Nach der Veröffentlichung des neuesten Berichts des IPCC, des Intergovernmental Panel on Climate Change, haben führende Nachhaltigkeitsexpertinnen und -experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sich für deutlich mehr Anstrengungen zum Schutz des Weltklimas ausgesprochen. „Wir müssen Allianzen schließen“, sagte der Vorsitzende des European Environment and Sustainable Development Advisory Council, kurz EEAC, Arnau Queralt-Bassa, bei der 26. Konferenz des Netzwerkes in Berlin.
„Menschen aus der ganzen Welt müssen sich zusammentun, denn die Herausforderungen der Zukunft sind sehr komplex.“ Rund 160 Teilnehmende aus ganz Europa diskutierten bei der Veranstaltung mit dem Titel „Towards a Sustainable Europe by 2030: Key leverages for transformation“ miteinander. Themen waren gemeinsame Möglichkeiten für eine nachhaltigere EU, die sich an der Nachhaltigkeitsagenda 2030 sowie dem Klimaschutzabkommen von Paris orientieren.
„Die EU hat es verpasst, die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele in ihre eigene Strategie zu integrieren“, sagte Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Sie plädierte dafür, auf die Barrieren und Hürden zu schauen, die den Weg für eine ökologischere und sozialere Lebensweise in den einzelnen Staaten, in der EU und international blockieren. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung ist Mitglied im EEAC und war, zusammen mit den beiden weiteren deutschen Mitgliedern, dem Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) und dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) Ausrichter der diesjährigen Konferenz. Thieme sprach von politischen Fehlern, durch die beispielsweise die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in den Staaten nicht vorangetrieben wurde.
Relevanz des Problems offenbar bisher nicht erkannt
Der Ökologe Manfred Niekisch, stellvertretender Vorsitzender des SRU, betonte die kognitiven und institutionellen Hürden bei der Umsetzung der Agenda 2030: „Die Herausforderungen sind enorm und wir kommen nur schleppend voran“, sagte Niekisch. „Kurzfristigkeit in Denken und Politik verhindern, dass wir uns struktureller Probleme wie des Klimawandels annehmen.“ Er sprach sich für neue Konzepte aus, die wissenschaftliche Erkenntnisse und den gesellschaftlichen Diskurs stärker verzahnen. Dieser Ansatz sollte in allen Staaten umgesetzt werden. Niekisch warf den Ländern nationalen Egoismus vor, der sich etwa bei den Fischereiabkommen der EU oder auch in der EU- Landwirtschaft zeigt. „Es gibt keine gemeinsame Strategie.“
Ähnlich äußerte sich Sabine Schlacke, Vorsitzende des WBGU: „Der IPCC-Bericht hat uns gezeigt, was wir zu tun haben. Die Lage ist akut, die Erderwärmung darf 1,5 Grad nicht überschreiten.“
In ihrem Report hatten die Expertinnen und Experten eine umgehende Dekarbonisierung der Weltwirtschaft gefordert. Scheitert das Vorhaben, stehen die Lebensgrundlagen künftiger Generationen auf dem Spiel, heißt es in dem Bericht. „Die EU muss sich neue Verbündete suchen, um wieder eine Führungsrolle in Sachen Klimaschutz einzunehmen.“
In einem Grußwort per Videobotschaft betonte auch Kanzleramtsminister Helge Braun die Notwendigkeit nachhaltigen Handelns. „Wir haben keinen zweiten Planeten“, sagte Braun. Man müsse die Stimme der Wissenschaft stärken und sie für eine nachhaltige Entwicklung zunutze machen. Das sah der Abgeordnete der französischen Assemblée nationale, Jean-Baptiste Djabbari von der Partei „La Republique en marche“, ebenfalls so. „Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen zu politischen Handlungen führen.“ Zum Beispiel zu der Entscheidung, einen nachhaltigen Energiemix zur Stromversorgung der Bevölkerung voranzutreiben. Atom- und Kohlekraft bräuchten Alternativen, sagte Djabbari.
Grüne Technologien fördern
Für Imme Scholz vom Deutschen Entwicklungsinstitut (DIE) und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung muss auch deshalb ein ökonomischer Ansatz stärker im Vordergrund stehen. „Die UN-Nachhaltigkeitsziele könnten ein Weg sein, um grüne Technologien zu fördern“, sagte Scholz. Sie ermunterte die Staatenlenker, Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik zu experimentieren und nicht nur bereits völlig durchdachte Konzepte anzugehen.
In diesem Zusammenhang mahnte Patrick ten Brink vom Europäischen Umweltbüro (EEB) an, nicht ausschließlich an Wirtschaftswachstum zu denken. „Der Fokus muss auf dem Wohlergehen der Menschen liegen, nicht auf dem Wachstum – wir brauchen hier eine Veränderung.“ Er forderte einen EU-Kommissar für die Zukunft der Generationen, der ökologische, soziale und ökonomische Aspekte zum Schutz des Planeten und der künftigen Bevölkerung im Blick behält. Große Hoffnung läge bei der neuen EU-Kommission, die im Sommer 2019 gewählt wird, die UN-Nachhaltigkeitsziele zu einem Bestandteil der Zukunft der EU und der Mitgliedsstaaten zu machen.
