Tonnenweise Lebensmittel landen Tag für Tag im Müll. Die EU-Kommission will die Mitgliedsstaaten nun dazu bringen, weniger Nahrung zu verschwenden. Funktionieren kann das nur mit Hilfe der Verbraucher.
Die Verschwendung hat ein gigantisches Ausmaß. Weltweit wird ein Drittel aller produzierten Lebensmittel weggeworfen oder gelangt erst gar nicht zu den Verbrauchern, vermutet die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO. In Deutschland landen in jeder Sekunde durchschnittlich 350 Kilogramm Nahrungsmittel im Abfall, ergab eine Schätzung für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Ganz abgesehen von den ethischen Bedenken angesichts des Hungers in der Welt bringen die vergeblich produzierten Nahrungsmittel auch unnötige Probleme für Boden, Wasser und Klima mit sich.
Die Europäische Kommission will die EU-Staaten nun dazu verpflichten, die Menge an Lebensmittelabfällen bis 2025 um mindestens 30 Prozent zu verringern. Verbindlich werden soll die Marke mit der Novelle der Abfallrahmenrichtlinie. Im Vorschlag der Kommission von Anfang Juli heißt es, die Mitgliedsstaaten müssten dann in Aktionsplänen darlegen, wie sie das Ziel erreichen wollen. Stimmen die Regierungen und das Europäische Parlament zu, wäre es die erste rechtliche Verpflichtung dieser Art.
Zunächst stehen die Staaten allerdings vor der Herausforderung, die Menge an weggeworfenen Lebensmitteln überhaupt zu messen. Nur ein geringer Teil landet in Biotonnen, die zudem auch Gartenabfälle enthalten. Der Großteil übriggebliebener Nahrung wird über den Restmüll entsorgt, den Abfluss hinuntergespült, auf den Kompost geworfen – oder er landet in den Mägen von Haustieren. Für Imbissbuden, Restaurants und Kantinen gibt es keine Pflicht zur Datenmeldung und selbst die Hersteller von Backwaren, Tiefkühlgerichten, Dosengemüse und all den anderen Nahrungsmitteln haben keine einheitliche Definition von Abfällen. Als Gutachter der Universität Stuttgart für das Bundeslandwirtschaftsministerium vor zwei Jahren bei Einzelhandelsketten anfragten, seien sie auf eine „mangelnde Auskunftsbereitschaft“ gestoßen, notierten die Experten.
Entsprechend stark schwanken die Annahmen zu Lebensmittelabfällen. Auf acht bis 15 Millionen Tonnen pro Jahr schätzen die Wissenschaftler vom Stuttgarter Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft die jährliche Menge in Deutschland; im Mittel gehen sie von elf Millionen Tonnen aus. Mit der Novelle der Abfallrichtlinie sollen die EU-Staaten geeignete Messmethoden entwickeln.
Exakt messbare Ziele für die Müllvermeidung aufstellen zu wollen, hält der niederrheinische Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz (EVP-CDU) allerdings für naiv. „Es muss eine große Kampagne für eine Bewusstseinsveränderung gestartet werden.“
Fragt sich bloß, wer sein Bewusstsein verändern sollte. Der Stuttgarter Studie zufolge sind Lebensmittelhändler lediglich für fünf Prozent der Lebensmittelabfälle verantwortlich. Je 17 Prozent sind es in der Lebensmittelindustrie und bei Großverbrauchern, worunter beispielsweise Kantinen, Krankenhäuser, Altenheime und die komplette Gastronomie fallen.
Der mit über 60 Prozent weitaus größte Anteil kommt dagegen aus den Kühlschränken und Töpfen der Haushalte. Etwa 80 Kilogramm Lebensmittel wirft jeder Bundesbürger pro Jahr weg. Erste Informationskampagnen zur Müllvermeidung konzentrieren sich deshalb in Deutschland auf die Verbraucher.
Auf der Seite zugutfuerdietonne.de des Bundeslandwirtschaftministeriums kann man in eine Suchmaske ein übrig gebliebenes Lebensmittel eingeben und erhält automatisch passende Rezeptvorschläge. Die Datenbank gibt es auch als App. Auf der Seite finden sich außerdem Tipps für den Einkauf, die Vorratshaltung und Infos zur Aussagekraft von Mindesthaltbarkeitsdaten.
Gerade die Bedeutung des Mindesthaltbarkeitsdatums müsse den Verbrauchern besser erklärt werden, sagt Florenz. Die Angabe bezeichnet lediglich das Datum, bis zu dem der Hersteller garantiert, dass Farbe, Geschmack und Konsistenz des Produkts unverändert bleiben. Bei der Frage, ob Lebensmittel noch genießbar sind, solle man sich dagegen auf seine Sinne verlassen, rät das Bundeslandwirtschaftsministerium.
Dass aus der Küche vieles im Müll landet, hat für Florenz, von Beruf selbst Landwirt, allerdings auch mit den niedrigen Preisen für Nahrungsmittel in Deutschland zu tun. „Das Gespür für die Wertigkeit von Lebensmitteln ist verloren gegangen. Wir sollten uns darauf einstellen, dass Lebensmittel wieder teurer werden“, sagt Florenz.
Mehr Aufklärungsarbeit befürwortet auch Lucia Reisch, Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung und Professorin an der Copenhagen Business School. Die Verantwortung solle aber nicht nur bei den Verbrauchern abgeladen werden. Andere Studien als die für das Bundeslandwirtschaftsministerium sähen den Anteil des Haushaltsmülls an den weggeworfenen Lebensmitteln lediglich bei 30 Prozent.
„Was wir neben Aufklärung brauchen, ist eine Vielzahl von unmittelbar und schnell wirkenden Politikinstrumenten – von verhaltensbasierten Anreizen bis zu Vorgaben für Restaurants und Kantinen“, sagt Reisch und verweist zusätzlich auf die Bedeutung lokaler Initiativen wie den sogenannten Tafeln. Diese Vereine sammeln bei Einzelhändlern Waren, die kurz vor dem Verfall stehen, und geben sie kostenlos oder zu geringen Preisen an Bedürftige ab.
Weiterführende Informationen
Mitteilung der EU-Kommission zum Vorschlag für eine Änderung des Abfallrechts
Der Vorschlag im Wortlaut [PDF, 150 kB]
Studie der Universität Stuttgart für das Bundeslandwirtschaftsministerium [PDF, 5,3 MB]
Aktion Zu gut für die Tonne
Infoseite der Verbraucherzentrale NRW
Bundesverband Deutsche Tafeln
Themenseite der FAO