Weltweit hungern 820 Millionen Menschen. Sie stehen zwei Milliarden gegenüber, die Übergewicht haben. „Das Ernährungssystem muss neu ausgerichtet werden, damit sich die Menschen dieser Welt gesund ernähren können und der Planet geschont wird“, sagt Jörg-Andreas Krüger, der Präsident des Naturschutzbundes Deutschlands (NABU) und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung ist.
Und er fordert: „Wir müssen klären, welche Landwirtschaft wir in Deutschland wollen und welche Rolle sie weltweit spielen soll.“ Denn zum Beispiel würden allein in Brasilien und Argentinien für die Produktion von Sojabohnen, die in Deutschland verfüttert werden, jedes Jahr zweieinhalb Billionen Liter Wasser verbraucht. „Das wird eine der spannendsten Debatten der nächsten Monate und Jahre“, so Krüger weiter.
Krüger ist einer der Autoren der neuen Stellungnahme des Rates über eine „konsequente Weichenstellung für ein nachhaltiges Ernährungssystem“. Die Bundesregierung hatte diese mitten in der aufgeheizten gesellschaftlichen Debatte um die Existenznöte der Bauern, die Wertschätzung für Lebensmittel, das Wohl der Tiere und die Umweltkrise erbeten. „Das 16-seitige Ergebnis ist, auch wenn es an der ein oder anderen Stelle vielleicht etwas präziser hätte ausfallen können, eine bemerkenswerte Verständigung“, meint Krüger.
Im Rat sitzen nicht nur klassische Umweltvertreter wie er selbst, sondern auch Mitglieder aus der Landwirtschaft wie Hubertus Paetow von der Deutschen Landwirtschaftlichen Gesellschaft und jene mit Wirtschaftsperspektive wie BASF-Vorständin Saori Dubourg. Das Papier ist ein Ausgangspunkt für die nächsten Monate, in denen national, europäisch und international zentrale Punkte verhandelt werden.
Neue Umweltregeln
Das eine sind die Freiwilligen Leitlinien zu Ernährungssystemen und gesunder Ernährung des Welternährungsrates CFS. Es sind Handlungsempfehlungen für Staaten, wie sich das Recht auf Nahrung verwirklichen lässt, die erneuert werden.
Das andere: Die Bundesregierung will sich auf neue Umweltregeln einigen, etwa zum Schutz von Insekten oder zur Tierhaltung. Entscheidende Debatten werden in der zweiten Hälfte dieses Jahres auf EU-Ebene geführt, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne hat. So steht in Frage, wie die milliardenschweren Agrarsubventionen der EU neu verteilt und an Umweltschutz gekoppelt werden. Auch der europäische Green Deal betrifft die Landwirtschaft. Die Kommission hat dazu bereits die „Farm-to-Fork“-, also vom „Hof-zum-Teller“-Strategie und die Biodiversitätsstrategie vorgestellt. Der Einsatz von Antibiotika, chemischem Dünger, Pflanzenschutzmitteln soll gemindert, der Ökolandbau ausgeweitet werden. Dies trifft nicht nur auf Begeisterung: der Bauernverband sah in beiden Strategien bereits einen „Generalangriff auf die gesamte europäische Landwirtschaft“.
Welche Kompromisse sind nötig und möglich? Die Bundesregierung richtet eine Zukunftskommission Landwirtschaft ein, um Antworten zu finden. „Sie muss jetzt schnell starten“, sagt Krüger, „um die bislang raue Debatte zu steuern und einen Dialog voranzubringen.“
Eine große Frage zum Beispiel wird sein, wie der Umbau der Landwirtschaft finanziert werden kann. Vorschläge gibt es. Eine Expertengruppe rund um den einstigen Landwirtschaftsminister Jochen Borchert brachte zum Beispiel einen Preisaufschlag von etwa 40 Cent je Kilo Fleisch ins Spiel. Einen geringen Aufschlag gäbe es auch auf Eier und Milchprodukte. So würden jene, die Fleisch essen, den tierfreundlichen Umbau von Ställen mitfinanzieren.
Abgabe, CO2-Steuer, Emissionshandel
Krüger könnte sich auch eine “Transformationsabgabe” vorstellen – und damit auch auf das Kilo Kartoffeln 2 Cent aufzuschlagen. Andere denken darüber nach, den Emissionshandel auf die Landwirtschaft auszuweiten, eine CO2-Steuer zu erheben oder eine Pestizidabgabe einzuführen.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung schlägt vor, in jedem Fall die Empfehlungen der Borchert-Kommission zu debattieren, auch Preissignale zu setzen. Er spricht sich aber auch dafür aus, zunächst zu klären, wie ein Ernährungssystem so aussehen kann, dass die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen nicht miteinander kollidierten, also etwa der Schutz von Klima, Biodiversität und Boden nicht mit der Bekämpfung des Hungers.
In der Stellungnahme heißt es: „Jede Maßnahme muss in ihren Auswirkungen auf die Gesamtheit der Ziele betrachtet werden, nicht nur auf den jeweiligen Indikator. Mögliche Zielkonflikte müssen benannt und minimiert werden.“
Der Umbau zum nachhaltigen Ernährungssystem werde „nicht einfach“, sagt Krüger. Aber es gehe auch um die Zukunft von 260.000 landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland. Der Kraftakt lohne – für alle.