„Die Energiewende hängt von Dörfern und Regionen ab“ – Interview mit dem Historiker Timothy Moss

Die Bundesregierung hat am 22. Januar Eckpunkte zur Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) beschlossen, um die Kosten der Förderung zu senken und den Ausbau von Windrädern, Solaranlagen und Biogaskraftwerken genauer planen zu können. Bei der Novelle berücksichtige die Regierung aber nicht die Bedürfnisse kleiner, lokaler Investoren, beklagt der Regionalforscher Timothy Moss vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) im brandenburgischen Erkner.

Herr Moss, Sie haben viel zu Beteiligungen von Bürgern an Energieprojekten geforscht. Wie beurteilen Sie aus dieser lokalen Perspektive die Eckpunkte zur Energiewende, die das Bundeskabinett vor kurzem beschlossen hat?

Es ist schon interessant, dass die Eckpunkte gar nicht auf die Energiewende in Kommunen und Regionen eingehen. Dieses Thema wird mit keinem Wort erwähnt, dabei hängt aus meiner Sicht der Erfolg der Energiewende von der Umsetzung in Dörfern und Regionen ab.

Warum?

In unserer Forschung schauen wir gerade, welche Organisationen dieser Art es überhaupt gibt. Seit dem Beschluss zur Energiewende von 2011 sind über 600 Energiegenossenschaften entstanden. Dazu kommen zum Beispiel noch Bioenergiedörfer, bei einem bundesweiten Wettbewerb waren es 94. Wenn man schaut, wie viele Kommunen jetzt dabei sind, ihre eigenen Energiekonzepte auf Basis der bundesweiten Energiewende oder von Zielsetzungen der Bundesländer umzusetzen, dann merkt man, was für eine Dynamik 2011 ausgelöst wurde. Es ist schon erstaunlich, dass diese Stärken keine Anerkennung in dem neuen Eckpunktepapier finden. Sie werden nebenbei erwähnt, aber wenn man sich die Instrumentarien ansieht, sind sie nicht darauf ausgerichtet.

Welche Instrumente meinen Sie?

Zum Beispiel die verpflichtende Direktvermarktung”¦

”¦die Betreiber von Windrädern oder Bauern mit Solaranlagen auf ihren Scheunendächern dazu zwingen soll, ihren Strom selbst an der Börse zu verkaufen, was ihnen zuvor die Netzbetreiber abgenommen haben.

Dieses Instrument macht es Betreibern von Kleinanlagen schwer, ihren Strom auf den Markt zu bringen. Es baut zumindest eine gewisse Hürde auf, es ist ein Mehraufwand, der manche Betreiber abschrecken könnte. Für Investoren und die hinter ihnen stehenden Banken ist es ein zusätzliches Risiko. Die Gefahr besteht, dass kleinere Investoren, Genossenschaften oder einzelne Bürger aus dem Markt verdrängt werden könnten.

Eine große Gefahr für die Akzeptanz der Energiewende geht aber auch von den Kosten aus. Von der teuren Offshore-Windenergie abgesehen erzeugen große Anlagen Ökostrom billiger als kleine.

Man kann nicht pauschal davon ausgehen, dass große Anlagen günstiger sind. Wenn man die Kosten für die Energiewende näher betrachtet, sind die Energiesysteme am effizientesten, die Angebot und die Nachfrage räumlich zusammenbringen. Sehr teuer ist es dagegen, wenn man Strom woanders und zu anderen Zeiten produziert, als er verbraucht wird – egal ob in großen oder kleinen Anlagen. Das bedeutet enorme Netzkosten, die umgelegt werden auf die Regionen, in denen diese Investitionen getätigt werden.

Wirklich? Der Bau der großen Nord-Süd-Stromtrassen soll in den nächsten zehn Jahren insgesamt 20 Milliarden Euro kosten. So viel zahlen die Stromkunden für erneuerbare Energien in einem einzigen Jahr. Windstrom herzustellen ist in Süddeutschland nun Mal teurer als im windreichen Norden.

Die Frage ist, inwieweit andere Formen der Stromerzeugung regionale Versorgungskonzepte ermöglichen, so wie Biomasse oder Photovoltaikanlagen”¦

”¦die deutlich teurer sind als Windräder. Aber abgesehen von den Kosten dezentraler Versorgungskonzepte: Welche Rolle spielen sie für die Akzeptanz der Energiewende?

Die lokale Ebene spielt eine entscheidende Rolle für die Umsetzung, dort werden aber auch Konflikte sichtbar. Wir haben allein in Brandenburg weit über 50 Bürgerinitiativen gegen Windparks und das ist natürlich ein zweiter Grund, warum die lokalen und regionalen Bedingungen der Energiewende zum Kern einer energiepolitischen Reform gemacht werden sollten. Dass auf diese Konflikte vor Ort und Möglichkeiten sie zu entschärfen nicht eingegangen wird, ist schon bezeichnend.

Was befürchten Sie, wenn die lokalen Aspekte der Energiewende nicht stärker berücksichtigt werden?

Wir haben gewisse Vorboten für mögliche Folgen des Vorrangs externer, finanzstarker Investoren. Das sind vor allem Gegenden in Ostdeutschland. Wir haben die Prignitz genau untersucht und dort kann man sehen, dass die Einnahmen und andere Vorteile an den Bürgern und Gemeinden vorbeigehen. Das schürt die Konflikte noch an. Lebens- und Kulturräume werden zu Installationsräumen, die für Investitionen benutzt werden.

Das Interview führte Manuel Berkel.

Weiterführende Informationen

Eckpunkte der Bundesregierung zur EEG-Reform vom 22.1.2014 [PDF, 297 kB]

Forschungsprojekt EnerLOG des Leibniz-Instituts IRS

Interessenvertretung Bündnis Bürgerenergie