Die Versorgung mit Lebensmitteln muss umgebaut werden. Das hat Alexander Müller, Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung, gefordert. Derzeit leitet er eine globale Studie des UN-Umweltprogramms über „The Economics of Ecosystems and Biodiversity for Agriculture and Food“, also die Ökonomie von Ökosystem und Biodiversität für die Landwirtschaft und Lebensmittel. So wie das Essen derzeit produziert und konsumiert werde, meint er, seien die Klima- und Nachhaltigkeitsziele „nicht zu schaffen“, die sich die Weltgemeinschaft vorgenommen hat – zumal die Weltbevölkerung wächst.
800 Millionen hungern
Die Lage, die Müller beschreibt, ist bedrückend: Ein Drittel aller Lebensmittel weltweit lande im Müll. Damit sei die Lebensmittelverschwendung der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen, nach China und den USA. Die Produktion, Düngung, Kühlung, der Transport der später weggeworfenen Nahrung sind aufwändig. Zugleich sei Hunger geblieben: 800 Millionen Menschen auf der Welt seien unterernährt, die meisten davon ausgerechnet Bauern. „Wir brauchen andere Geschäftsmodelle, mit denen die 1,3 Milliarden Kleinbauern weltweit eine Perspektive haben“, so Müller.
Business as usual ist für ihn keine Option. Das hat er klar gemacht, als es auf der 17. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung Ende Mai in Berlin um das Thema „Nachhaltige Agrarprodukte für alle“ ging. Mit dabei in der Runde war auch Arnd Nenstiel, führender Manager von Bayer CropScience. Das ist die Agrarsparte des Leverkusener Konzerns, der plant, den umstrittenen US-Saatguthersteller Monsanto für gut 60 Milliarden Euro zu übernehmen. Bayer habe eine „besondere Verantwortung“, wenn es um die nötige Erneuerung der Agrarsysteme gehe, so Müller weiter.
Denn auf dem weltweiten Markt für Saatgut und Spritzmittel findet derzeit eine Art Flurbereinigung statt: Auch die amerikanischen Konzerne Dupont und Dow Chemical wollen fusionieren, und der chinesische Staatskonzern Chem China will den Schweizer Konkurrenten Syngenta übernehmen. So werden am Ende drei Konzerne mit neuer Marktmacht bleiben. Bayermanager Nenstiel verspricht: „Wir sind ein Unternehmen mit 154 Jahren Geschichte, wir nehmen Nachhaltigkeit sehr ernst.“
Wahre Preise
Modelle für eine andere Art der Agrarwirtschaft gebe es jedenfalls genug, erklärt Felix Prinz zu Löwenstein. Er ist Vorstandsvorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, BÖLW, und selbst Biobauer: „Wir müssen nur anfangen mit etwas, von dem wir wissen, wie es geht.“ Die Politik müsse dies etwa durch eine Pestizidabgabe oder das Steuerrecht lenken. Sie müsse dafür sorgen, dass weniger Essen weggeworfen, weniger Fleisch gegessen wird, die ökologischen Engpässe ernst genommen werden. Die Artenvielfalt schrumpfe zum Beispiel ernsthaft. Löwenstein fordert: „Die Preise müssen die Wahrheit sprechen“. Mit Geld lasse sich viel steuern.
Tappt man in die Falle, unsozial zu sein? Nein, das Argument will Ratsmitglied Müller nicht gelten lassen. Es sei „verheerend“ und mache „die Tür zu Lösungen zu“. Die Folgekosten der agrar-industriellen Produktion für die Allgemeinheit seien derzeit auch enorm, aber „versteckt.“ So müsse Trinkwasser gereinigt werden, weil mit dem Düngen der Felder Nitrat hinein gelange. Zudem versagten Antibiotika, weil sich durch den massenhaften Einsatz in der Tiermast Resistenzen bilden. Müller mahnte an, die „unabhängige Agrarforschung“ zu stärken.