Knospe, Geschäftsführerin der städtischen Großmarkt Rostock GmbH. Das Unternehmen organisiert und betreut insgesamt 13 Wochenmärkte in Rostock und Stralsund, außerdem verschiedene Spezialmärkte und Volksfeste in Rostock und Mecklenburg-Vorpommern. „Es gibt abbaubare Maisstärketüten, aber die halten einem Karpfen nicht lange stand. Das Risiko ist zu groß, dass da ein Malheur passiert“, sagt Knospe. Ähnlich sei es auch bei Salzgurken, Krautsalaten und anderen säurehaltigen Lebensmitteln.
Die Großmarkt Rostock GmbH ist eines der Gründungsunternehmen der Initiative „Plastikfreie Stadt“, die sich seit 2019 zum Ziel setzt, den Verbrauch von Einwegplastik in Unternehmen zu reduzieren. Zunächst in Rostock, später darüber hinaus. Die Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN) haben dem Projekt im Rahmen des Wettbewerbs „Projekt Nachhaltigkeit 2020“ als einem von bundesweit vier, die Auszeichnung „Transformationsprojekt“ verliehen, weil es besonderes Potential für einen gesellschaftlichen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit hat.
Das Beispiel Fischmarkt verdeutliche, dass es bei der Plastikfreiheit teilweise noch neuer Lösungen bedürfe, sagt Knospe. Während Corona habe man von einigem auch wieder abrücken müssen, weil beispielsweise viele Händler auf den Märkten keine Industriespülmaschinen für die nötige Hygiene von Mehrwegbechern hätten. Knospe hat deshalb die Großmarkt Rostock GmbH zunächst intern einer Plastikkur im Büroalltag unterzogen. „Sehr gut lief es aber auch bei den Großveranstaltungen, die wir 2020 noch machen konnten. Da haben wir Holzbesteck und Mehrwegsysteme für Getränke vorgeschrieben, da gibt es mittlerweile sehr gute Lösungen“, sagt sie.
Plastikfrei oder plastikarm?
Wie weit geht Plastikfreiheit nun insgesamt? Die EU macht immer mehr Vorgaben: In Deutschland sind ab Juli 2021 einige Wegwerfprodukte aus Plastik verboten. Dazu zählen Einwegbesteck, Wattestäbchen, Strohhalme oder Rührstäbchen. Ab 2022 sind leichte Plastiktüten verboten. Ab 2023 gibt es zwar ein Gebot, etwa Kaffee „To Go“ auch in Mehrwegbechern anbieten zu müssen, Einwegbecher bleiben aber erlaubt. Komplette Plastikfreiheit sei Name, Anspruch und Utopie zugleich, sagt Antje Benda, die unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit des Projekts macht. „Uns ist durchaus bewusst, dass komplett plastikfrei nicht zu erreichen ist. Jedes Auto und jeder Monitor hat Plastik. Aber der Name ist bewusst gewählt. Plastikarm wäre halbseiten“, sagt sie.
Inspiriert ist die Initiative von der britischen Stadt Penzance, malerisch gelegen an der Steilküste Cornwalls an der alleräußersten Südwestspitze Englands. Sie hat als erste Stadt auf der Insel die Auszeichnung „Plastic Free“ der Umweltorganisation „Surfer against Sewage“ erhalten. Während der Corona-Pandemie hielt die Stadt ihren Kurs – und schaffte plastikfreie Mundschutzmasken an. In Rostock ist Samuel Drews Miteigner der Hafenbar „RostDock“ und als er 2019 eine Dokumentation über die englische Kleinstadt sah, war die Idee geboren, auch in Rostock gegen die Vermüllung vorzugehen.
Die heute sieben Macher*innen von „Plastikfreie Stadt“ tragen die Initiative mit einer Mischung aus Ehrenamt und Bezahlung, finanziert durch Fördermittel und Beiträge der Unternehmen und Stadt. Da sei auch viel Idealismus mit im Spiel, sagt Benda. Denn wie auch Penzance kämpft Rostock mit dem Plastik. „Ich bin hier aufgewachsen und war jedes Jahr am Strand. Man badet in der Ostsee und dann schwimmt eine Plastiktüte neben dir. Das wird einfach immer mehr“, sagt Benda.
