Nach und nach melden sich Forscher zu Wort, die beklagen, dass die „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ des IPCC-Berichts verwässert worden sei. Länder wie Saudi-Arabien oder China positionierten sich damit für die Verhandlungen zu einem neuen weltweiten Klimavertrag.
Der Unmut reißt nicht ab – und er macht klar, dass die Verhandlungen zum neuen UN-Klimavertrag, der im September 2015 in Paris verabschiedet werden soll, kontrovers sein werden. Im Juni findet in Bonn bereits das nächste Vorbereitungstreffen statt.
Eine ganze Woche lang hatten die Wissenschaftler des Weltklimarates (IPCC) und die Delegierten der UN-Mitgliedstaaten in diesem April verhandelt. Dann verabschiedeten sie die Kurzversion des dritten Teils ihres aktuellen IPCC-Reports. Dieser Teil des Berichts zeigt ökonomische, technologische und politische Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels auf. Doch schon kurz darauf monierten einige der Forscher, dass Vertreter der Regierungen unbequeme Erkenntnisse ignoriert hätten. Sie seien aus der 30 seitigen „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ gestrichen worden.
Das US-Fachmagazin Science zitierte IPCC-Autoren wie Giovanni Baiocchi, Ökonom an der US-amerikanischen University of Maryland: „Wir sind noch immer erschüttert“ – über redaktionelle Änderungen in der letzten Minute.
In diesen Tagen hat nun Nafeez Ahmed, Direkter des Londoner Institute for Policy Research & Development, im britischen Guardian konstatiert, dass die Zusammenfassung „signifikant verwässert“ worden sei. Er beruft sich auf verschiedene IPCC-Forscher, die nach und nach Kritik üben. Unter anderem auf John Broome, Philosophie- und Wirtschaftsprofessor an der University of Oxford . Er ist einer der IPCC-Leitautoren.
Broome hat erst vor wenigen Tagen in seinem Blog eindrücklich den Arbeitsprozess beschrieben. 38.000 Kommentare habe das Forscherteam beackert, einen 2.000 Seiten Report verfasst. Da niemand einen vollständigen Bericht dieser Länge lese, habe eine kleinere Gruppe eine Zusammenfassung geschrieben. Vom 5. bis zum 13. April haben die Wissenschaftler dann mit den Vertretern der UN-Mitglieder in Berlin jeden einzelnen Satz dieser Kurzfassung diskutiert.
Aussagekräftige Grafiken wurden gestrichen
Es ist das übliche Verfahren, das Ergebnis oft der kleinste gemeinsame Nenner. Doch diesmal versuchten die Länder offenbar besonders vehement, die Botschaft in ihrem Sinne zu verändern. Broome beschreibt, dass die Regierungen bereits auf die UN-Klimaverhandlungen fixiert seien. Saudi-Arabien habe rund zehn Leute geschickt, um die eigenen politischen Interessen zu vertreten.
Wichtigster Streit: Die Forscher haben Grafiken erstellt, die zeigen, wie sich die CO2-Emissionen in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Dazu haben sie Ländergruppen entsprechend des jeweiligen Durchschnittseinkommens gebildet. Die Linie der Staaten mit „oberen mittleren Einkommen“ weist darin deutlich nach oben. Dazu gehören Schwellenländer wie China und Brasilien. Die Kurve der Staaten mit „hohem Einkommen“ – beispielsweise Deutschland und andere EU-Staaten – liegt noch weit darüber, hat aber einen leichten Abwärtstrend.
Diese Grafiken und entsprechende Textpassagen fehlen nun in der Zusammenfassung für Entscheidungsträger.
Der Vergleich der Staaten ist politisch heikel, denn unter das Regime des bisher gültigen Kyoto-Protokolls fallen nur Industriestaaten. Bei den kommenden Verhandlungen über ein Nachfolge-Abkommen wird es um die Frage gehen, welche Verpflichtungen auch Schwellenländern auferlegt werden können. Die Grafiken hätten Argumentationshilfe sein können, wer welchen Beitrag leisten sollte. Länder wie Brasilien und China, sowie USA und Saudi-Arabien hatten sich dagegen gestemmt.
Klimaabkommen mit „Spielräumen“
Ottmar Edenhofer, stellvertretender Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sowie Co-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe III, versteht den Frust seiner Kollegen. „Unsere Zusammenfassung hat inhaltlich verloren, in Breite und Tiefe.“ Sein Tipp: „Wer tiefer einsteigen möchte, dem kann ich die Lektüre unserer ausführlicheren technischen Zusammenfassung und der zugrunde liegenden Kapitel empfehlen, die alleine von den Forschern geschrieben wurden.“
Doch das „Streichen wissenschaftlich einwandfreien Textes“, werfe Fragen zur Zukunft des Intergovernmental Panel on Climate Change auf. Edenhofer: „Wie kann ein wissenschaftliches Gremium im Auftrag der Regierungen Klimapolitik analysieren, wenn das Ergebnis der Analyse wichtige und legitime Interessen eben dieser Regierungen berührt?“
Jedenfalls haben nicht alle Regierungen den ihnen präsentierten wissenschaftlichen Konsens akzeptiert. Das zeigt wie unterschiedlich die Länder dem Klimaschutz gegenüber stehen. Ein neues Klimaabkommen muss dem Rechnung tragen. „Ein internationaler Ordnungsrahmen mit klaren Zielen ist erforderlich, der zugleich Spielräume lässt, dass die Länder auf ihre Gegebenheiten angepasste Lösungen umsetzen können“, sagt Karsten Sach. Er führt seit Jahren für das Bundesumweltministerium die internationalen Klimaverhandlungen.
Weiterführende Informationen
Artikel von Ottmar Edenhofer, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Blog von Klimawissenschaftler John Broome
Artikel im britischen Guardian
Science-Bericht über Änderungen am Weltklimabericht
Kurzversion dritter Teil Weltklimaberichts [pdf, 2.0 MB]