Die Zukunft sollte niemand unterschätzen, die Digitalisierung krempelt die Arbeitswelt um, auch die private Lebenswelt. Nur: Wird das zum Wohle des Menschen und zum Schutz des Planeten sein? Es war eine hochrangige Runde von Experten am 11. Oktober in Berlin, die bei der Jahrestagung des Netzwerkes der European Environment and Sustainable Development Advisory Councils, EEAC – einem Zusammenschluss europäischer Umwelt- und Nachhaltigkeitsräte, die zwei großen weltweiten Trends zusammen dachten: Das Ende des analogen Zeitalters und den Einstieg in die sozial-ökologische Transformation.
Sie betraten damit eine Art Neuland. Denn bislang ist wenig darüber geredet worden, wie das eine dem anderen helfen kann. Wie wird also die digitale Welt nachhaltig. Und umgekehrt: wie nachhaltig ist die digitale Welt. Die entscheidenden Erkenntnisse:
Bürger einbeziehen bei digitaler Entwicklung
Erstens: Bürger können ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen, erklärte der Berliner Zukunftsforscher Max Thinius – und verwies auf Südwestfalen. Denn das sei die „Region Nummer 1“ beim digitalen Denken. In anderen ländlichen Regionen beschäftige man sich mit Senioren-Bussen, um mehr Leben ins Dorf zu bringen. Dort aber habe es eine breite Debatte mit den Einwohnern, mit der Wirtschaft, mit der Wissenschaft gegeben, was die neuen technischen Möglichkeiten für Ämter, in Firmen, bei Verkehrsanbietern bieten können. Südwestfalen hatte sich beim nordrhein-westfälischen Strukturprogramm Regionale 2025 beworben – und wird nun gefördert, um digitale Beispielregion für Europa zu werden. So machten sich nun alle Gedanken, was man mit der Digitalisierung eigentlich im Alltag anstellen wolle – und was jeder erwartet. „Digitalisierung ist nicht nur eine technische, sondern eine Lebensfrage“, meinte Thinius.
Zweitens: Die digitale Transformation kann „ein wichtiger Hebel für die sozial-ökologische Transformation sein, aber nur, wenn man sie richtig gestaltet“, so Dieter Janecek, Bundestagsabgeordneter der Grünen und ihr Digitalexperte. Er teile den einstigen Wahlslogan von FDP-Chef Christian Lindner „Digital first. Bedenken second.“ nicht.
Janecek hatte erst im Dezember zusammen mit Parteikollegen einen Green „Digital Deal“ gefordert – und „Wohlstand durch Innovation und ökologische Modernisierung.“ Sie setzen zum Beispiel auf die „smarte Ultra-Effizienz-Fabrik“, die keine Ressourcen verschwendet und keine Emissionen in die Atmosphäre bläst, oder die intelligente Energiesteuerung, die ein „kostengünstiges und zuverlässiges Energiesystem auf Basis 100 Prozent Erneuerbarer Energien möglich macht. Auch gebe es etwa für die ärztliche Versorgung auf dem Land neue Perspektiven. So könne der niedergelassene Hausarzt vor Ort die Lungenfachärztin oder die Internistin in der Kreisstadt den Endokrinologen aus der nächsten Uni-Klinik bei Diagnose und Behandlungsgespräch online zuschalten. Janecek und seine Mitstreiter wollen „mit einem Green Digital Deal gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft das Tempo erhöhen und Experimentierräume stärken, in denen die Ideen der Zukunft entstehen.“
Janecek verweist auch auf Emmanuel Macron, den französischen Präsidenten, der eine digitalpolitische Agenda verfolgt, er will Frankreich – so sagte er in einem viel beachteten Interview mit dem US-Magazin Wired „zur Nummer eins in Europa machen, wenn es um künstliche Intelligenz geht.“
Risiko der Digitalisierung: Energiehunger
Doch – dritte Erkenntnisse – so einfach ist das alles nicht. Der Physiker Harry Lehmann leitet den Fachbereich „Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien“ des Umweltbundesamtes. Er warnte: „Wir sollten nicht denselben Fehler machen, den wir mit anderen Techniken schon gemacht haben“ – Risiken ausblenden, Wissenslücken ignorieren.
In Smart Houses sollen Kühlschränke zum Beispiel selbst Nachschub ordern, Licht und Heizanlagen automatisch angehen, wenn der Bewohner nach Hause kommt. Das könne alles den Energieverbrauch senken, sagte Lehmann. Wenn jedoch alles mit jedem vernetzt ist, Geräte immer funken und an sind, koste das wiederum Energie. Zudem hätten die Gebäude eine Lebensdauer von 30 bis 100 Jahre, und wie lange die Technik halte, wie oft sie repariert oder ausgetauscht werden müsse – das sei unklar.
Beim Onlinehandel zeige sich schon heute ein ungeahnter Effekt: Einkaufen ist bequemer geworden, aber die Online-Shopper schicken die Neuware zurück, im Modebusiness liege die Retourenquote sehr hoch. Der Großteil käme aber nicht wieder in den Handel, sondern werde weggeworfen. Die neue Technikwelt spart nicht nur Ressourcen, sie verschlingt sie auch. Lehmann hatte dafür noch ein Beispiel: Um ein Smartphone herzustellen, das 80 Gramm wiegt, brauche es etwa das Tausendfache an Ressourcen, also Material – 75.000 Gramm.
Bleiben am Ende neben mehr Bildung für eine digitale nachhaltige Entwicklung zwei entscheidende Forderungen: Der Grüne Janecek plädiert dafür, dem Treibhausgas Kohlendioxid einen Preis zu geben, um die Verschwendung von Ressourcen teuer zu machen. Und Professorin Ina Schieferdecker, die das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme leitet, erklärte, der Staat müsse bei jedem IT-Projekt, das er fördere, die Nachhaltigkeitsfrage stellen. Die Digitalisierungswissenschaftlerin ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, WBGU. Er arbeitet derzeit an einem Hauptgutachten über „Digitalisierung und Transformation zur Nachhaltigkeit“.