Die Verhandlungen zwischen der EU und den USA über ein Freihandelsabkommen sorgen für immer neue Konfliktpunkte. Nachdem kürzlich ein Verhandlungsdokument öffentlich wurde, kritisieren die Grünen im Europaparlament, dass amerikanische Unternehmen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess der EU-Institutionen erhalten sollen. Das Forum Umwelt & Entwicklung befürchtet sinkende Standards in den Bereichen Umwelt, Lebensmittelsicherheit und Arbeitnehmerrechte.
Die EU-Kommission hat hohe Erwartungen an das transatlantische Handels- und Investitionsabkommens (TTIP). Nach einer von ihr beauftragten Studie soll das Abkommen der europäischen Wirtschaft Zusatzeinnahmen von jährlich 119 Milliarden Euro bringen. Die EU will beispielsweise erreichen, dass sich europäische Unternehmen an staatlichen Ausschreibungen in den USA beteiligen können.
Abgeschafft werden sollen zudem Zölle auf den transatlantischen Handel, die mit durchschnittlich vier Prozent aber bereits niedrig sind. Ein durchschnittlicher europäischer Haushalt würde dem Gutachten zufolge mit rund 550 Euro pro Jahr profitieren. Der Nutzen für die Verbraucher ergäbe sich beispielsweise durch ein größeres Angebot an US-Waren auf dem europäischen Markt. Durch den intensiveren Wettbewerb sollen die Preise einiger Produkte sinken.
Die größten Vorteile verspricht sich die EU-Kommission aber von der Beseitigung sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse. Damit sind zum Beispiel unterschiedliche Standards und Zulassungsverfahren in den Bereichen Umweltschutz sowie Produkt- und Lebensmittelsicherheit gemeint.
Die Kommission argumentiert, dass Sicherheits- und Umweltstandards nicht grundsätzlich gesenkt würden. Vielmehr würden europäische und amerikanische Behörden derzeit noch häufig unterschiedliche Wege vorschreiben, um zu einem vergleichbaren Ziel zu kommen. Diese doppelten Verfahren verteuerten Handelswaren um zehn bis 20 Prozent.
Ein Freihandelsabkommen wird deshalb schon seit langem politisch diskutiert. Die Aufnahme von konkreten Verhandlungen wurde jedoch erst 2011 im Zuge der Finanzkrise und steigender Rohstoffpreise beschlossen, um die Wirtschaft auf beiden Kontinenten wieder anzukurbeln. Kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres fand die inzwischen dritte Verhandlungsrunde statt.
Firmen müssen in den USA gentechnisch veränderte Inhaltsstoffe nicht kennzeichnen
Die Konzentration auf Zulassungsverfahren löst bei Parlamentariern und Nichtregierungsorganisationen Besorgnis aus. Ihre Befürchtung: Europäische Umwelt-, Gesundheits- und Sozialstandards könnten durch laxeres US-Recht ausgehebelt werden. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert, dass die USA erst zwei der acht Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation ILO unterzeichnet hätten. Die Rechte von Gewerkschaften, an Tarifverhandlungen teilzunehmen, seien deshalb erheblich eingeschränkt.
Die Grünen-Abgeordnete Ska Keller verweist vor allem auf die Lebensmittelsicherheit. Anders als in der EU müssen in den USA Lebensmittel nicht gekennzeichnet werden, die von Tieren stammen, die mit Wachstumshormonen behandelt wurden oder die gentechnisch veränderte Organismen enthalten. „Die Herangehensweise ist in der EU und den USA grundverschieden. In Amerika wird zugelassen, was nicht erwiesenermaßen gefährlich ist, in Europa bleibt verboten, was nicht erwiesenermaßen ungefährlich ist“, erklärt die Grünen-Politikerin.
In den Vereinigten Staaten sei außerdem die Zulassung von Chemikalien einfacher als nach der europäischen Richtlinie REACH, sagt Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forums Umwelt & Entwicklung. „Wenn TTIP beschlossen wird, könnten europäische Hersteller die Zulassung ihrer Chemikalien nicht mehr in der EU beantragen, sondern in den USA“, sagt Maier. Besonders kritisch könnte die Verwendung von bakterientötenden Chemikalien beim sogenannten Fracking sein.
Dabei wird ein Wasser-, Sand- und Chemikaliengemisch durch Bohrungen in den Untergrund gepresst, um Äl oder Gas aus unkonventionellen Lagerstätten zu fördern. In Deutschland haben sich bereits zahlreiche Bürgerinitiativen gegen Fracking gebildet, die Schäden für das Grundwasser und den Boden befürchten. „In den USA müssen die Förderfirmen nicht offenlegen, welche Chemikalien sie verwenden“, sagt Maier.
Weit reichender Investitionsschutz durch Schiedsgerichte
Die Bedenken der TTIP-Gegner werden vor allem durch zwei Faktoren genährt: die Erfahrungen mit sogenannten Investitionsschutzklagen und die mangelnde Transparenz der Verhandlungen. In internationalen Handelsabkommen werden immer wieder Investitionsschutzklauseln verankert, die Firmen Schadenersatz in Fällen von Enteignungen oder auch Gesetzesänderungen garantieren sollen. Das Global Policy Forum hat mehrere Fälle zusammengetragen, in denen amerikanische Rohstofffirmen von südamerikanischen Regierungen Schadenersatz wegen neuer Umweltschutzauflagen fordern.
