Städte, Gemeinden und Landkreise können die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft entscheidend vorantreiben. Dabei ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung ein wichtiges Steuerungsinstrument: „Sie dient der Bestandsaufnahme zur nachhaltigen Entwicklung auf kommunaler Ebene”, erläutert Anna Lotta Nagel, wissenschaftliche Referentin beim Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Denn wenn regelmäßig Bericht erstattet wird, entstehen Zeitreihen von Daten, anhand derer Trends analysiert werden können. „Derartige Analysen unterstützen Kommunen bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien und nachfolgend beim Monitoring ihrer Strategien und ermöglicht so, gezielt nachzusteuern”, sagt Nagel.
Es gibt derzeit schon viele Kommunen, die Nachhaltigkeitsberichte erstellen. „Die Erwartungen an Kommunalverwaltungen wachsen zunehmend, die globalen Nachhaltigkeitsziele lokal umzusetzen, transparent zu handeln und grundsätzlich über die Ergebnisse Bericht zu erstatten”, sagt Annette Turmann, Abteilungsleiterin Global Nachhaltige Kommune bei der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW). Außerdem wird durch regelmäßige Berichterstattung das kommunale Engagement erst sichtbar gemacht und dient als Vorbild für andere. Die Ausgestaltung der bisherigen Berichte der Kommunen weist aber große Unterschiede auf.
Orientierungshilfe für Kommunen
Der RNE bietet mit dem Berichtsrahmen Nachhaltige Kommune (BNK) eine Orientierungshilfe, um eine gute Qualität der Berichte zu garantieren und eine höhere Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Der BNK wurde partizipativ mit vielen Kommunen entwickelt und legt dar, welche Inhalte für einen kommunalen Nachhaltigkeitsbericht relevant sind. Er definiert Kriterien und Handlungsfelder, zu denen die Kommunen berichten sollen und folgt dabei gängigen kommunalen Strukturen. Außerdem knüpfen die Berichtsinhalte an Bestehendes an, etwa die kommunalen Rechenschaftsberichte und Jahresabschlüsse oder an Modellprojekte wie die „Global Nachhaltige Kommune” (GNK) sowie die Nachhaltigkeitsberichte kommunaler Unternehmen, die dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) folgen.
Der BNK baut konzeptionell auf dem DNK auf. Entwickelt wurde er 2020 vom RNE in einem Multi-Stakeholder-Dialog, an dem neben den Mitgliedern des Dialogs „Nachhaltige Stadt“ unter anderem die Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN) beteiligt waren.
Pilotphase des BNK läuft
Im Frühjahr 2021 ist die Pilotphase zur praktischen Erprobung des BNK gestartet. Die Erfahrungen aus der Pilotphase, die bundesweit in Kooperation mit der SKEW und in Nordrhein-Westfalen zusätzlich mit der Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW (LAG 21) durchgeführt wird, sollen Anfang 2022 ausgewertet werden. Anschließend sollen sie in eine Weiterentwicklung des Berichtsrahmens für den folgenden „Regelbetrieb“ einfließen.
„Bei uns war der Begriff ‘Nachhaltigkeit’ als Schlagwort bisher nicht eingeführt”, sagt Thomas Freitag, Klimaschutzmanager im sächsischen Pirna. Die Stadt habe sich auch deswegen um die Teilnahme im BNK-Modellprojekt beworben, um das Thema stärker zu gewichten und eine regelmäßige Nachhaltigkeitsberichterstattung zu etablieren.
Der BNK erfasst zu insgesamt 18 Handlungs- und Steuerungsfeldern den Status Quo in den Gemeinden. Für Freitag ist das eine Chance, weil der BNK so helfe, die verschiedenen Aspekte, die die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen umfassen, zusammenzudenken – vom Klimaschutz bis zu den sozialen Verhältnissen.
