EU-Expertengruppe zeigt Wege zu einer neuen Finanzwirtschaft

Über ein Jahr hat eine Expertengruppe im Auftrag der EU-Kommission an Empfehlungen gearbeitet, wie die Regeln für die Finanzmärkte geändert werden müssen – auf dass sie sicherer werden und nachhaltige Entwicklung nicht torpedieren, sondern ihr dienlich sind. Das sind die Ergebnisse.

Die EU wird die Klimaziele von Paris nicht erreichen, geht es so weiter wie bisher. 180 Milliarden Euro müssen pro Jahr zusätzlich in Gebäude, Verkehr, erneuerbare Energien, Energieeffizienz und vieles mehr fließen, schätzt die EU-Kommission. Um das Loch zu stopfen, braucht es dringend mehr privates Kapital, schreibt jetzt eine 20-köpfige Expertengruppe – und gibt auf 100 Seiten Empfehlungen, welche Regeln dazu geändert werden müssen. Nicht nur für die Paris-Ziele, sondern auch zur Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen.

„Der Bericht ist das umfassendste Werk, das je zum Thema nachhaltige Finanzwirtschaft verfasst wurde“, sagt Michael Schmidt, Mitglied der Geschäftsführung Deka Investment und einer der Experten der sogenannten hochrangigen Expertengruppe für nachhaltige Finanzwirtschaft („High Level Expert Group on Sustainable Finance“, kurz HLEG). Die setzt sich aus Vertreterinnen Vertretern von Banken, Universitäten, Versicherern, Fonds und Börsen, sowie von NGOs wie dem WWF, Thinktanks wie die 2° Investing Initiative, der Climate Bonds Initiative (CBI) oder Third Generation Environmentalism (E3G) zusammen.

„Europa hat jetzt die einmalige Gelegenheit, das weltweit nachhaltigste Finanzsystem aufzubauen“, heißt es in dem Bericht, der gleich zu Beginn klar macht: Es gibt nicht einen einzelnen Hebel, mit dem man das Finanzsystem umschalten kann. „Wir haben ein Gesamtkonzept erarbeitet. Die einzelnen Empfehlungen sind vielfach untereinander verbunden. Das sollte man bei der Umsetzung unbedingt berücksichtigen“, sagt Schmidt. Zudem brauche es eine Synchronisation mit der Realwirtschaft und vor allem mit der Politik. „Wir brauchen auch endlich einen sinnvollen CO2-Preis“, sagt Schmidt.

Klassifikation, was nachhaltige Geldanlagen überhaupt sind

Konkret schlägt der Bericht 24 Maßnahmen vor: Acht Kernempfehlungen, acht sektorübergreifende und acht konkrete Maßnahmen etwa für Pensionsfonds oder Banken. Zu den Kernempfehlungen gehört unter anderem, endlich eine klare, europaweite Definition zu finden, welche Geldanlagen sich überhaupt „nachhaltig“ nennen dürfen. Eine solche Klassifikation muss für alle Arten von Kapitalanlagen gelten – von der Projektfinanzierung über Bonds bis hin zu Eigenkapital.

Sie muss dynamisch sein, sich fortlaufend wissenschaftlichen Erkenntnissen anpassen und könnte auf bereits bestehenden Standards aufbauen. Eine Matrix haben die Experten bereits erarbeitet: Sie kombiniert verschiedene Sektoren wie Energie, Verkehr, Waldwirtschaft oder Gesundheit mit den globalen Nachhaltigkeitszielen– etwa Zugang zu sauberem Wasser oder Reduzierung von Müll.

Eine weitere Kernforderung betrifft die Verpflichtung der Investoren, offenzulegen, wie sie Nachhaltigkeit in ihren Investitionsentscheidungen berücksichtigen. Pensionsfonds müssen in der EU bereits darüber berichten, ob sie ökologische und soziale Aspekte in ihrem Risikomanagement beachten. Sie sind aber nicht verpflichtet, aufzuzeigen, wie sie diese ESG-Kriterien (ESG steht für environment, social und governance) konkret in ihren Investitionsentscheidungen anwenden.

Darüber hinaus werden EU-Labels für Grüne Investmentfonds und Green Bonds gefordert. Mit letzteren könnten ökologisch orientierte Unternehmen leichter Geld bei Anlegern einsammeln. Die Experten sehen auch bei den Behörden, die in der EU mit der Aufsicht der Finanzmärkte betraut sind, eine deutlich aktivere Rolle. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde oder die Europäische Bankenaufsichtsbehörde etwa sollen die langfristigen Risiken stärker überwachen, die der Klimawandel für das Finanzsystem mit sich bringt.

