Herr Professor de Haan, erstmals hat jetzt die Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung getagt. Sie sind der wissenschaftliche Berater des 37-köpfigen Gremiums, das von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka ins Leben gerufen wurde. Wie kann es die Welt verändern?
Gerhard de Haan: Die Plattform kann Schlagkraft entwickeln – und die Bildungslandschaft bewegen. Es ist das erste Mal, dass Vertreter aus Ministerien, Kirchen, Hochschulen, Arbeitgeberverbänden, Unternehmen zusammen kommen, um dafür zu sorgen, dass Kinder, Schüler, Studierende, Auszubildende lernen, wie eine nachhaltige Gesellschaft zu gestalten ist. Sie werden sich alle unterschiedlich einbringen. Marlehn Thieme etwa, die Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung,
…sie ist auch Mitglied in dem Gremium…
steht dafür, dass sie Hochschulen dazu bringen will, den deutschen Nachhaltigkeitskodex einzuführen. Sie sollen in Forschung, Lehre und betrieblichem Management soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz oder Korruptionsbekämpfung verankern.
Aber im Physikunterricht diskutierten Schüler schon in den achtziger Jahren Atomkraft, in Erdkunde debattieren sie heute den Klimawandel. Wo gibt es genau Nachholbedarf?
Ist das die Regel? Laut dem Greenpeace-Nachhaltigkeitsbarometer hat nicht einmal die Hälfte der Jugendlichen an Gymnasien von Nachhaltigkeit gehört. Von den anderen Schulformen ganz zu schweigen. Bisher liegt es am Engagement einzelner Lehrer, ob sie Themen wie Klimawandel, globale Gerechtigkeit oder auch Green Economy im Unterricht anpacken.
Woran hapert es?
Selten, etwa in Baden-Württemberg, wird die Nachhaltigkeit in den Bildungsplänen substanziell verankert. Es nützt wenig, wenn nachhaltige Entwicklung in den Präambeln der Rahmenpläne zu finden ist, das einzelne Unterrichtsfach aber kaum berührt ist. Wir müssen zur strukturellen Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung im Alltag des Lernens und Lehrens, des Forschens und Arbeitens, des Konsums und der Mobilität kommen.
Das war bereits das Ziel der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Im Anschluss, 2014, haben die Vereinten Nationen ein fünfjähriges Weltaktionsprogramm ausgerufen. Warum geht es nur schleppend voran?
Jede Innovation im Bildungssystem hat es schwer. Die Bildungspläne sind immer schon voll, inhaltliche Veränderungen haben Laufzeiten von mehr als zehn Jahren und Lehrer handeln in Routinen. Dennoch tut sich was.
Was ändert sich?
Die Dekade war ein Erfolg, weil sie Akteure und Initiativen sichtbar gemacht und den Willen gestärkt hat, substanziell etwas zu ändern. Beim Weltaktionsprogramm heißt das Ziel nun: vom Projekt zur Struktur. Das Bildungsministerium hat seinen Etat dafür deutlich aufgestockt. Fachforen sollen ausarbeiten, was in welchen Bildungsbereichen geschehen muss, damit die Agenda 2030, die die Vereinten Nationen im September verabschiedet haben, in diesem Punkt erfüllt wird: Alle Lernenden sollten dann wissen, wie nachhaltiges Handeln geht.
Wie sieht Unterricht aus, der das Verständnis für Nachhaltigkeit fördert?
Es geht nicht nur um die Befassung mit neuen Lerninhalten wie etwa der Biodiversität. Das führt allenfalls zum Bescheidwissen: Es geht um neue Zugänge zur Welt von morgen.
Ein Beispiel?
Die Universität Bremen hat die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit, eine von der Deutschen Bundestiftung Umwelt geförderte Einrichtung, aufgebaut. Studenten aller deutschen Hochschulen können sich die Dozenten im Netz ansehen und auch Zertifikate erwerben. Die web-basierten Lehrveranstaltungen werden an unterschiedlichen Hochschulen anerkannt, etwa für das Studium Generale oder einen Geographiekurs. So muss nicht jede Uni selbst die Expertise aufbauen.
Was muss im Nationalen Aktionsplan stehen, den die Plattform bis 2017 entwickeln soll?
Er muss genau sagen, was in den einzelnen Bildungsbereichen die spezifischen Ziele sind, wie man sie erreichen will und wie man am Ende misst, ob sie auch erreicht wurden.
Wie viel Geld müssen Bund und Länder extra zur Verfügung stellen?
Das kann derzeit wohl niemand sagen. Doch oftmals neigen Ministerien dazu, das, was sie ohnehin vorhaben, nun als Beitrag zum Weltaktionsprogramm zu deklarieren. Es ist zu wünschen, dass die in Bund und Land etwas oben draufpacken. Übrigens muss man nicht überall deutlich nachlegen. Material, das etwa für die Grundschule oder die Sekundarstufe I taugt, gibt es eine Menge, etwa beim Bundesumweltministerium oder unter dem BNE-Portal.
Was machen andere Staaten besser?
Manche Länder werden schneller verbindlich. Der Kultusminister aus Manitoba in Kanada formulierte das 2014 zum Beispiel so: “Unseren Kindern beizubringen, wie das Leben nachhaltig zu leben ist, ist das dringendste und wichtigste Ziel in der Bildung heute – wir haben keine Zeit zu verlieren.” Die Schulen Kanadas sollen in ihren Profilen spätestens bis 2017 die Nachhaltigkeit verankern.
Wann ist die Nationale Plattform ein Erfolg?
Wenn das, was im Nationalen Aktionsplan an Zielen formuliert wurde, zu mindestens zwei Dritteln erreicht wurde. Das werden wir allerdings nicht schon 2019 wissen. Denn Rahmenpläne, Aus- und Fortbildung oder Indikatoren sind das eine. Gestaltungskompetenz für nachhaltige Entwicklung zu besitzen aber ist das andere. Darüber vergehen dann doch mehr als vier Jahre der Revision und Reform.
Biografie:
Gerhard de Haan ist Professor für Zukunfts- und Bildungsforschung an der Freien Universität Berlin. Er leitet dort das Institut Futur. Er war Vorsitzender des Nationalkomitees der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2005-2014) und von Anfang 2014 bis Mitte 2015 kooptiertes Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Der Erziehungswissenschaftler forscht und lehrt zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, Theorie von Erziehung und Bildung, Wissensgesellschaft und zu sozialwissenschaftlichen Zukunftsfragen.
Das Interview führte Hanna Gersmann.
Weiterführende Informationen
Die Plattformidee
Das Greenpeace Nachhaltigkeitsbarometer [pdf, 6,1 MB]
Materialien für Nachhaltige Bildung [pdf, 1 MB]
Mitglieder des Beratungsgremiums [pdf, 505 KB]
Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit
BNE-Portal – Mehr zur Bildung für nachhaltige Entwicklung