Der Kern der Idee ist, dass sich Unternehmen gegenseitig unterstützen. In der ersten Runde 2019 akquirierte das Team sechs Unternehmen für eine Initialzündung. Das Hotel Radisson Blu, die Einrichtungshäuser Möbel Wikinger, die erwähnte Großmarkt Rostock GmbH, Da Joir Ma, eine Kaffeerösterei mit eigenen Cafés, die Agentur fint und eben RostDock. Zunächst analysieren die Unternehmen selbst, wie viel Einwegplastik sie verbrauchen, dazu hat „Plastikfreie Stadt“ ein Excel-Tool entworfen und berät. „Den Plastikverbrauch erfassen, das ist zu Beginn durchaus aufwändig, man muss das ganz kleinteilig machen“, sagt Benda.
Weg mit den “ToGo”-Bechern
Oft stehen dann Gespräche mit Zulieferern an – was den Vorteil hat, dass sich der Gedanke, Plastik zu vermeiden, verbreitet. So hat das Radisson Blu erreicht, dass Lieferanten Ware nicht mehr zusätzlich in Plastik einwickeln, weil das den Transport erleichtert. Insgesamt hat das Hotel seinen Verbrauch um mehr als 50 Prozent verringert – und wird dadurch als erstes Unternehmen der Stadt schon bald zwei von drei plastikfrei-Sternen einheimsen. Den ersten gibt es, wenn mindestens zehn Prozent Einwegplastik eingespart, den dritten, wenn 80 Prozent erreicht sind.
„Im zweiten Schritt werden dann die Unternehmen aus der ersten Runde gefragt, ob sie zwei oder drei neue Unternehmen unterstützen können“, sagt Benda. Das Mitmachen bei der Initiative kostet im ersten Jahr eine Teilnahmegebühr von 50 bis 1.000 Euro – je nach Unternehmensgröße – danach nur noch 20 Prozent des Betrags. Letztlich soll die Idee von selbst von Unternehmen zu Unternehmen und zu Lieferanten weitergetragen werden. Eine Anti-Plastik-Welle statt einer Plastikflut. Weil die Wege aus der Plastikfalle von Branche zu Branche und Region zu Region völlig unterschiedlich sind, mache es ohnehin keinen Sinn, einheitliche Schablonen vorzugeben, sagt Benda. Das Wissen und der Wille zur Plastikvermeidung müsse sich dynamisch in einem Netzwerk entwickeln.
Die Macherinnen und Macher der Initiative selbst wollen dabei koordinieren, netzwerken, unterstützen, Unternehmen ansprechen und hoffen, dass irgendwann so viele mitmachen, dass sich ein kleines Team für diese Aufgaben von selbst trägt. Schon jetzt haben sich Unternehmen aus Hamburg und Bremen gemeldet und wollen bei der Initiative mitmachen. Die Idee verbreitet sich also, ähnlich wie in Großbritannien – dort machen mittlerweile mehr als 150 Ortschaften entlang der Küste mit.
Den nächsten Schritt haben sie in Rostock schon angepeilt: der Kampf gegen die „ToGo“-Kaffeebecher. „Ich wohne in der Nähe von einem Stadtpark. Die Raben und Krähen pulen alles aus den Mülleimern raus und überall liegen die Becher rum. Auch wenn die aus Pappe sind, ist das nicht schön“, sagt Benda. Ein erstes virtuelles Treffen mit der IHK zu Rostock, der Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern und Rostocks Senator für Umwelt, Holger Matthäus, gab es bereits im Oktober vergangenen Jahres. Das Plastikfrei-Team sei „am rödeln“, man spreche mit Bäckereien und Ketten über die nächsten Schritte, so Benda. Das Team wolle den Unternehmen Wahlfreiheit bei den Mehrwegsystemen lassen und die geeigneten vorstellen. „Unser Ziel ist durchaus, Mehrwegbecher ganz aus der Stadt zu verbannen – und letzten Endes auch ein plastikfreies Rostock zu schaffen“, sagt Benda. Auch wenn das im Moment noch utopisch klinge.
Projekt Nachhaltigkeit
„Projekt Nachhaltigkeit“ (zuvor „Werkstatt N“) zeichnet Initiativen und Projekte aus, die sich für eine nachhaltige Entwicklung in der gesamten Breite der Gesellschaft einsetzen. Das etablierte Qualitätssiegel wird auch in 2021 von den vier RENN (Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien) in Kooperation mit dem RNE (Rat für Nachhaltige Entwicklung) verliehen.
Mehr unter www.projektnachhaltigkeit.renn-netzwerk.de und www.renn-netzwerk.de