Johannes Hahn, EU-Kommissar für Regionalpolitik will den Städten mehr Gehör verschaffen. Mancher fürchtet allerdings, die EU wolle sich nur in die Angelegenheiten der Bürgermeister einmischen. Was muss eine neue urbane Strategie leisten?
Kommt eine neue Zeit der Städte? Der EU-Kommissar für Regionalpolitik, Johannes Hahn, will mit einer urbanen Agenda den Städten mehr Gewicht in der EU verleihen. Mitte Februar lud er nach Brüssel zur Konferenz „Städte von Morgen: Investieren in Europa“. Es war das bisher größte Treffen dieser Art. „Ich bin entschlossen, unseren Städten zu mehr Beachtung zu verhelfen. Städte sind zu wichtig, um wie eine Nebensache behandelt zu werden“, sagt Hahn.
Die Meinungen, was eine europäische Agenda für Städte bringen kann, gehen allerdings auseinander. Hahn sieht die entscheidende Rolle der Städte in der Bewältigung des Klimawandels, sowie in der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung. Ähnliches formuliert bereits die Wachstumsstrategie Europa für 2020.
Schon im europäischen Mittelalter sprossen in den Städten Handel, Kultur und Technologie. Dort emanzipierte sich das Bürgertum von der Unterdrückung durch Adel und Klerus. Ballungsgebiete standen für Fortschritt. Und heute? Mehr als zwei Drittel der Europäer leben in Städten, weltweit ist es die Hälfte der Menschheit. 80 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen werden Städten zugerechnet. Dort ballen sich die ökologischen, aber auch die sozialen Probleme. Direktiven und EU-Politiken betreffen immer öfter das urbane Leben – so formulieren es Hahn und seine Kollegen in einem sechsseitigen Papier zu den Städten von morgen.
Kampf gegen Feinstaub, Lärm, Treibhausgase – die Herausforderungen für die Städte sind groß. „Die Städte sind potente Player, weil sie ihre eigenen Konzepte entwerfen können“, sagt Karl-Peter Schön vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn. Er war bei der Konferenz in Brüssel und meint: „In den Zentren ist das Potenzial für eine Modernisierung und für neue Technologien groß, sie können sich zusammentun, Erfahrungen austauschen, miteinander reden.“ Moderne Mobilität wie etwa Car-Sharing sei dort leichter umzusetzen als auf dem Land.
EU-Gelder für Städte
Die EU selbst hat ihre Regionalpolitik bereits stärker auf die Städte fokussiert. Insgesamt stehen für Strukturpolitik in drei Fonds von 2014 bis 2020 325 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Hälfte der Mittel aus einem der Fonds, dem Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), sollen laut Kommissar Hahn voraussichtlich in Städte und Ballungsräume fließen. Zudem sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, mindestens fünf Prozent der EFRE-Mittel in Projekte zur integrierten, nachhaltigen Stadtentwicklung zu investieren.
BBSR-Mitarbeiter Karl-Peter Schön warnt allerdings davor, sich nur auf die Städte zu konzentrieren. Vor gut einem Jahr tourte der US-amerikanische Politikwissenschaftler und ehemalige Berater der Clinton-Regierung, Benjamin Barber, durch die Republik. Er stellte sein Buch „If mayors ruled the world“ vor und forderte auf Grund fehlendem Entscheidungswillen bei zwischenstaatlichen Verhandlungen und seiner Meinung nach zunehmend schwächer in Erscheinung tretenden Nationalstaaten: „Alle Macht den Städten“. Barber vertrat die These nun erneut auf der Konferenz in Brüssel.
Schön hält dagegen, dass Städte, Regionen und die nationale Ebene nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften. Alle drei Ebenen seien wichtige Akteure, um das Ziel eines starken territorialen Zusammenhalts in Europa zu erreichen. Anknüpfend an die Oberbürgermeisterin der Stadt Mülheim an der Ruhr, Dagmar Mühlenfeld, sagt er: „Armutsbekämpfung und soziale Integration kann nicht allein von den Städten im Zentrum Europas geleistet werden, sondern muss auch Maßnahmen in ländlichen Räumen an der europäischen Peripherie umfassen.“ Das sei nach wie vor „eine wichtige Aufgabe der Europäischen Union.“
Eine fragmentierte Politik für innovative Städte allein reicht also nicht aus. Europaweite Netzwerke und Initiativen für die kommunale Ebene zeigen Wirkung und sind aktiv. Bei der Entwicklung einer urbanen Agenda für Europa muss die Frage gestellt werden, wie diese Entwicklung weiter unterstützt werden kann.
Schuster fordert „Regieren in Partnerschaft“
Wolfgang Schuster, von 1997 bis 2013 Stuttgarter Oberbürgermeister, Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung und Ehrenpräsident des Rates der Gemeinden und Regionen Europas sagt: „Erfreulich ist, dass die EU die Städte in Ihrer Entwicklung unterstützen will.“ Doch er meint auch: „Allerdings sollte die EU-Kommission den Grundsatz der Subsidiarität beachten. Europa soll nicht vorschreiben, wo eine Stadt eine Ampel hinstellt. Auch sollten diese Städte selbst entscheiden, wie sie ihre Zusammenarbeit und die mit den EU-Institutionen organisieren.“ Ein gutes Beispiel sei der Konvent der Bürgermeister für den Klimaschutz. Schuster wünscht sich „Regieren in Partnerschaft“.
Die EU ist neben allen teilnehmenden Staaten vom Städtebauprogramm der Vereinten Nationen gebeten worden, einen Beitrag für die Habitat-III-Konferenz im Jahr 2016 zu schreiben. Dabei wird die Strategie für die europäische Stadtentwicklung eine wichtige Rolle spielen. Sie sei, so das Resümee Hahns nach der Konferenz, von den Teilnehmern „befürwortet worden“. Die Kommission werde bis Ende des Jahres einen Entwurf vorlegen. Bis zum 4. März können sich Interessierte noch über eine Online-Umfrage einbringen.
Weiterführende Informationen
Nachhaltige Stadt I, Beispiel Bottrop [pdf, 170 KB]
Nachhaltige Stadt II, Beispiel Masdar
Nachhaltige Stadt III, Beispiel Portland
EU-Umfrage zur Stadtentwicklung, bis 4. März
Positionspaper EU-Kommissar Hahn zu Sätdten [pdf, 517 KB]
„Alle Macht den Städten“, Buch von Benjamin Barber
Habitat-Konferenz der UN [pdf, 266KB]