Das Kaufhaus am Hermannplatz in Berlin ist fast 100 Jahre alt, erbaut wurde es zwischen 1927 und 1929. Nun soll es grundsaniert werden. Dazu wird es in seinen Rohbauzustand zurückversetzt. Das heißt: Fenster, Fassadenverkleidungen und weitere Elemente werden zurückgebaut, bis am Ende nur noch Fundament, Außenmauern und Dachkonstruktion stehen. Der Rest wird entsorgt – normalerweise.
Allerdings nicht im Fall des Kaufhauses am Hermannplatz: Ursprünglich hätte es abgerissen werden sollen. Doch nach heftiger öffentlicher Kritik entschied sich Bauherr Signa für einen anderen Weg, setzte die Sanierung als Modellprojekt auf und schrieb dabei unter anderem fest, dass möglichst viele vorhandene Bauteile wiederverwertet werden sollen. Dadurch – und weil künftig die Gebäudehöhe aufgestockt werden soll – werden bis zu 70 Prozent CO2-Äquivalente und 60 Prozent Baustellenverkehr eingespart, im Vergleich zu einem konventionellen Umbau.
Nicht alle Materialien, die bei diesem so genannten „Urban Mining“ geborgen werden, können direkt vor Ort weitergenutzt werden. Dass auch sie nicht auf der Deponie landen, dafür sorgt Concular, ein Start-up, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Baubranche zu revolutionieren. Concular hat im Auftrag des Bauherrn einen genauen Überblick über alle Fassadenteile, Fenster, Rolltreppen und den Innenausbau erstellt und ermittelt, wie diese wiederverwendet werden können. „Innerhalb von zwei Wochen hatten wir den Materialbestand des Kaufhauses – 40.000 Quadratmeter – digitalisiert“, erzählt Annabelle von Reutern, Head of Business Development bei Concular.
Ressourcen- vor Energieeffizienz
Concular ist eines der 800 Unternehmen, die bereits die Mitmacherklärung beim Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit unterzeichnet haben, einer offenen Plattform für Unternehmen, Kommunen, Vereine und alle anderen, die sich für eine nachhaltige Gesellschaft einsetzen. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) baut das Gemeinschaftswerk auf Initiative von Bund und Ländern auf.
Von Reutern glaubt daran, dass Austausch und Vernetzung dazu beitragen können, die Transformation voranzutreiben – und zwar gerade in einem Bereich, in dem es ihrer Meinung nach dringend nötig ist: „Die Baubranche ist der größte Umweltverschmutzer der Welt, verantwortlich für 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes und für 60 Prozent des globalen Mülls“, erläutert von Reutern. „Gleichzeitig wird bisher gerade mal ein Prozent der verbauten Materialien wiederverwendet.“
Deswegen haben Dominik Campanella und Julius Schäufele bereits 2012 unter dem Namen Restado einen Online-Marktplatz für wiederverwendbare Baustoffe eröffnet und damit mehr als 200.000 Tonnen Material vermittelt. Restado gilt als größter Marktplatz seiner Art in Europa, wandte sich aber eher an Kleinunternehmen und Privatpersonen. 2020 hat das Restado-Team daher Concular gegründet, um damit größere Projekte anzugehen. Zusätzlich zu einer Software, die Angebot und Nachfrage zusammenbringt und Materialpässe erstellt, unterstützt das Start-up-Team seine Kunden bei Bestandsaufnahmen, Rezertifizierung, Wiederaufbereitung und dem Wiedereinbau von Materialien.
„Wir brauchen einen Wandel von der Energieeffizienz zur Ressourceneffizienz“, erläutert von Reutern. Denn: 50 Prozent der CO2-Emissionen entstehen im Bau, nicht im Betrieb: „Doch der Fokus lag und liegt immer noch auf der Betriebsseite, auf der Energieeffizienzseite eben.“ Und so reiße man Gebäude ab, um energieeffizient neu zu bauen. „Dass Abriss, Entsorgung und Neubau nicht nachhaltig sind, sollte auf der Hand liegen.“ Doch das Thema werde immer noch viel zu wenig beachtet: „Das ist ein blinder Fleck“, sagt die Concular-Expertin.
Gemeinsam den blinden Fleck beseitigen
Immerhin stellt sie ein langsames Umdenken fest – nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Lieferprobleme und Materialengpässe. Immer mehr Menschen interessieren sich für nachhaltiges, ressourceneffizientes und zirkuläres Bauen. Zum Beispiel Sven Urselmann, Gründer von Urselmann interior in Düsseldorf. Der gelernte Schreiner hat sich auf kreislauffähige Inneneinrichtung spezialisiert, seine Konzepte orientieren sich am Cradle to Cradle-Prinzip. Er hat schon mehrfach mit Concular zusammengearbeitet, mit deren Hilfe zum Beispiel drei Sattelzüge – 75 Tonnen Massivholz – aus einem ehemaligen Supermarkt in Heilbronn erworben, oder 200 Laufmeter alte Kabeltrassen, aus denen er unter anderem Regale herstellen wird. „Die Bauwende ist ein Riesenhebel, um die Transformation voranzutreiben“, sagt er.
Das sieht auch von Reutern so. Unter anderem deswegen engagiert sich Concular im Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit. Jan Korte, Projektkoordinator des Gemeinschaftswerks in der RNE-Geschäftsstelle sagt, man habe sich aus diesem Grund den Bereich „Nachhaltiges Bauen und Wohnen“ als erstes Schwerpunktthema im Jahr 2023 vorgenommen. „Ziel ist, Organisationen verschiedenster gesellschaftlicher Bereiche im gemeinsamen Handeln für die Sustainable Development Goals zu unterstützen. Dabei muss das Rad nicht immer neu erfunden werden. Viele Kommunen, Projektentwickler, Architekturbüros oder Immobilienunternehmen suchen nach guten Praxisbeispielen wie diesem von Concular. Für sie alle möchten wir eine bundesweite und sektorübergreifende Plattform bieten – für mehr Sichtbarkeit und mehr Austausch.“
„Gerade weil wir bei Concular uns selbst als Plattform und Netzwerk sehen, als Teil eines Ökosystems für zirkuläres Bauen, ist es uns so wichtig, uns zu vernetzen“, sagt von Reutern. „Nur gemeinsam kann es gelingen, diesen blinden Fleck der Öffentlichkeit zu beseitigen und ein Umdenken zu ermöglichen.“ Das Gemeinschaftswerk sei eine Chance, das allgemeine Bewusstsein für nachhaltiges Bauen zu schärfen. „Aktuell schiebt da jeder die Verantwortung auf den anderen, oft aus Angst davor, Fehler zu machen.“ Von der Politik wünscht von Reutern sich dabei Unterstützung, etwa veränderte Rahmenbedingungen, was Gewährleistungspflichten für gebrauchte und wiederaufbereitete Produkte und Wertstoffe betrifft. Auch wenn gerade einiges in Bewegung sei – das Tempo müsse sich deutlich erhöhen, damit das Kaufhaus am Hermannplatz kein Leuchtturmprojekt bleibe, sondern eines Tages der Regelfall sei.