Die schlechte Nachricht zuerst: Auch 2022 wurden weltweit wieder neue Wärmerekorde seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gebrochen. Um den Klimawandel aufzuhalten, ist rasches Handeln angesagt. Eine der Antworten auf die Klimakrise ist der massive Ausbau erneuerbarer Energien. Die gute Nachricht ist, dass die und der Einzelne sehr einfach zum Ausbau der Erneuerbaren beitragen kann. Viele Bürger*innen tun dies auch schon, indem sie etwa Energiegenossenschaften in ihrer Region gründen oder sich an bestehenden beteiligen. Mehr noch: Privatpersonen investieren in die Energiewende und stellen damit eine wichtige Säule für sauberen Strom im Land dar.
Ökostrom von Bürger*innen für Bürger*innen
Mittlerweile 883 Energiegenossenschaften mit über 200.000 Mitgliedern treiben die grüne Energiewende mittels Photovoltaik-, Windkraft- und Wasserkraftanlagen, die sie in ihrer unmittelbaren Umgebung installieren, voran. Um die erneuerbare Energieversorgung in Deutschland dezentral und regional weiter voranzutreiben, haben 2013 neun Energiegenossenschaften zusammen die Bürgerwerke gegründet, den ersten Ökostromversorger in Bürgerhand.
„Gemeinsam können wir mehr Wirkung erzeugen und mehr erreichen. Das war der zentrale Gedanke bei der Entstehung“, sagt Sara Haug von den Bürgerwerken. Die Gründung der Bürgerwerke ermöglichte es den Energiegenossenschaften, endlich auch Ökostrom am Markt anzubieten. Denn für einzelne Genossenschaften ist es kaum möglich, die komplexen Anforderungen eines Energieversorgers zu erfüllen. „Dank der Bürgerwerke, die alle administrativen Aufgaben der Stromlieferung für uns übernehmen, kann unsere Energiegenossenschaft nicht nur erneuerbaren Strom produzieren, sondern auch Menschen mit 100 Prozent Ökostrom versorgen“, sagt etwa Laura Zöckler, Vorstandsmitglied der Heidelberger Energiegenossenschaft (HEG), eines der neun Gründungsmitglieder der Bürgerwerke.
Fruchtbares Netzwerk
Der Verbund dient außerdem als Plattform für den Erfahrungsaustausch zwischen den Energiegenossenschaften, um etwa neue Lösungen wie Mieterstrom oder regionale E-Ladesäulen weiterzugeben. Die HEG hat sich etwa Gedanken gemacht, wie Mieter*innen an der Energiewende teilnehmen können. So entstanden mehrere Projekte in und um Heidelberg, bei denen Mehrparteienhäuser mit Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach ausgestattet wurden. Der produzierte Solarstrom wird zuerst im Haus vor Ort genutzt. Die HEG ist auch im Bereich E-Mobilität aktiv und errichtete 2018 ihre erste Ladesäule. Mittlerweile gibt es fünf Ladesäulen und weitere sind in der Planung, die zum BürgerLadenetz der Bürgerwerke gehören.
Inzwischen sind die Bürgerwerke auf 111 Mitglieder angewachsen, in denen über 1.000 Menschen ehren- oder hauptamtlich tätig sind. Sie versorgen deutschlandweit über 40.000 Haushalte und damit mehr als 100.000 Menschen mit Ökostrom.
Vergangenes Jahr hat sich eine junge, aber sehr aktive Genossenschaft den Bürgerwerken angeschlossen: Bürgerenergie Oder-Spree in Brandenburg ermöglicht den Bau von Photovoltaik-Anlagen an öffentlichen Gebäuden in finanzschwachen Kommunen. „Die Bürgerwerke helfen uns als junger Energiegenossenschaft sehr, uns zu professionalisieren. Sie unterstützen uns bei Aktivitäten wie Kampagnen, Mitgliederwerbung und Stromangebot. Dies könnten wir als Ehrenamtliche in dieser Form nicht schaffen“, sagt Vorständin Janina Messerschmidt.
Sichere Stromversorgung auch in der Krise
Die Energiekrise und das Chaos an den Strommärkten, die der Ausbruch des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine 2022 ausgelöst haben, gingen auch an den Bürgerwerken nicht spurlos vorbei. Die Bürgerwerke liefern jedoch weiter zuverlässig Strom und es gibt keinen Aufnahmestopp für Neukund*innen, den etwa manche Stromanbieter einführen mussten. Allerdings sahen sich die Bürgerwerke gezwungen, die Tarife mehrmals, statt wie üblich nur einmal im Jahr, für neue Kund*innen angehoben. „Wir machen das ehrlich und transparent und machen damit keinen Gewinn, sondern bezahlen mit den höheren Tarifen die Anlagenbetreiber*innen“, unterstreicht Haug von den Bürgerwerken. Aktuell kümmern sich die Bürgerwerke darum, dass die Entlastungen aus den Preisbremsen der Bundesregierung eins zu eins bei den Energiekund*innen ankommen.
Energiewende von unten
Die Bürgerwerke machen es jeder und jedem leicht, einen Beitrag zur Energiewende zu leisten. Der einfachste Schritt ist, Strom von den Bürgerwerken oder einer Energiegenossenschaft in der Nähe zu beziehen und somit den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Region zu unterstützen. Eine andere Möglichkeit ist die Mitgliedschaft in einer Energiegenossenschaft oder direkt in Projekte für Anlagen zu investieren.
Die Gewinne fließen bei den Bürgerwerken an ihre Mitgliedsgenossenschaften weiter, die die Einnahmen in den Bau neuer und den Ausbau bestehender Anlagen reinvestieren. Außerdem haben die Bürgerwerke einen Förderbeitrag in der Höhe eines halben Cents pro bezogener Kilowattstunde eingeführt, der ebenfalls in den Ausbau erneuerbarer Anlagen fließt. Ziel der Bürgerwerke ist es, auch 2023 weiter zu wachsen. „Mehr Mitglieder bedeuten ein größeres Netzwerk, damit wir mehr Menschen in den Regionen unterstützen können und damit noch mehr Anlagen auf lokaler Ebene gebaut werden können“, so Haug.
Das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit ist für die Bürgerwerke und ihre Ziele ein guter Hebel. „Wir freuen uns, wenn wir über das Gemeinschaftswerk mehr Menschen erreichen und gemeinsam größeres bewirken können“, beschreibt Haug die Erwartungen der Bürgerwerke an das im vergangenen Herbst offiziell gestartete Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit. Sophia Petersdorff-Campen, Koordinatorin des Gemeinschaftswerks in der RNE-Geschäftsstelle: „Die Bürgerwerke sind Treiber der Energiewende. Das Gemeinschaftswerk will Beteiligungsmöglichkeiten wie diese noch sichtbarer machen und die vielen unterschiedlichen Akteure online und offline zusammenbringen.“