Thomas Freitag hält es für sehr wichtig, das zusammen zu beleuchten, „auch für die Stadtgesellschaft, aber auf jeden Fall für die Verwaltung”. Der Blick durch die neutrale Brille von außen helfe dabei. Den Klimaschutzmanager überzeugt außerdem, dass der BNK nicht nur auf quantitative Indikatoren, sondern auch auf qualitative Berichtsinhalte und textliche Einordnung setzt: „So hat man die Möglichkeit, die Daten ins Verhältnis zu der Situation in der Stadt zu setzen.” Pirna hat den Bericht bereits fertiggestellt. Freitag schlägt für die Zukunft – zusätzlich – eine Art Kurzzusammenfassung mit knappen Bewertungen der jeweiligen Indikatoren und Aussagen zu den künftigen Zielen vor, gegebenenfalls grafisch aufbereitet. „Das würde die Lesbarkeit erleichtern”, sagt er, „und damit die Resonanz in der Kommunalpolitik erhöhen und die Wirksamkeit fördern.“
Lernprozesse angeregt
Das bestätigt auch Marc Busse, Leiter des Amts für Umwelt- und Verbraucherschutz in Aschaffenburg. Er gehe davon aus, dass am Ende der Pilotphase ein guter und interessanter Bericht stehen werde, durch den die Kommune verstehe, wo sie sich verbessern könne: „Das werden wir zum Anlass nehmen, diese Themen anzugehen.” Bisher hatte Aschaffenburg alle fünf bis sechs Jahre einen kürzeren, indikatorenbasierten Nachhaltigkeitsbericht erstellt.
Zusätzlich zur Datenerhebung wurden in Aschaffenburg bisher drei Workshops durchgeführt, mit Akteurinnen und Akteuren aus Politik, Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Organisationen. „Die Workshops waren wertvoll und kamen bei den Beteiligten gut an”, sagt Busse. Es reiche schließlich nicht, nur Zahlen und Dokumente auszuwerten, wichtig sei der Kontext: „Das regt bei allen Beteiligten Lernprozesse an.” Allerdings sei noch nicht klar, wie dieser eigentlich wichtige Aufwand nach der Pilotierungsphase auch ohne Unterstützung einer Agentur zu leisten sei. „Es wäre natürlich wünschenswert, dass wir in der Verwaltung dafür die Ressourcen hätten”, sagt Busse, „aber das ist aktuell noch nicht der Fall.”
Auf dem Weg zur Nachhaltigkeitsstrategie
Auch das westfälische Soest geht durch die Teilnahme am Pilotprojekt mit fachlicher Unterstützung durch die LAG 21 einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer integrierten nachhaltigen Entwicklung. „Das BNK-Pilotprojekt ist für Soest insgesamt hilfreich“, resümiert Stephan Siegert aus der Abteilung Innovation und Digitaler Wandel der Stadt Soest. Bisher hatte die Stadt keine ausformulierte Nachhaltigkeitsstrategie: „Das BNK-Projekt war eine gute Gelegenheit für uns, sich auf diesen Weg zu machen.” Die Herausforderung bestehe darin, die Verwaltung insgesamt – also die Verwaltungsführung, die Mitarbeitenden und den Stadtrat – davon zu überzeugen, dass die Steuerung nach Nachhaltigkeitszielen einen Mehrwert schafft.
Er wünscht sich für die Zukunft, dass Städte und Gemeinden für Nachhaltigkeitsthemen besser ausgestattet sind: „Kommunen sollten bereit sein, hierfür die erforderlichen Ressourcen einschließlich Personal zur Verfügung zu stellen.” Für ihn wäre es hilfreich, wenn verschiedene Instrumente der Nachhaltigkeitsberichterstattung mittelfristig zusammengelegt würden: „Idealerweise ist der Nachhaltigkeitsbericht dann integraler Bestandteil des Berichtswesens zum Haushalt oder umgekehrt.”
Außerdem setzt Siegert im BNK-Prozess auf eine starke Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Siegert, der auch das Projekt ‘Klimaneutrale Smart City Soest 2030’ koordiniert, hat mit Geldern aus diesem Projekt partizipative Elemente in den BNK-Prozess eingebracht. „Auch an der Weiterentwicklung der Strategie sowie der Nachhaltigkeitsindikatoren soll die Stadtgesellschaft mit analogen und digitalen Formaten beteiligt werden“, sagt Siegert.
Für Anna Lotta Nagel, wissenschaftliche Referentin beim Nachhaltigkeitsrat, bestätigt das bisherige Feedback die Erwartung, dass Nachhaltigkeitsberichterstattung auch einen umfassenden Kommunikationsprozess in der Verwaltung selbst auslöst: „Es ist aufwändig, aber auch ein explizites Ziel der Berichterstattung, dass Informationen aus verschiedenen Dezernaten und Fachämtern zusammengetragen und in einen gemeinsamen Kontext gebracht werden.“ Nachhaltige Entwicklung erfordere mitunter Maßnahmen, die quer zu bestehenden Strukturen verliefen.
In Pirna sieht Klimaschutzmanager Freitag als nächstes seine Stadt selbst in der Pflicht. „Die Bestandsaufnahme hat uns geholfen”, sagt er. Jetzt müsse es um den Blick in die Zukunft gehen: „Als nächsten Schritt wollen wir unsere eigene Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln.”