Die “Tragödie des falschen Zeithorizontes“

Ein zentraler Gedanke der sektorübergreifenden Maßnahmen ist die „Tragödie des falschen Zeithorizontes“ des Finanzsektors: Investitionen in Nachhaltigkeit – Bildung, Infrastruktur, Energie – zahlen sich erst nach Jahren oder Jahrzehnten aus und passen nicht zu vielen schnellen und spekulativen Akteuren der Finanzwirtschaft. „Short-termism“, so der englische Begriff, sei ein klares Hindernis für eine nachhaltigere Finanzwirtschaft. Eine schnelle Lösung sehen die Experten nicht. Sie schlagen vor, zunächst zu evaluieren, welche Regularien das Geschäft mit dem schnellen Profit begünstigen.

An anderer Stelle werden die Experten dafür wesentlich konkreter – etwa bei den Maßnahmen für Ratingagenturen: Diese sollten schlicht ESG-Kriterien in ihre Ratings einbauen die Methoden dazu öffentlich zugänglich machen. Dazu gehöre auch, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Sachen Nachhaltigkeit fortzubilden.

Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, nennt den Bericht der HLEG ambitioniert. „Er ist sehr gut, weil er deutliche Orientierung für die Zukunft der Finanzmärkte aufzeigt. Und er zeigt praxisorientiert, dass nachhaltige Finanzmärkte möglich sind“, so Thieme. „Aber es fehlt eine Zusammenschau verschiedener Politikfelder. Wir brauchen im Hinblick auf die europäische Haushalts-, Steuer- und Wirtschaftspolitik einen stimmigen Ordnungsrahmen, der marktwirtschaftliche Instrumente ermöglicht.“ Die RNE-Vorsitzende weist außerdem auf die Bedeutung der Unternehmen hin. „Für eine nachhaltige Finanzwirtschaft braucht man beide, die Banken und Versicherungen und auch die Unternehmen.“

Insgesamt hat der Bericht nur empfehlenden Charakter. Am 20. Februar beschäftigen sich die EU-Finanzminister damit, im März wird die EU-Kommission ihren „Aktionsplan für eine nachhaltige Finanzwirtschaft“ vorlegen; darin sollen die Empfehlungen der Experten einfließen. Am 22. März ist in Brüssel dann eine große Expertenkonferenz zu dem Thema geplant. Die hochrangige Expertengruppe empfiehlt, noch in diesem Jahr auf EU-Ebene eine Arbeitsgruppe einzurichten, die dann bis 2020 ein Klassifikationssystem für nachhaltige Geldanlagen in der EU erarbeitet. „Unseren Bericht umzusetzen ist jetzt Aufgabe der EU und der Akteure auf den Finanzmärkten“, sagt Schmidt.

Wie es jetzt weitergeht

RNE-Vorsitzende Marlehn Thieme: „Im Koalitionsvertrag steht nichts von nachhaltiger Finanzwirtschaft. Doch der HLEG-Bericht braucht, da nur Empfehlung, politische Unterstützung. Die neue Bundesregierung muss sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass smarte C02-Regulierungsprozesse für eine nachhaltige Finanz- und Realwirtschaft stattfinden“.

In Deutschland setzt der Hub for Sustainable Finance mit seinen zehn Thesen an einigen Empfehlungen des Abschlussberichts an. Dieses offene Netzwerk von Finanzmarktakteuren und weiteren Stakeholdern wurde im Sommer 2017 vom Rat für Nachhaltige Entwicklung und der Deutschen Börse initiiert. Nach einem ersten Gipfel im Oktober 2017 in Frankfurt werden die Akteure nun aufgefordert, Beiträge zu leisten, die zu einem nachhaltigen Finanzsystem in Deutschland beitragen und das Thema im Mainstream des Kapitalmarkes etablieren.

Eine eigenständige Projektwebsite ist momentan im Aufbau, bis dahin sind aktuelle Informationen auf www.h4sf.de zu lesen. Am 22. Februar findet in Berlin eine Tagung zur nachhaltigen Finanzwirtschaft statt, die der Hub mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung organisiert. Schwerpunktthema wird der Bericht der HLEG sein. Die Tagung ist allerdings schon ausgebucht.