EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker baut sein Kollegium nach Kritik um. Der erste Vizepräsident, Frans Timmermans, soll auch für die nachhaltige Entwicklung verantwortlich sein. Bestätigt ist das nicht. Der Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, Green 10, traut der Ankündigung noch nicht.
Die Botschaft war zeitlich gut gesetzt. Die Green 10, die zehn großen Umweltverbände, die auf Ebene der Europäischen Union agieren, haben erneut einen Brief an den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker geschrieben – sieben Tage vor der entscheidenden Abstimmung des EU-Parlaments in dieser Woche. Betreff: „Die kommende Europäische Kommission muss die Interessen der EU-Bürger beherzigen“, also sich um eine nachhaltige Wirtschaft, Klima- und Umweltschutz kümmern. Juncker stand in diesen Tagen unter Druck, weil mehrere Mitglieder seines Team in der Kritik standen.
Es ist schon der zweite Brief der Green 10, in dem sich Verbände wie etwa BirdLife Europe, Friends of the Earth und der WWF gehören, zu den Aufgaben der kommenden Kommission äußerten. Europaweit haben sie mehr als 20 Millionen Mitglieder und Unterstützer. Mitte September hatten sie Juncker bereits vorgeworfen, Umwelt- und Klimaschutz in der Struktur der künftigen EU-Kommission und den Arbeitsaufträgen der einzelnen Kandidaten zu vernachlässigen.
Hendricks schickt Juncker auch einen Brief
Politiker wie der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) zeigten sich ebenfalls alarmiert. Auch SPD-Bundesumweltministerin Barbara Hendricks schickte einen Brief an Juncker. Sie wies darin auf die Bedeutung der „Green Economy“ hin und das 7. Umweltaktionsprogramm (UAP), das dieses Jahr in Kraft getreten ist. Es ist für alle EU-Institutionen verbindlich. Das UAP ist der Plan der EU für den Umweltschutz bis zum Jahr 2020 und somit die Arbeit des künftigen Umweltkommissars.
Die Green 10 trauen Juncker immer noch nicht: „In den letzten Wochen hat es Berichte gegeben über offizielle und inoffizielle Versprechen“. Demnach will Juncker dem Ersten Vizepräsidenten der neuen EU-Kommission, dem sozialdemokratischen Niederländer Frans Timmermans, die Nachhaltigkeit zuschlagen. Er hätte dann die Aufsicht über die Klima- und die Energiepolitik. Auch zu den nächsten Klimagipfeln würde er reisen.
Als dies erstmals durchsickerte, sahen die Sozialdemokraten bereits einen Sieg über den umstrittenen EU-Kommissar für das Ressort Energie und Klima, den Spanier Miguel Arias Canete. Ihm werden enge Verbindungen zur Älindustrie vorgeworfen. 590.000 Menschen haben gegen ihn bereits in einer Online-Petition protestiert. Paul Tang, der sozialdemokratische niederländische Delegationsleiter, twitterte zum Beispiel: „Nachhaltige Entwicklung für den ersten Vizepräsidenten! Timmermans als Aufpasser für Canete. Gibt dem Portfolio die Bedeutung, die es verdient.“
Zusagen „nicht schriftlich fixiert“
Doch die Green 10 monieren im Brief an Juncker: „Trotz allem gibt es aber keine konkreten Änderungen“. Auch andere Vorschläge, um der Nachhaltigkeit in Brüssel mehr Gewicht zu geben, seien nicht vorangebracht worden. Das sei „sehr bedauerlich“.
Claus Mayr, Direktor für Europapolitik des NABU, der deutschen Partnerorganisation von BirdLife Europe, beobachtet seit Jahren die Umweltpolitik in Brüssel. Mayr sagt: „Die EU-Parlamentarier haben einige Änderungen im Portfolio einzelner Kommissare gefordert.“ Spätestens bis zur ihrer Bestätigung der künftigen Kommission solle etwa im Arbeitsauftrag von Karmenu Vella, dem umstrittenen maltesischen Kandidaten für das Umwelt- und Fischereiressort, das 7. UAP verankert werden. Und in dem des designierten Vizepräsidenten Jyrki Katainen aus Finnland solle das Nachhaltigkeitsprinzip nachgetragen werden.
„Nur“, sagt Mayr, „für Vella wurde bislang kein um das 7. UAP ergänztes Mandat bekannt. Und ob und wie Nachhaltigkeit bei Timmermans angesiedelt wird, ist auch nicht schriftlich fixiert.“ Zudem seien die Aufgabenteilung zwischen Timmermans, Canete, aber auch Vioelta Bulc und Maros Sefcovic unklar.
Violeta Bulc aus Slowenien soll das Verkehrsressort übernehmen. Juncker hatte für den Bereich anfangs den Slowaken Maros Sefcovic vorgesehen, am Ende ihn dann aber zum Vizepräsident für die Vollendung des Energie-Binnenmarktes gemacht. Bulc und Sefcovic mussten sich beide am vergangenen Montag noch einer Anhörung in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments stellen. Sefcovic bekannte sich dabei zu den staatlichen Subventionen für den geplanten neuen Atomreaktor Hinkley Point in Großbritannien.
Droht verrat am EU-Bürger?
Die Green 10 appellierten in ihrem offenen Brief an Juncker, der auch an Schulz und die Vorsitzenden der beiden großen Fraktionen im Europäischen Parlament (EP) ging, Manfred Weber (CSU) und Giovanni Pittella (S&D), die fraglichen Punkte nachzubessern, und zwar vor der Abstimmung des EP-Plenums. Sonst käme das einem „Verrat an den Interessen der europäischen Bürger gleich“. Zumal Juncker im Wahlkampf noch versprochen habe, in „kohlenstoffarme Technologien und Innovationen zu investieren“.
Doch dem kam Juncker nicht nach. Der NABU, aber auch der Deutsche Naturschutzring, fordern denn auch vom EU-Parlament, Junckers Team abzulehnen. Am Ende stimmten 423 Parlamentarier für die neue Kommission, 209 dagegen, 67 enthielten sich. Die Kommission soll am 1. November ihre Arbeit aufnehmen.
Weiterführende Informationen
7. Umweltaktionsprogramm der EU
Online-Petition gegen Miguel Arias Canete
Twitter-Account von Paul Tang