Im besten Fall ließen sich in den privaten Haushalten knapp 80 Prozent Strom sparen, Heizwärme zudem. Das erklären Wissenschaftler rund um Lars-Arvid Brischke vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, kurz ifeu. Voraussetzung: Die Politik denkt um. „Bisher glaubten viele, man könne einen niedrigeren Energieverbrauch nur durch bessere Technologien und höhere Wirkungsgrade erreichen“, erklärt Brischke: „Es braucht aber Suffizienz“, eine Art neue Genügsamkeit, einen anderen Umgang mit Energie und Technik.
Bisher haben solche Vorschläge vor allem für eines gesorgt: Abwehr. Schnell ist von Verzicht die Rede. Doch das sei „falsch“, sagt Brischke. Es gehe darum, „das richtige Maß zu finden, überdimensionierte Technik zu vermeiden und Alltagsroutinen so zu verändern, dass weniger Energie gebraucht wird.“ Brischke hat sich zusammen getan mit Experten vom Wuppertal Institut, dem Design Research Lab der Universität der Künste Berlin und der Forschungsstelle für Nachhaltigkeit und Klimapolitik Leipzig. Gemeinsam haben sie jetzt erstmals am Beispiel Wohnen gezeigt, was Suffizienz konkret bedeutet und wie sie gefördert werden kann.
„Energiesuffizienz-Strategien und Instrumente für eine technische, systemische und kulturelle Transformation zur nachhaltigen Begrenzung des Energiebedarfs im Konsumfeld Bauen/Wohnen“ – so der Titel ihrer knapp 120-seitigen Studie – hat es in sich. Technologischer Fortschritt allein wird demnach nicht die Lösung sein. Einen Widerspruch zu den Lebensvorstellungen vieler Menschen sieht das Forscherteam darin aber gar nicht.
Trotz aller Bemühungen: Stromverbrauch steigt
Das Problem: Die Energieeffizienz von Kühlschränken wurde laut der Studie innerhalb von gut zehn Jahren um 80 Prozent gesteigert. Auch Waschmaschinen oder Fernseher sind effizienter geworden. Trotzdem haben die Bundesbürger mehr Strom verbraucht, zwischen 1990 und 2011 stieg der Bedarf um satte 19 Prozent. Brischke erklärt: „Effizientere Güter verführen zu mehr Konsum, nicht zu weniger. Suffizienz setzt bei den Bedürfnissen an und sucht nach Lösungen, diese mit passgenauen Gütern und Dienstleistungen bei minimalem Ressourceneinsatz zu befriedigen.“
Er und seine Mitstreiter haben Bürger befragt, mit ihnen in so genannten Nachbarschafts-Laboren Ideen entwickelt. Sie haben Politiken, die Suffizienz bereits fördern sollen, analysiert, Vorschläge erprobt und Empfehlungen erarbeitet. Das Projekt lief drei Jahre lang. Grundsätzlich stellten sie fest, dass viele Menschen jeweils in einzelnen, individuell sehr unterschiedlichen Bereichen des Alltags auf Suffizienz achten, ohne es so zu benennen. Die einzige Ausnahme bildet die Freizeit, in der damit niemand so recht behelligt werden will.
So erklärten beispielsweise 52 Prozent aller, die an einer repräsentativen Umfrage teilnahmen, keinen Trockner für ihre Wäsche zu nutzen. Viele andere hielten es immerhin für denkbar, den Trockner vor allem im Sommer auszulassen oder auch ganz auf ihn zu verzichten. Darum empfehlen die Forscher der Politik nun, gemeinsame Trockenräume in Wohnhäusern staatlich zu fördern. Waschmaschinen lohnen sich nach ihren Erkenntnissen indes dort nicht: 80 Prozent der Befragten können sich nicht vorstellen, diese gemeinschaftlich zu nutzen.
Rentner denken an kleinere Wohnungen
Weiteres Ergebnis: Rund ein Drittel der Befragten hält es für möglich, im Alter, nach einer Trennung oder wenn die Kinder ausziehen, in einer weniger großen Wohnung oder einer Wohngemeinschaft zu leben. Für die Forscher ist klar: „Hier besteht Potenzial für eine Begrenzung des Pro-Kopf-Wohnflächenwachstums, das einen großen Einfluss auf den persönlichen Energieverbrauch hat.“
Die Rechnung: Verkleinern sich bis zum Jahr 2030 nur 20 Prozent der Haushalte allein der zu erwartenden knapp vier Millionen Rentner und Pensionäre, könnten 1,8 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid eingespart werden – das entspricht etwa dem jährlichen Kohlendioxid-Ausstoß der Stadt Freiburg.
Nötig: „Instrumente des Förderns, Forderns und Informierens“
Um dies zu erreichen, brauche es aber ein entsprechendes Angebot an Wohnungen in bedürfnisgerechten Größen, erklärt Brischke. Wer das Potenzial der Suffizienz ausschöpfen wolle, müsse deshalb für die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen sorgen. Gefragt seien „Instrumente des Förderns, Forderns und Informierens“ – und die Kommunen, die „nah an den Leuten sind.“
Fazit der Studie: Bund und Länder sollten die Kommunen finanziell so ausstatten, dass sie kommunale Wohnraumagenturen einrichten können, die zunächst eine „Kombination aus Wohnraumberatung, praktischen Umzugshilfen und der Vermittlung von Zuschüssen“ bieten sollen, später auch alternative Wohnkonzepte erarbeiten.
Zudem haben die Forscher einen „Strom.Check plus“ im Internet erarbeitet. Er baut auf dem „Strom.Check“ der Energie-Agentur NRW auf, mit dem jedes Jahr gut 20.000 Haushalte ihren Stromverbrauch einschätzen und Tipps zum Energiesparen bekommen. Im Strom.Check plus sind diese ergänzt um jene zur Suffizienz, wie: „Die sparsame, mit Ökostrom betriebene Waschmaschine, belädt man besser ein- oder zweimal die Woche voll als jeden Tag nur halb.“ Noch ist das Onlinetool in der Testphase.
Aber klar wird: Nur wenn Effizienz, also sparsame Technik, Konsistenz, Technik, die die Natur nutzt ohne sie zu zerstören und Suffizienz, also bedürfnisorientierte Technikdimensionierung und Nutzung, zusammen kommen, ist das Ziel zu erreichen: die Energiewende und Nachhaltigkeit.
Zum Download: Das Buch “Materielle Kultur und Energiekonsum” von Frank Trentmann
Mit dem Thema Konsum und der Rolle der Verbraucher bei großen Umwandlungsprozessen befasste sich auch die Carl-von-Carlowitz-Vorlesung mit Professor Frank Trentmann, allerdings aus historischer Perspektive. Der fünfte Band der Carl-von-Carlowitz-Reihe ist jetzt erschienen und kann über den Buchhandel oder den oekom Verlag bezogen werden. Auf der Seite des Nachhaltigkeitsrates steht er als pdf zum Download bereit.