In einem ähnlichen Fall läuft gerade ein Verfahren des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen die Bundesregierung wegen des Atomausstiegs vor einem internationalen Schiedsgericht. Die Entscheidungen fällen bei solchen Schiedsgerichten nicht unabhängig und demokratisch bestellte Richter, sondern eine Handvoll Anwälte, die teilweise in Kanzleien arbeiten, die mit den klagenden Firmen geschäftlich verbunden sind. In einer Stellungnahme an den US-Handelsbeauftragten setzt sich der Älkonzern Chevron dafür ein, auch im TTIP einen „umfassenden Investitionsschutz“ und den „Zugang zu einem effektiven und effizienten Streitschlichtungsverfahren durch eine dritte Partei“ durchzusetzen.
Die lobbykritische Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) glaubt, dass die bloße Möglichkeit millionenschwerer Schadenersatzklagen die Gesetzgebung in der EU beeinflussen könnte. „In Zukunft werden Gesetze erst gar nicht verabschiedet, wenn US-Handelsinteressen in Gefahr sind“, sagt Kenneth Haar von CEO. Die Organisation berichtete kürzlich von einem vertraulichen Verhandlungsdokument der EU-Kommission, das der US-Seite durch eine Kooperationskommission dauerhaften, institutionellen Einfluss schon im Vorfeld des Gesetzgebungsprozesses sichern soll. „Diese Institution wäre der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle entzogen. Offenbar will die Kommission durch die Hintertür Vorhaben durchbringen, die sie im Parlament nie durchsetzen könnte“, sagt Keller. Die EU-Kommission hat in einer Stellungnahme zugesagt, all diesen Einwänden zu begegnen.
EU-Abgeordnete haben keinen Zugang zu Dokumenten
Das Misstrauen der Parlamentarier hält aber an wegen der mangelnden Transparenz der verhandlungsführenden EU-Kommission. Strategie- und Ergebnispapiere dürfen die Abgeordneten ebenso wenig einsehen wie die Sitzungsprotokolle. „Ein Vertreter der Kommission erklärt dem Parlament bloß hin und wieder, worüber grob gesprochen wurde – und das auch nur den Mitgliedern des Handelsausschusses“, berichtet Keller, „mit dieser Geheimhaltung ist die Kommission schon bei ACTA grandios gescheitert.“ Dieses Urheberrechtsabkommen hatte das EU-Parlament im Sommer 2012 platzen lassen, nachdem es die Kommission und der Rat bereits beschlossen hatten. Auch dem Freihandelsabkommen TTIP muss letztlich das Parlament zustimmen.
Keller fordert, dass alle EU-Abgeordneten wichtige Dokumente schon während der Verhandlungen einsehen können. Um auch Nichtregierungsorganisationen zu beteiligen, hat die Kommission bisher zwei Dialogveranstaltungen abgehalten. Frühere Verhandlungen über Handelsabkommen hätten aber gezeigt, dass die entscheidenden Details im kleinen Kreis mit Wirtschaftsvertretern besprochen werden, sagt Haar. Auf Anfrage von Corporate Europe Observatory hat die Kommission mitgeteilt, dass im Vorfeld der TTIP-Verhandlungen 130 Treffen mit Interessenvertretern stattgefunden hätten. Nach einer Analyse von CEO entfielen 119 davon auf Gespräche mit Vertretern von Konzernen oder deren Verbänden, die Zivilgesellschaft sei kaum beteiligt worden.
Eigenes Kapitel für nachhaltige Entwicklung
Die nachhaltige Entwicklung will die Kommission zu einem Schwerpunkt des TTIP machen. Die Kommission strebe dazu ein eigenes Kapitel an, besonders zu Arbeits- und Umweltaspekten inklusive des Klimawandels, heißt es in einem Positionspapier. Grundlage sollen die Verpflichtungen der EU und der USA zu internationalen Abkommen wie den ILO-Kernarbeitsnormen oder dem Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht sein. Die Vertragsparteien sollen laut dem Positionspapier allerdings weiterhin selbst definieren, wie weit der Schutz der Umwelt und der Arbeitnehmerrechte im Detail gehen sollen.
Das Forum Umwelt & Entwicklung hält das Papier für wenig fortschrittlich. „Der Verweis auf die internationalen Sozial- und Umweltabkommen geht völlig ins Leere, weil die USA die meisten davon weder ratifiziert haben noch als Folge von TTIP ratifizieren werden“, sagt Maier. Auch der Handel mit Gütern wie Erneuerbare-Energien-Anlagen hätte durch das Abkommen keine Erleichterungen. „Wer diese Technologien in die EU oder die USA importieren will, stößt auf keine nennenswerten Hindernisse“, ergänzt Maier.
Weiterführende Informationen
TTIP Fragen und Antworten der EU-Kommission
Überblick über die behandelten Themen und die Verhandlungsführer [PDF, 93 kB]
Studie Reducing barriers to Transatlantic Trade im Auftrag der EU-Kommission [PDF, 3,2 MB]
Positionspapier der EU-Kommission zu Handel und nachhaltiger Entwicklung [PDF, 87 kB]
Informationen zum Handel zwischen der EU und den USA
Stellungnahme Chevron [PDF, 1,2 MB]
Geleaktes Verhandlungspapier zur Kooperationskommission [PDF, 85 kB]
Artikel des Gobal Policy Forums zu Investitionsschutzklagen
Stellungnahme der EU-Kommission zu Investitionsschutzklagen
Papier von Verdi zu TTIP [PDF, 211 KB]