In diesem Jahr verabschieden die Vereinten Nationen ihre neuen, nachhaltigen Entwicklungsziele. Sie werden auch für Industrieländer gelten. Während Deutschland die Weiterentwicklung seiner nationalen Nachhaltigkeitstrategie an diesen Sustainable Development Goals (SDGs) ausrichtet, steht das Thema bei der EU-Kommission bislang nicht auf der Tagesordnung. Im Gegenteil: Umweltverbände fürchten Verschlechterungen.
Gewerkschaften, Verbraucherschützer, Entwicklungs- und Umweltgruppen und andere zivilgesellschaftliche Organisationen in Europa sind offenbar nicht einverstanden mit vielen Gesetzesvorhaben der Brüsseler EU-Kommission: Ende Juni trafen sich erstmals 58 Organisationen zur Gründung des sogenannten „Better Regulation Watchdog“.
Dabei sind etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund, Friends of the Earth, die European Federation of Journalists oder Greenpeace. Sie alle treibt die Sorge um, dass die Agenda „Bessere Rechtssetzung“ (Better Regulation) von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Abbau von Umwelt- und Sozialstandards in Europa führt. Zudem fürchten sie einen größeren Einfluss von Lobbygruppen und weniger korrigierenden Einfluss des EU-Parlaments.
„Better regulation“ ist eines der Kernanliegen Brüssels, ausgearbeitet unter der Regie des ersten Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans. Die Details hat er am 19. Mai vorgestellt, sie werden nun mit dem EU-Parlament und dem EU-Rat abgestimmt. Laut dem Vorschlag geht es nicht um generell weniger Vorschriften aus Brüssel, sondern um eine effizientere politische Arbeit der Kommission.
EU-Kommission: Gesetz essentiell für nachhaltige Entwicklung
Sie will das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten früher ins Gesetzgebungsverfahren einbinden, Bürger sollen den Fortgang auf einem Internetportal einsehen, Interessengruppen jeweils acht Wochen lang Stellungnahmen zur geplanten Richtlinien abgeben können. „Dieses Gesetz ist essentiell für eine nachhaltige Entwicklung, den gemeinsamen Markt und um die Investitionen freizusetzen, die für Wachstum und Arbeit notwendig sind“, heißt es in dem Papier. Fraktionen der SPD, FDP, CDU und Teile der Wirtschaft begrüßten den Vorstoß.
Woher kommt dann die Skepsis vieler Organisationen? „Bisher gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die EU-Kommission die nachhaltige Entwicklung voranbringen will“, sagt Pieter de Pous, politischer Geschäftsführer des European Environmental Bureau (EBB), einer Dachorganisation von über 140 Umweltgruppen in Europa.
Bjela Vossen, Vizepräsidentin des EBB und Leiterin EU-Koordination des Deutschen Naturschutzrings kritisiert, dass die zehn Prioritäten von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nur auf Jobs, Wettbewerb und kurzfristiges Wachstum fokussieren – ohne auf eine nachhaltige Entwicklung Europas zu setzten. Nun wolle die EU-Kommission unter dem Deckmantel von „besserer Rechtsetzung“ und „größerer Transparenz“ Ministerrat und EU-Parlament auf diese wenig nachhaltige Schwerpunktsetzung festlegen.
Insgesamt fokussiere die neue Kommission vor allem auf eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Pous konstatiert hier altes Denken: Statt Nachhaltigkeit als Teil einer ökonomischen Gesamtstrategie zu sehen, sehe die Kommission Umwelt- und Sozialstandards eher als Hindernis für die Wirtschaft. „Die Kommission handelt nach dem Motto: Um Wettbewerbsfähig zu werden, muss man das grüne Zeug loswerden“, meint Pous.
Dennoch sind in Junckers-10-Punkte-Plan, der als Grundlage der Agenda der Kommission gilt, auch wichtige Punkte wie die Umsetzung der Energie- und Klimaziele der EU bis 2030 enthalten. Pous hält das jedoch für eine „Neuverpackung“ von ohnehin geplanten Maßnahmen. Anfang Juni forderten auch Marlehn Thieme, Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrates zusammen mit Generalsekretär Günther Bachmann und Nabu-Präsident Olaf Tschimpke in einem Brief an Timmermans den Kommissar dazu auf, die Nachhaltigkeitsstrategie der EU zu erneuern.
Thieme, Bachmann, Tschimpke: "Globale Verantwortung Europas"
Das sei nötig, um die Sustainable Development Goals (SDGs), die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN, die im September verabschiedet werden sollen, auf nationaler Ebene umzusetzen. „Gerade die globale Verantwortung Europas gebietet es, die europäischen Beiträge zur globalen Nachhaltigkeitspolitik voranzutreiben“, heißt es in dem Brief. Die Kommission nahm auf Nachfrage keine Stellung dazu, ob eine Überarbeitung der Nachhaltigkeitsagenda geplant ist.
Vossen sieht einige konkrete Punkte, welche die Kommission eigentlich angehen müsste: Dazu zählt eine Umsetzung des bereits beschlossenen 7. Umweltaktionsprogramms. Statt daran zu arbeiten, wolle Juncker zwei Umweltschutzrichtlinien, Flora-Fauna-Habitat und die Vogelschutzrichtlinie, zusammenlegen – hier fürchten viele Umweltverbände Verschlechterungen.
Pous fordert die Kommission zudem auf, zügig an einer neuen Richtlinie zur Vermeidung von Packungsmüll zu arbeiten. Die fiel nach langen Verhandlungen einer Streichliste der Kommission zum Opfer. Allerdings nicht endgültig: Ende 2015 soll es einen neuen, ambitionierteren Vorschlag geben, eingebettet in ein Programm zur Kreislaufwirtschaft.
Weiterführende Informationen
Better Regulation Watchdog
Better Regulation, Pläne der EU-Kommission
7. Umweltaktionsprogramm