“Ist das Klima ein Risiko für das Finanzsystem oder das Finanzsystem ein Risiko für das Klima?” Immer wieder machte Johannes Wagner auf der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) mit seinen erfrischend klaren Einwänden deutlich, wie dringend geboten ein Umdenken in der Finanzindustrie ist. Als einer von zahlreichen Teilnehmenden am Forum Green Finance, darunter Investmentspezialisten, EU-Verantwortliche, Verbraucherschützer und kommunale Vertreter, diskutierte der deutsche UN-Jugenddelegierte für nachhaltige Entwicklung darüber, wie man “Finanzakteure motivieren könne, in die Transformationsprozesse der Nachhaltigen Entwicklung zu investieren”. So formulierte es RNE-Ratsmitglied Achim Steiner, Direktor der Oxford Martin School und kürzlich ernannter Leiter des UN-Entwicklungsprogrammes (UNDP). Und fragte gleich zu Anfang: “Wie lässt sich erklären, dass ein Land wie Deutschland, das in Sachen Nachhaltigkeit Vorreiter ist, im Finanzsystem so stark hinterher hängt?”
Der Markt für nachhaltige Entwicklung in Deutschland ist rückständig. Auch wenn das relative Wachstum auf den ersten Blick beeindruckend erscheint, ist der Anteil nachhaltiger Investments am Gesamtmarkt mit 2,8 Prozent im Jahr 2016 immer noch mager.
Schon am Vormittag hatte der ehemalige Bundesforschungsminister Volker Hauff klare Worte gefunden. Im Gespräch mit dem RNE-Generalsekretär Günther Bachmann sagte das deutsche Mitglied der Brundtland-Kommission: “Die Transformation der Finanzwirtschaft ist die Schlüssellösung im Jahre 30 des Brundtland-Berichts.” 1987 hatte Hauff die deutsche Version des Berichts herausgegeben, der den ersten Anstoß für einen weltweiten Diskurs um das Thema Nachhaltigkeit gab. 30 Jahre später analysierte er auf der Bühne des Berlin Congress Center bcc: Für eine nachhaltige Entwicklung sei langfristiges Denken entscheidend, und davon sei gerade die Finanzwirtschaft weiter denn je entfernt. Er verortete die “härtesten Gegner der Nachhaltigkeit” im Finanzsektor, aufgrund ihres kurzfristigen Denkens.
Drei Billionen Dollar bis 2030
Wenn viel zu viele Wirtschaftsakteure noch viel zu viel Geld mit der Wirtschaft von gestern verdienen, wird Veränderung nicht stattfinden. Ohne die Kapitalmärkte wird es keine Veränderung geben: Weltweit werden drei Billionen US-Dollar durch Privatwirtschaft investiertes Geld für erforderlich gehalten, um die globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) bis 2030 zu erreichen. Für die EU der 28 werde ein jährlicher Investitionsbedarf von 240 Milliarden Euro im Jahr angenommen, sagte Martin Koch von der Generaldirektion für Finanzstabilität und Kapitalmärkte in der EU-Kommission. Ein Grund für die EU-Kommission, die High Level Expert Group on Sustainable Finance zu berufen, die bereits diesen Sommer 2017 einen Zwischenbericht und zum Jahresende den Schlussbericht vorlegen soll.
Auch im aktuellen Arbeitsprogramm des RNE zählt die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung (Green/Sustainable Finance) zu den Schwerpunktthemen. Die Ratsmitglieder Steiner und Alexander Bassen, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, haben dazu mit RNE-Generalsekretär Bachmann ein Diskussionspapier erstellt, das seit März 2017 unter anderem auf der PAGE-Konferenz und im Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung präsentiert wurde. Dieses “living document" wird in den kommenden Monaten weiterentwickelt. Zentraler Gedanke darin ist, in Deutschland einen Hub for Sustainable Finance zu gründen, über den sich die verschiedenen Akteure austauschen können. “Ist eine solche Diskussion in einem Forum wie dem RNE überhaupt sinnvoll?”, fragte Steiner. Und bejahte: Der RNE sehe sich in der besonderen Rolle, Finanzinstitutionen mit Verbrauchern zusammenbringen, eine Annäherung, die nicht zuletzt nach der jüngsten Finanzkrise im Interesse aller sei. “Wenn die Finanzindustrie weiter in eine Infrastruktur investiert, die nicht zur Problemlösung beiträgt, wird die Spannung zwischen Öffentlichkeit und Finanzwesen extrem werden – das ist spätestens seit 2008 bewusst geworden.”
Fehlendes Wissen – bei Verbrauchern und Beratern
“Verbraucher wollen nicht in Waffen oder Umweltzerstörung investieren”, sagte Annabel Oelmann von der Verbraucherzentrale Bremen in der von RNE-Ratsmitglied Bassen moderierten Diskussion: “Aber sie tun es eben doch.” Ihnen fehle Wissen und die Zeit, sich auf einem schwer überschaubaren Markt selbst einen Überblick zu verschaffen. Die Verbraucherbildung im Finanzbereich lasse zu wünschen übrig, auf der anderen Seite schreckten viele Banker weiterhin davor zurück, nachhaltige Anlagen zu empfehlen – auch weil sie sich damit schlicht nicht auskennen. Zudem sei das Angebot nachhaltiger Investments noch zu schmal. Oelmann forderte: „Private Anleger sind wichtig für die nachhaltige Ausrichtung der Finanzmärkte – dafür brauchen wir Rahmenbedingungen für nachhaltige Standards und Transparenz.“
Michael Schmidt, Mitglied der Geschäftsführung bei Deka Investments, und Matthias Stapelfeldt, Leiter Nachhaltigkeitsmanagement bei Union Investment, bestätigten den Eindruck, dass nachhaltige Investments bei den Privatkunden nicht angekommen seien. “Vielleicht haben wir es vom Hofladen in den Bioladen geschafft, aber wir stehen noch lange nicht im Supermarktregal neben den konventionellen Produkten”, sagte Stapelfeldt. Es sei selbst für nachhaltige Konsumenten noch nicht selbstverständlich, auch nachhaltig zu investieren.
In seinem Schlusswort erneuerte der deutsche UN-Jugenddelegierte Wagner seinen Appell, dass die Zeit dränge und den zahlreichen Worten Taten folgen müssten – unter Applaus aus dem Publikum. Auch die Diskussionsteilnehmer pflichteten ihm bei, trotz des Einwandes, dass heute die Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt würden und dabei im Sinne der Fehlervermeidung nichts überstürzt werden dürfe. Das Thema sei vielschichtig, in der Podiumsdebatte habe man es nicht seiner gesamten Komplexität aufknüpfen können, sagte Ratsmitglied Bassen. Aber die Runde habe erneut viele Impulse gebracht, nicht zuletzt viele Beispiele für nachhaltiges Investment auf kommunaler und Länderebene, die aus dem Publikum beigesteuert wurden. Die Diskussion wird daher innerhalb und außerhalb des RNE weitergeführt werden. Denn auch in Teilen der Finanzindustrie wächst inzwischen das Bewusstsein, dass weiteres Nichthandeln das Risiko nicht nur für die Gesellschaft, sondern damit auch für das Kapital selbst erhöht.