Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat sich zu einer neuen EU-Afrika-Strategie positioniert. Was sind die wichtigsten Punkte?
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Im Kern brauchen wir eine Friedenspartnerschaft zwischen der EU und Afrika. Denn wir müssen die Interessen der Menschen auf beiden Kontinenten in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehört etwa der gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel, Gewaltkrisen zu verhindern oder den Abfluss von Finanzmitteln in den afrikanischen Ländern zu beenden. Zudem müssen wir die Handelspolitik so verändern, dass die Verwirklichung der Afrikanischen Freihandelszone unterstützt wird. Und wir brauchen völlige Transparenz über die Finanzmittel, die für Afrika zur Verfügung stehen.
Wenn es um finanzielle Unterstützung geht, ist erneut ein Schuldenerlass für afrikanische Staaten im Gespräch. Welche Chancen sehen Sie für diese Pläne?
Derzeit herrscht auf allen Seiten ein gewaltiger Druck einen wirklichen Schuldenerlass umzusetzen. Auch der Privatsektor muss sich beteiligen. Und auch China. Bedingung ist allerdings, dass mit den finanziellen Mitteln nicht Haushalte konsolidiert werden, sondern die UN-Nachhaltigkeitsziele umgesetzt werden. Ein weiteres gravierendes Problem sind Steuerhinterziehung und Gewinnverlagerung. Rund 50 Milliarden US-Dollar fließen auf diese Art und Weise jedes Jahr aus den afrikanischen Ländern ab. Auch dieses Geld sollte für die Umsetzung der Agenda 2030 genutzt werden. Um dagegen anzugehen, müsste man die afrikanischen Staaten in das automatische Informationssystem zwischen den Steuerverwaltungen einbeziehen. Das ist zwar die Praxis bei den G20 und bei der OECD, aber viele afrikanische Staaten sind nicht dabei. Zudem müsste man dazu beitragen, dass die wirklichen Eigner von Unternehmen genannt und bekannt werden. Wir brauchen ein gemeinsames Engagement zur Besteuerung von Digitalunternehmen. Das Ganze hängt von der Entschlossenheit der Regierungen der einzelnen Länder ab.
Welche Allianzen gibt es, um diese Ansätze Wirklichkeit werden zu lassen?
Die Länder, die dazu bereit sind, müssen vorangehen und die Zivilgesellschaft miteinbeziehen. Die Afrikanische Union hat in diesen Fragen eine klare offizielle Linie. Nun müssen sich die EU-Staaten zusammenraufen. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe braucht eben auch finanzielle Unterstützung. China und Russland sind bereits aktiv auf dem afrikanischen Kontinent. Jetzt muss die EU agieren.
Der Privatsektor spielt nach wie vor eine wichtige Rolle. Berechtigt oder kritisch zu sehen?
Letztlich kommt es darauf an, in welchen Bereichen und mit welchen Zielen engagiert man sich. Eine der Möglichkeiten ist sicherlich ein Engagement im Bereich der Klimaneutralität und dass die Stromversorgung in den afrikanischen Staaten ausgebaut wird. Auch die Afrikanische Union hat sich auf die UN-Nachhaltigkeitsziele festgelegt. Dort wo es schwierig ist, muss die Afrikanische Union als Ansprechpartner genutzt werden.
Bei der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele hinkt die Weltgemeinschaft hinterher. Ist eine solche gestärkte Partnerschaft ein Treiber für mehr Tempo bei der Agenda 2030?
Ja, sicherlich. Aber das setzt voraus, dass die Bundesregierung in den Fragen der Nachhaltigkeitsziele zielorientierter handelt. Ein Beispiel: Für Strategien zur globalen Gesundheit gibt es viele Pläne aber keine messbaren Indikatoren. Der Wille ist da. Aber das reicht nicht aus.
Inwieweit beeinflusst die Corona-Pandemie Ansätze einer neuen Partnerschaft mit Afrika?
Weltweit hat man verstanden, dass das Virus erst dann bekämpft ist, wenn es in allen Staaten geschlagen ist. Das Wissen ist gewachsen, dass es nur durch Zusammenarbeit geht. Ein Schuldenerlass wäre derzeit also umso wichtiger. Hinzu kommen Wiederaufbauprogramme für afrikanische Staaten, um den Folgen der Pandemie entgegenzuwirken. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds könnten dies voranbringen. Wäre die EU ein Treiber, wäre dies sicherlich gut.
Noch knapp drei Monate hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne. Was sollte die Bundesregierung in der noch verbleibenden Zeit zur Priorität machen?
Der geplante Gipfel zwischen EU und der Afrikanischen Union (AU) wurde in diesem Jahr leider abgesagt. Das ist bedauerlich. Aber dennoch kann die Bundesregierung ein klares politisches Signal setzen. Im Green Deal wurde festgelegt, dass die afrikanischen Länder unterstützt werden bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Thema Klimaneutralität. Dies kann man verstärkt auf die Agenda setzen.
EU-AU-Friedenspartnerschaft: Gemeinsamer Aufbruch in eine Zukunft der nachhaltigen Entwicklung (Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung, 15.10.2020)
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat im September 2020 Eckpunkte für eine gleichberechtigte Partnerschaft mit Afrika beschlossen. Im Mittelpunkt des Papiers stehen Empfehlungen zur Umsetzung der Klimaschutzziele, zur Handelspolitik mit afrikanischen Staaten, zur Geschlechtergerechtigkeit oder zur Migration. Die Stellungnahme wird in Kürze der Bundesregierung überreicht.