Der erste Teil des neuen Berichts des Weltklimarates IPCC könnte der nötige Weckruf für die internationale Gemeinschaft in Sachen Klimaschutz sein, hofft Monika Rhein. Sie ist Professorin an der Universität Bremen, leitet dort die Abteilung Ozeanographie und war eine der koordinierenden Hauptautorinnen und -autoren des IPCC-Berichts. Im Interview spricht sie über die Gefährdung der Ozeane durch die globale Erwärmung.
Frau Rhein, was hat Sie an den Ergebnissen des neuen Weltklimaberichts am meisten überrascht?
Monika Rhein: Ich habe die letzten fünf Jahre an dem Bericht gearbeitet, da ist es schwer, überrascht zu werden. Allerdings gibt es einige Neuigkeiten. Erstmals ist die Rolle des Ozeans in den Mittelpunkt gerückt. Die Meere speichern über 90 Prozent der Energiezunahme im Klimasystem, zudem landet dort die Hälfte des von Menschen freigesetzten, fossilen Kohlenstoffes. Das hat unangenehme Folgen für die Ozeane: sie versauern.
Ist man sich bei diesen Erkenntnissen sicherer geworden oder handelt es sich um neue Ergebnisse?
Es gab bisher Unklarheiten bei den historischen Temperaturaufzeichnungen in den Ozeanen, da einige der Instrumente mit Fehlern behaftet waren. Aus diesem Grund schwankten die Temperaturen von Jahr zu Jahr sehr. Diese künstlichen Verzerrungen sind nun beseitigt. Jetzt haben wir großes Vertrauen in die Daten.
Was heißt das für die Menschen und das Ökosystem, wenn die Ozeane versauern?
Das heißt, dass vor allem Kleinstlebewesen mit einer Kalkschale unmittelbar gefährdet sind, weil sich der Kalk auflöst. Das kann Auswirkungen auf das gesamte marine Ökosystem haben. Die Gefahr ist im Zusammenhang mit dem Klimawandel bisher völlig unterschätzt worden.
Seit Ende der 90er Jahre sind die globalen Durchschnittstemperaturen nicht mehr gestiegen. Liegt es an den Ozeanen, die mehr Energie speichern?
Auf allen Temperatur –Zeitreihen werden die Trends durch kurzfristige interne oder externe Schwankungen überlagert. Diese können Jahre, aber auch Jahrzehnte dauern. Wir vermuten sowohl externe als auch interne Faktoren als Grund für gleichbleibende Durchschnittstemperaturen. Interne Faktoren sind Umverteilungen der Energie zwischen Ozean und Atmosphäre. Die Ozeane haben wahrscheinlich mehr Energie aufgenommen als in den Jahrzehnten zuvor. Allerdings haben wir noch zu wenige Daten, um das mit Sicherheit sagen zu können. Als externe Faktoren kommen Änderungen in der solaren Einstrahlung in Frage, in den letzten 15 Jahren gab es ein Minimum. Ausserdem gab es mehrere Vulkanausbrüche, die kleine Schwebeteilchen, sogenannte Aerosole, in die obere Atmosphäre gebracht haben. Dort reflektieren sie nun das Sonnenlicht und bremsen die Erwärmung.
Im letzten Bericht von 2007 galten die Einflüsse von Wolkenbildung, Aerosolen und der Ozeane als größte Unsicherheitsfaktoren in den Prognosen. Ist das nun besser greifbar geworden?
In den Klimamodellen ist die Darstellung dieser Faktoren besser geworden, wenn es um die Berechnung des mittleren, globalen Temperaturanstiegs und des mittleren Meeresspiegelanstiegs geht. Bis zu einem gewissen Grad lässt sich das auch auf einzelne Regionen herunterbrechen. Allerdings haben wir weiteren Verbesserungsbedarf. Wir verstehen sehr viel mehr über die Prozesse bei Aerosolen und der Wolkenbildung, der Einbau in die Modelle ist aber immer noch schwierig.
Gibt es eine öffentliche Verunsicherung wegen der vielen Berichte über einen Stillstand der Erwärmung und kann der neue IPCC-Bericht dem entgegenwirken?
Auf jeden Fall. Wir stellen deutlich dar, dass diese Schwankungen mit internen und externen Faktoren erklärt werden können. Den Stillstand darf man nicht mit dem Trend von über 30 bis 100 Jahren verwechseln. Der ist eindeutig: Die letzten zehn Jahre waren die heißeste Dekade seit Jahrhunderten, auch wenn die Temperaturen nicht angestiegen sind. Die letzten 30 Jahre waren im Mittel die heißesten, seit wir Temperaturen messen.
Was ist die Kernbotschaft des Berichts?
Der Klimawandel findet statt, Hauptverursacher ist der Mensch, der durch Nutzen von fossilen Brennstoffen und Entwaldung immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre freisetzt. Im Bericht wird erstmals ein Wert genannt, wie viel Kohlenstoff wir noch ausstoßen dürfen, bevor die Erderwärmung zwei Grad überschreitet. Das sind 1000 Gigatonnen Kohlenstoff, auf der sicheren Seite wäre man mit 800 Gigatonnen. Da ist bereits einberechnet, dass die Biosphäre und die Ozeane Kohlenstoff binden. 500 Gigatonnen Kohlenstoff hat die Menschheit bereits freigesetzt, pro Jahr kommen 9,5 Gigatonnen dazu. Wir müssten also in den nächsten 30 Jahren unsere Emissionen erheblich senken. Das kann gelingen.
Sorgt der neue Bericht für den nötigen Weckruf?
Ich hoffe doch sehr, dass wir die Weltgemeinschaft aufrütteln, um in den nächsten Verhandlungen bis 2015 eine neue, globale Vereinbarung zur Reduktion von Emissionen zu erreichen. Das ist Aufgabe der Politik. Wir Wissenschaftler der ersten Arbeitsgruppe haben jetzt eine IPCC-Pause. Die UN muss erst einmal beschließen, wann der neue IPCC-Bericht erscheint, vermutlich wird es im Jahr 2020 sein.
Das Interview führte Ingo Arzt
Weiterführende Informationen
IPCC-Webseite zum Bericht 2013
IPCC-Bericht, Arbeitsgruppe 1, Zusammenfassung [pdf, 2,3 MB]
IPCC-Bericht, Arbeitsgruppe 1, vollständiger Bericht [pdf, 166 MB]