Jahrelang ist an ihr gefeilt worden, ab 1. Januar 2022 ist es so weit: Ab dann tritt die EU-Taxonomieverordnung in Kraft, allerdings zunächst nur ein Teil davon. Sie steckt genaue Kriterien ab, was „ökologisch nachhaltiges Wirtschaften“ ist, und das für die meisten Branchen. Sie ist ein wichtiger Baustein des European Green Deal, mit dem die Staatengemeinschaft bis 2050 klimaneutral werden will. Aber was genau heißt das, auf dem langen Weg zu einer nachhaltigen Finanzwirtschaft und wie bettet sich die Taxonomie ein in andere anstehende Reformen?
Zunächst zur Taxonomie an sich. Sie richtet sich an Unternehmen und Finanzmarktakteure wie Banken und Versicherungen und legt sehr genaue Kriterien für verschiedene Branchen fest. Den „Brockhaus der nachhaltigen Wirtschaft“ nennt Jochen Krimphoff das über 1000 Seiten dicke Werk. Krimphoff ist stellvertretender Direktor für Sustainable Finance beim WWF Frankreich und arbeitet in der „Platform on Sustainable Finance“ mit. Das mit über 100 Expertinnen und Experten besetzte Gremium aus Realwirtschaft, Finanzsektor, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Behörden erarbeitet für die EU-Kommission Vorschläge für die Taxonomie. Mit der könne jeder wie in einer Enzyklopädie für seine Branche nachschlagen, was zu tun ist, um ökologisch zu wirtschaften, sagt Krimphoff.
Ein Kompass für die Taxonomie
Die Kommission hat die Regeln leicht verdaulich in einem Taxonomie-Kompass aufbereitet. Prinzipiell gilt: Eine wirtschaftliche Aktivität, etwa in eine neue Produktionsanlage zu investieren, muss einem von sechs Umweltzielen dienen und darf keinem widersprechen. Diese sind:
- Klimaschutz
- Anpassung an den Klimawandel
- Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
- Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
- Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme
Ein Beispiel: Wer grauen Zementklinker herstellt, der darf im Sinne des Klimaschutzes laut Taxonomie pro Tonne maximal 0,722 Tonnen CO2 oder äquivalente Gase ausstoßen. Der Wert wird anhand der oberen 10 Prozent der effizientesten Anlagen in der EU berechnet. Alle Kennziffern der Taxonomie werden künftig entsprechend dem Stand der Technik verschärft. Um gleichzeitig die Gefahren von Wasserverschmutzung zu minimieren, muss das Unternehmen für seine Produktion verpflichtend eine EU-Umweltverträglichkeitsprüfung erstellen.
Allerdings sind bisher nur die ersten beiden Umweltziele der Taxonomie für 15 Branchen abschließend definiert, bis Dezember wird noch an den Details gefeilt. Deshalb treten auch nur diese beiden Umweltziele, also Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, am 1. Januar 2022 in Kraft. Zwei heikle Punkte sind aber noch völlig offen: Die Frage, ob Atomkraft als CO2-arme, „grüne Technologie“ in die Taxonomie aufgenommen wird, ebenso wie die Aufnahme von Erdgas. Die Kommission hat bereits im Juli bekannt gegeben, dass sie diese Fragen notfalls in einem separaten Rechtsakt klären will. Daran soll das Inkrafttreten der Taxonomie also nicht scheitern. Die EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion, Mairead McGuinness, hat in der Financial Times bereits angekündigt, die Kommission werde erst 2022 einen Vorschlag zur Lösung der Streitfrage präsentieren, mit Rücksicht auf anstehende Regierungsbildungen in einigen Ländern.
Für die Umweltziele 3 bis 6 liegen wiederum bereits konkrete Vorschläge vor. Die Plattform on Sustainable Finance hat sie im August vorgelegt, nach einer Konsultationsphase sollen sie bis Ende des Jahres finalisiert werden. „Ich vermute aber, dass sich schon dieser Schritt bis ins nächste Jahr ziehen wird. Dann müssen sich noch Parlament und Rat mit dem Regelwerk befassen und zustimmen“, sagt Alexander Bassen, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, einer der führenden Experten für Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Auch Krimphoff geht davon aus, dass es noch länger dauern wird: „Man kann davon ausgehen, dass die Kommission in den nächsten sechs Monaten einen delegierten Rechtsakt für die Umweltziele drei bis sechs vorlegen wird.“
Wie die Taxonomie in den anderen Reformen eingebettet ist
Die Wirkung der Taxonomie ist erst im Kontext des gesamten Sustainable Finance Package der EU zu verstehen und dazu gehören auch umfassende Berichtspflichten für Unternehmen und den Finanzsektor. So können bereits seit März 2021 Finanzdienstleister nicht mehr einfach behaupten, ein Produkt sei nachhaltig – tun sie das, müssen sie erklären, welche Kriterien sie dabei anlegen.
Generell muss die Finanzwirtschaft im nächsten Jahr erstmals Daten darüber veröffentlichen, wie viele ihrer Vermögenswerte sie in Branchen hält, für die in der Taxonomie Umweltkriterien definiert sind – also alle, in denen im Sinne einer ökologischen Transformation der Wirtschaft nachhaltig investiert werden kann. Branchen, in denen das nicht geht, weil man sie durch andere Technologien ersetzen kann, sind ohnehin nicht Teil der Taxonomie. Klassisches Beispiel: Stahl ist drin, den kann man nicht ersetzen, aber ökologischer herstellen. Kohleverstromung ist raus, es gibt Alternativen.
