In England soll zum ersten Mal in Europa ein großes Kohlekraftwerk seine CO2-Emissionen mit der Carbon Capture and Storage-Technologie (CCS) im Boden speichern. Erstmals gibt die EU-Kommission für ein derartiges Projekt Fördergelder – gleich 300 Millionen Euro. Ein britischer Milliardär geht noch einen Schritt weiter: Er lobt einen Preis aus, um der Atmosphäre in großem Stil CO2 zu entziehen.
Falls die Pläne verwirklicht werden, wäre es das erste großindustrielle Projekt dieser Art in Europa: In der nordenglischen Grafschaft North Yorkshire wollen der französische Energiekonzern Alstom und der britische Energiekonzern Drax ein Kohlekraftwerk mit 426 Megawatt Leistung errichten, dessen CO2-Emissionen mit dem Oxyfuel-Verfahren aus den Abgasen abgeschieden werden sollen. Dabei wird die Kohle mit reinem Sauerstoff verbrannt. Dieses Verfahren soll das britische Unternehmen BOC übernehmen, eine Tochter der deutschen Linde Group.
Allerdings gibt es noch keine endgültige Investitionsentscheidung für das sogenannte White Rose Carbon Capture and Storage Project. Die EU-Kommission hat trotzdem bereits zugesagt, aus dem NER300-Programm 300 Millionen Euro an Fördergeldern zuzuschießen. Insgesamt verteilt die EU-Kommission mit NER300 eine Milliarde Euro, das meiste an Projekte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien. Das Geld stammt aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten, die Unternehmen erwerben müssen, wenn sie Klimagase emittieren.
Kommission sieht „Schlüsseltechnologie für fossile Stromerzeugung“
„Wir wollten eigentlich mehr CCS-Projekte fördern“, sagt Isaac Valero Ladron, Sprecher des EU-Klimakommissariates. Allerdings gibt es die EU-Gelder nur, wenn Unternehmen oder nationale Regierungen mindestens die Hälfte der Investitionssumme übernehmen. Das war nur bei White Rose der Fall, so Ladron. Zwei Jahre zuvor hatte die EU-Kommission kein einziges förderfähiges CCS-Projekt in der EU gefunden.
Für die Kommission ist CCS „vielleicht die einzige Möglichkeit zur Reduzierung der direkten Emissionen aus Industrieprozessen“ sowie eine mögliche „Schlüsseltechnologie für die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen“, wie sie in ihrem derzeit diskutierten Entwurf zur Energie- und Klimastrategie 2030 schreibt. Die meisten Umweltverbände lehnen die Technologie ab. Greenpeace etwa sieht darin einen Vorwand zum Bau neuer Kohlekraftwerke. Der BUND argumentiert, dass die Kosten zur Vermeidung von CO2 durch CCS höher seien als die durch den Zubau erneuerbarer Energien eingesparten Emissionen.
Während die Kommission CCS als Mittel zur CO2-armen fossilen Stromerzeugung sieht, diskutieren Wissenschaftler die Idee, die Technologie dafür einzusetzen, der Atmosphäre Klimagase wieder zu entziehen. Der britische Milliardär und Abenteurer Richard Branson, der mit dem Musik-, Mobilfunk- und Luftverkehrsunternehmen Virgin reich wurde, hat dazu 2007 die Virgin Earth Challenge ausgerufen und 25 Millionen Dollar Preisgeld ausgelobt für Technologien, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen.
Mittlerweile gibt es elf Finalisten, ausgewählt von Branson selbst und einer Jury in der unter anderem der ehemalige amerikanische Vizepräsidenten Al Gore sitzt. Explizit ausgenommen von der Teilnahme sind Unternehmen, die durch Geoengineering die Umwelt der Erde großflächig ändern wollen, etwa in dem das Algenwachstum in den Meeren angeregt wird, damit die Pflanzen CO2 binden.