Damit dies gelinge, müsse auch innerhalb der einzelnen Staaten an einem Strang gezogen werden, betonte Lukas Köhler, FDP-Bundestagsabgeordneter und klimapolitischer Sprecher der Fraktion. „Alle Ministerien in Deutschland sind wichtig für die Umsetzung der SDGs, nicht nur das Umweltministerium. Wir müssen das Denken in Silos überwinden.”
Dass Ökonomie und Ökologie zusammengehören – daran hat der französische Abgeordnete Djabbari keinen Zweifel. Er kritisierte mit Blick darauf den Ausstieg der USA aus dem Weltklimaabkommen. „Gemeinsam können wir eine Menge erreichen.“ Ihm geht es aber nicht nur um wirtschaftliche Kriterien und Umweltaspekte, sondern vor allem auch um mehr soziale Gerechtigkeit. Die Transformation zu einer nachhaltigeren EU müsse auch diesen Faktor mitdenken. Dies gelte etwa für den Erhalt oder die Neuschaffung von Arbeitsplätzen, für den Kampf gegen Armut und die Spaltung zwischen Arm und Reich.
Hebel für mehr Nachhaltigkeit in Europa
Besondere Aufmerksamkeit im Konferenzprogramm fanden drei mögliche Hebel mit denen eine Transformation hin zu einem nachhaltigen Europa gelingen könnte: Die Verankerung von langfristigem und nachhaltigem Denken in der Struktur politischer Institutionen, Digitalisierung als Nachhaltigkeitshebel und nachhaltige Finanzwirtschaft.
Erkenntnis des ersten Panels war, dass für eine transformative Politik alle Ressorts Umwelt- und Nachhaltigkeitsbelange in ihrer Arbeit berücksichtigen sollten. Eine institutionelle Aufwertung könne langfristiges und integratives Denken im Sinne der Agenda 2030 erhalten, ganz konkret etwa durch die Einführung von Zukunftsräten und Ombudspersonen für künftige Generationen. Die Expertinnen und Experten des Panels zu Digitalisierung betonten, dass Digitalisierung und digitale Infrastrukturen selbst nachhaltig gestaltet werden sollten. Digitalisierung müsse als machtvolles Instrument eng an wichtige gesellschaftliche Ziele wie nachhaltige Entwicklung gebunden werden. Die Rednerinnen und Redner im Panel zu nachhaltiger Finanzwirtschaft machten deutlich, dass nachhaltige Finanzwirtschaft und deren Wirkung auf nachhaltiges Wirtschaften inzwischen von vielen diskutiert wird. Um die Wirkkraft des Themas zu erhöhen, müsse der Fokus nun auf Austausch und Zusammenarbeit zwischen den Aktiven unter Einbindung von neuen Interessierten gelegt werden.
Politisches Engagement sollte zum Handeln bewegen
In der Abschlussveranstaltung der Konferenz lieferten Cristina Gallach, Hauptbeauftragte der spanischen Regierung für die Agenda 2030, und Miranda Schreurs, stellvertretende Vorsitzende des EEAC Netzwerkes und Professorin an der TU München, Analysen, Feedback und Beispiele für Maßnahmen zur nachhaltigen Entwicklung.
In ihrer Eröffnungsrede gab Cristina Gallach Einblicke in den ganzheitlichen Ansatz Spaniens, der Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt berücksichtigt, um die konkrete Umsetzung der Agenda 2030 in Spanien und Europa voranzutreiben. Frau Gallach betonte wiederholt die Wichtigkeit des lokalen wie auch des gesamteuropäischen Engagements bei der Umsetzung der 17 SDGs. Sie bezeichnete es als „entscheidend“, dass die nächste Europäische Kommission – ab 2019 – eine „Kommission der Nachhaltigkeit“ sein müsse.
Miranda Schreurs betonte die Notwendigkeit des Handelns und dass der Beitrag junger Menschen zum Wechsel eine noch bedeutendere Rolle spielen müsse. In einer Antwort aus dem Publikum wurde hervorgehoben, dass die gegenwärtigen Herausforderungen so massiv seien, dass der Strukturwandel nicht nur im Interesse der künftigen Generationen notwendig sei, sondern genauso für die heutigen Akteure. In der weiteren Debatte wurde die Notwendigkeit eines institutionellen Rahmens zur Verbesserung der Nachhaltigkeit diskutiert. Miranda Schreurs plädierte für einen ganzheitlichen Ansatz beim Entwurf zukünftiger Institutionen. Sie sagte: „Wir sollten uns der historischen Entwicklung bewusst sein, aber wenn wir Visionen für die Zukunft entwerfen, müssen wir mutig sein und die Grenzen hinter uns lassen.“
Moderatorin Sandrine Dixson-Declève bemerkte abschließend, dass interdisziplinäre Lösungen gebraucht würden. Die Räte für Umwelt und nachhaltige Entwicklung müssen eine entscheidende Rolle spielen. Diese Institutionen müssen Fachwissen und gesellschaftliche Positionen in politische Ratschläge umwandeln, die handlungsorientierte, interdisziplinäre Lösungen beinhalten und in Krisenzeiten anwendbar sind.