Ähnlich sieht es in der Realwirtschaft aus: „Wenn der fertige Text für die Ziele eins und zwei wie vorgesehen am 8. Dezember rechtskräftig wird, dann müssen alle großen Firmen in Europa schon im Frühjahr nächsten Jahres sagen, wie sie sich an dieser neuen Messlatte ausrichten“, sagt Krimphoff. Betriebe müssen dann für 2021 angeben, wie viele ihrer Aktivitäten in den Bereichen stattfinden, die von dieser Taxonomie abgedeckt sind. Ein Jahr später müssen sie dann angeben, ob ihre Aktivitäten auch laut der Taxonomie ökologisch nachhaltig sind oder nicht – und zwar anhand des Umsatzes, ihrer Investitionen und ihrer operativen Ausgaben. „Das heißt, es geht wirklich in den Finanzbereich rein. Das macht dieses Regelwerk so interessant. Es schlägt eine Brücke zwischen der Umwelt und ganz konkreten Zahlen“, sagt Krimphoff.
Wie kann zu steigenden Anforderungen berichtet werden
Diese Berichtspflicht wird künftig stark ausgeweitet. Seit 2017 gilt zwar bereits für große Unternehmen EU-weit die Pflicht, einen Nachhaltigkeitsbericht vorzulegen – etwa nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK), den rund ein Drittel aller berichtspflichten Unternehmen in Deutschland zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderung nutzen. Doch nach der im April vorgelegten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU müssen ab 2024 auch kleinere kapitalmarktorientierte Unternehmen entsprechende Kennziffern vorlegen, deutlich detaillierter als noch in der bisherigen Richtlinie von 2017 und von unabhängigen Gutachtern geprüft, wie eben auch für finanzielle Bilanzen üblich. „Es wird einiges auf die Unternehmen zukommen. In Deutschland sind bisher von der verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung circa 600 Unternehmen betroffen, mit der CSRD werden es circa 15.000 sein. Viele haben bisher noch niemanden, der sich um das Thema kümmert. Deshalb wird es auch einen enormen Qualifikations- und Personalbedarf geben“, sagt Bassen.
Was sich damit für den Deutschen Nachhaltigkeitskodex ändert, darüber wird es rechtzeitig Informationen geben. Eines steht jedoch schon jetzt fest: Der DNK wird Unternehmen eine Möglichkeit bieten, ab Anfang 2022 zu den wesentlichen Inhalten der Taxonomie zu berichten. Und auch die neuen Anforderungen der CSRD werden vom DNK-Team reflektiert und, sobald konkretisiert, in passender Weise aufgenommen. „Aktuell wird ein externes Gutachten erstellt, dass die 20 Kriterien des DNK mit den Anforderungen der Taxonomie und den bisher bekannten Inhalten der CSRD abgleicht. Die ersten vorläufigen Ergebnisse sehen sehr positiv aus: Der DNK ist zur Erfüllung steigender Anforderungen geeignet, für alle Unternehmen und insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Der Mehrwert des DNK spiegelt sich in seiner anwenderfreundlichen Struktur und den vielfältigen Unterstützungsangeboten bei der Erstellung einer eigenen DNK-Erklärung wider. So bietet der DNK auch Mittelständlern und kleineren Unternehmen ohne eigene Nachhaltigkeitsabteilungen die Möglichkeit, soziale und ökologische Aspekte ins Kerngeschäft des Unternehmen zu integrieren“, sagen Isabelle Krahe und Florian Harrlandt, die den DNK in der Geschäftsstelle des RNE gemeinsam verantworten.
Was mit sozialen Standards ist
Bereits jetzt sind in der Taxonomie Mindeststandards für Arbeits- und Menschenrechte enthalten. Verstößt ein Unternehmen mit einer Investition dagegen, darf es diese nicht als nachhaltig im Sinne der Taxonomie bezeichnen – egal wie ökologisch das Vorhaben ist. Doch das soll erst der Anfang sein. Im Juli hat eine Arbeitsgruppe der Platform on Sustainable Finance einen Vorschlag vorgelegt, wie eine soziale Taxonomie formuliert werden kann. Parallel dazu sollen derartige Kennziffern auch in die ab 2024 geltende Berichtspflicht für Unternehmen integriert werden, der CSRD. Die Standards dafür entwickelt derzeit die EFRAG, die European Financial Reporting Advisory Group, ein Verein der Finanz- und Realwirtschaft, der die EU-Kommission bei der Entwicklung von Berichtsstandards unterstützt.
„Viele der Kriterien der sozialen Taxonomie werden in der CSRD aufgegriffen, die EFRAG entwickelt dafür gerade die konkreten Kennzahlen, die Unternehmen voraussichtlich für das Berichtsjahr 2023 in der Berichterstattung vorlegen müssen“, sagt Bassen, der Mitglied der EFRAG Project Task Force ist. Die Frage werde dann sein, ob es noch eine soziale Taxonomie brauche, oder ob das Thema damit nicht bereits ausreichend adressiert sei. Die Herausforderung ist jedenfalls gewaltig: Um die 17 Globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die SDGs, in Entwicklungsländern umzusetzen, sind 2,5 bis 3 Billionen Dollar an Investitionen nötig. Jährlich, bis 2030.