Zu den ausgewählten Ideen gehört beispielsweise die kanadische Firma Carbon Engineering, die CO2 direkt aus der Luft filtern will – mit bereits vorhandenen Technologien. Das Geld für das Start-up kam übrigens unter anderem von Bill Gates, mit an Bord ist der Harvard-Professor David W. Keith. Bei dem System blasen Ventilatoren Luft durch ein Netzwerk aus Plastikröhren, über das eine mit Kaliumhydroxid getränkte Flüssigkeit strömt, die CO2 bindet. Wie viel das System am Ende kostet steht noch in den Sternen, mehr als einen Prototyp gibt es bisher nicht. Literaturstudien gehen bei derartigen Verfahren von 20 bis 2.000 Dollar pro Tonne CO2 aus. Firmen wie Coaway haben ähnliche Ideen, sie wollen eine entsprechende Flüssigkeit im Inneren von Kühltürmen konventioneller Kraftwerke einsetzen.
Besonders weit ist ein anderer Finalist: Climeworks, eine Ausgründung der Schweizer Universität ETH Zürich. Die Technologie der Firma bindet das CO2 ebenfalls chemisch in einem Filter aus Zellulose. Der Prototyp schafft vier Kilo CO2 am Tag. Um das Klimagas abzusaugen, muss der Filter danach auf 95 Grad erhitzt werden und kann wiederverwendet werden. Audi will die Technologie einsetzen, um Methan für sein Erdgas-Auto e-tron zu produzieren. Dabei wird mit Ökostrom Wasser per Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Der Wasserstoff wird dann mit dem Kohlenstoff aus dem CO2 zu Methan umgewandelt.
Gemeinsamkeit aller Erfindungen: Um das Klimagas zu filtern, bedarf es wiederum Energie.
Die größten Chancen für einen wirklichen Beitrag zum Klimaschutz sehen Forscher deshalb in der CCS-Technologie in Verbindung mit der Nutzung von Biomasse, kurz BECCS. Die Idee: Pflanzen binden Kohlendioxid automatisch während ihres Wachstums. Werden sie energetisch genutzt, etwa zum Heizen in Form von Holz, kann das CO2 abgeschieden und unter die Erde gepresst werden. Dadurch wird es unterm Strich der Atmosphäre entzogen. In einer Untersuchung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) heißt es: „Unsere Analyse unterstützt Ergebnisse, dass BECCS eine Schlüsseltechnologie sein kann, um den Klimawandel abzuschwächen.“ Dennoch sei die Technik nur eine Ergänzung, kein Ersatz für die traditionellen Ansätze, um den Klimawandel einzudämmen.
Option für die Zukunft?
Das direkte Filtern von CO2 aus der Luft sei dagegen, so schreibt das PIK, laut verschiedener Studien wahrscheinlich auch langfristig zu teuer. Größter Schwachpunkt wiederum bei BECCS: Um einen Effekt zu erzielen, müsse Bioenergie in großem Stil genutzt werden – was einen hohen Flächenverbrauch und Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau bedeutet.
Dennoch könnte BECCS noch wichtig werden: Der Weltklimarat IPCC schreibt in seinem jüngsten Sachstandsbericht: Ein Großteil der Szenarien, in denen sich die CO2-Konzentration der Atmosphäre auf erträgliche 430-480 ppm (parts per million, also CO2-äuqivalente Moleküle pro einer Million Bestandteile der Luft) einpendelt, seien „overshot-Szenarien“. Die Konzentration steigt also über diese Werte und muss wieder gesenkt werden. 450 ppm gilt noch als beherrschbar, weil sich das Klima dann im globalen Mittel wahrscheinlich nicht mehr als zwei Grad erwärmt. Demnach könnten Technologien zur Senkung der CO2-Konzentration der Atmosphäre auch aus Sicht des IPCC noch wichtig werden.
Weiterführende Informationen
White Rose Projekt
Pressemitteilung zum NER 300-Programm
Homepage von Carbon Engineering
Homepage von Climeworks
PIK-Studie zum Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre [PDF, 381 kB]
IPCC Mitigation Report (Seiten 25, 33f)