Eine bessere Welt in 360-Grad

Bei Umwelt360 können Jugendliche in Virtual-Reality-Geschichten zeigen, wie sie in Zukunft leben wollen. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung unterstützt das Projekt, dessen Start für Anfang Januar geplant ist.

Die Technik-Industrie preist die Virtual Reality schon länger als das große Ding. Viele kennen sie bislang vor allem aus Computerspielen. Sie katapultiert die Nutzer in den Mittelpunkt des Geschehens, soll so verschiedene Welten erlebbar machen – jetzt auch die Vorstellung, die Teenager von einer nachhaltigen Zukunft haben.

In Bielefeld, genauer: im Haus Neuland und damit in einer der größten Jugendbildungseinrichtungen in Deutschland, sollen Schüler zwischen 14 und 15 Jahren nun 360-Grad-Videos und Virtualität-Reality Geschichten in ihrem eigenen Umfeld entwickeln.

Das kann eine Erzählung sein zur Vermüllung im Stadtpark, den Verkehrsproblemen auf ihrem Schulweg oder zum Konflikt zwischen Wanderern und Mountainbikern im Naturpark Teutoburger Wald – und was sich ändern muss. Die Jugendlichen werden das frei wählen. Immer werden sie aber eins oder mehrere der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die großen Zukunftsthemen der Menschheit, in den Blick nehmen. Dazu werden Experten, die sich in der Region mit diesen Sustainable Development Goals (kurz: SDGs) seit langem beschäftigen, als Gesprächspartner geladen.

Neuland in der Bildungsarbeit

Carola Brindöpke, als Pädagogin im Haus Neuland für die Jugendbildung zuständig, sagt: „Das hat es so noch nicht in Deutschland gegeben, es ist ein Pilotprojekt in der Bildungsarbeit.“ Anders gesagt: Es ist Neuland.

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hält das moderne Multi-Media-Projekt für Jugendliche für eine zukunftsweisende, unterstützenswerte Idee. Er finanziert es mit 50.000 Euro aus dem Fonds Nachhaltigkeitskultur.

Im Haus Neuland, das erst letztes Jahr eine Photovoltaikanlage auf dem Dach installiert hat, nur fair gehandelten Kaffee ausschenkt, den eigenen Betrieb insgesamt möglichst umweltbewusst betreibt, spiele die Ökologie auch in ihrer Pädagogik eine große Rolle, sagt Brindöpke. Die Jugendlichen seien beim Thema Europa „eher zögerlich“, der Umweltschutz aber interessiere sie, der Tierschutz übrigens besonders.

Die Idee, das Bewusstsein für einen nachhaltigen Wandel der Gesellschaft mit moderner Kommunikationselektronik voranzubringen, hat Vincent Beringhoff als Medienpädagoge im Haus Neuland geliefert. Er sei vor etwa einem Jahr „mehr oder weniger zufällig“ auf den Bildungswettbewerb „Zukunft, fertig, los!“ des Rates für Nachhaltigkeit gestoßen. Ein Brainstorming später stand ein grobes Konzept, auch der Name „Umwelt360“, „für einen neuen Rundumblick“, sagt Beringhoff, „wir wollen zeigen, dass Jugenliche am PC mehr machen können als spielen: selbst gestalten.“

Speeddating mit Förderern

Das kam bei der Expertenjury unter der Leitung des kooptierten RNE-Ratsmitglieds Dominik Naab gut an. Sie suchte aus knapp 100 Ideen die besten heraus. So luden sie Beringhoff – neben 21 anderen Bewerbern – zum Speeddating in die Hauptstadt ein, um seine Idee 15 potenziellen Förderinnen und Förderern aus Stiftungen, Unternehmen und Politik vorzustellen.

„Also bin ich nach Berlin gefahren“, sagt Beringhoff. Dann hat er 15 Mal hintereinander für seine Sache geworben. „Guten Tag, ich komme aus Bielefeld – und dann ging es immer schon los“, erzählt er. Er hatte jeweils fünf Minuten, um das Gegenüber zu überzeugen – mehr nicht. Es gelang.

Im April bekam er vom RNE die Zusage für die Finanzierung. Er hat Verfahren und den direkten Kontakt mit den Förderern beim Speeddating als positiv erlebt – anders als bei öffentlichen Ausschreibungen, bei denen man meistens nicht wisse, sagt er, wer das Gegenüber ist und wie die eigene Idee eigentlich ankommt.

Virtual-Reality-Storys für jeden

So können im kommenden Jahr knapp 60 Schülerinnen und Schüler aus Bielefeld und Umgebung in zwei dreitägigen Workshops mit 360-Grad-Kameras losziehen, Fotos und Videos machen, die gewünschte Zukunft darstellen. Die Technik dafür sei weder aufwändig noch teuer, erklärt Beringhoff: „Die Jugendlichen sollen sich das für Zuhause selbst leisten können.“

Eine 360-Grad-Kamera ist für rund 350 Euro zu haben. Zudem gibt es spezielle Apps, mit denen sich der 360-Grad-Effekt auch auf dem Smartphone erzielen lässt. Diese lassen sich dann im Internet, etwa über kostenlose Werkzeuge wie https://getfader.com/ mit Ton und Text versehen. Und auf Virtual-Reality-Plattformen wie CoSpacesEdu, für deren Lizenz Beringhoff pro Jugendlichem drei bis fünf Euro veranschlagt, lässt sich die gewünschte Welt simulieren.

Die Umwelt360-Mitmacher werden ihre Fotos, Audios, Videos und Zukunftsversionen als Multimedia-Story zur Nachhaltigkeit im Herbst 2019 im Internet veröffentlichen, auch in einer Ausstellung präsentieren, durch die die Zuschauer mit einer Virtual-Reality Brille laufen werden.

Denkbar, dass die Zuschauer dann zunächst eine Fahrt auf dem Fahrrad durch die Bielefelder Innenstadt erleben, mit Radwegen, die im Nichts enden oder LKWs die ihnen zu nahe kommen – und sich dann in einer Welt ohne Autos und ohne Stau wiederfinden. Beringhoff und seine Kollegin Brindöpke wären dann am Ziel: Nicht nur bei 60 Jugendlichen ein Bewusstsein für die nachhaltige Entwicklung zu fördern, sondern bei vielen.