Die EU überarbeitet ihre Richtlinien zum ökologischen Landbau komplett. Während aus dem Haus von Agrarkommissar Dacian Ciolos ein erster Entwurf kursiert, hat das bundeseigene Thünen-Institut seinen offiziellen Evaluierungsbericht zur bisherigen Richtlinie vorgelegt. Beides deutet auf große Veränderungen hin, was beim deutschen Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÄLW) auf Kritik stößt.
Jürn Sanders, Projektkoordinator der Evaluierungsstudie, hat zunächst Lob für die EU übrig: „Es ist eine sehr große Herausforderung, einen Rechtsrahmen für Ökolandbau zu schaffen. Er sollte einerseits lokale Bedingungen berücksichtigen und andererseits in allen EU-Staaten funktionieren“, sagt Sanders.
Er hat zusammen mit Kollegen aus Frankreich, Großbritannien, und der Schweiz ausgewertet, wie gut die EU-Richtlinie funktioniert, nach der im Jahr 2011 auf 240.000 Höfen in der Staatengemeinschaft Biolandwirtschaft betrieben wird. Auf 9,5 Millionen Hektar wird Vieh gehalten, wächst Getreide, Gemüse oder Obst, das nach EU-Bio-Standard zertifiziert ist. Das macht 5,4 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus und bringt einen Umsatz von 19,7 Milliarden Euro mit Bio-Lebensmitteln, inklusive der importierten.
Aber, sagt Sanders: Es gibt Verbesserungsbedarf. Vor allem, weil die EU-Staaten die Richtlinie unterschiedlich in nationale Gesetze gefasst haben – und dabei die Ziele und Prinzipen des ökologischen Landbaus, etwa eine Schonung von Boden, Luft, Pflanzen und Tieren, unterschiedlich gut umgesetzt haben. Als Beispiel nennt Sanders, dass es in der Ökoverordnung keine spezifischen Regeln zur Wassernutzung gibt.
„Das kann das Vertrauen in Bio-Lebensmittel unterminieren. Den Kunden ist kaum zu vermitteln, dass Bio-Tomaten in Südeuropa angebaut werden, ohne dass mit den knappen Wasservorräten schonend umgegangen werden muss“, sagt er. In dem bisherigen Entwurf der EU-Kommission ist eine solche Regelung aber nicht vorgesehen. Angedacht ist lediglich ein besserer Gewässerschutz mittels eines Grenzwertes für Stickstoff, der über Dünger maximal pro Hektar Land im Biolandbau verwendet werden darf. Zu viel Stickstoff ist eine der Hauptursachen für Überdüngung und kann deshalb zu erheblichen ökologischen Schäden führen.
Was ist eine „Region?“
Als weiteres Beispiel nennt Sanders die Frage, von wo Ökolandwirte ihre Futtermittel beziehen. Formal müssen sie einen Teil selbst produzieren, dürfen aber Bestandteile aus der Region zukaufen – alles gentechnikfrei, bio, und damit ohne Verwendung von Mineraldünger. Allerdings definieren die Mitgliedsstaaten „Region“ komplett unterschiedlich. In Deutschland bilden teilweise auch benachbarte Bundesländer und Teile von Nachbarstaaten eine Region, in Frankreich entspricht eine Region einem Departement, in den Niederlanden ist der Begriff rechtlich nicht eindeutig definiert.
Reformbedarf sieht Sanders auch bei den bestehenden Ausnahmeregeln. Schweine und Geflügelzüchter dürfen ihren Tieren beispielsweise bis zu fünf Prozent konventionelles Futter beimischen. Und falls es kein Saatgut in ökologischer Qualität gibt, dürfen Biolandwirte auch konventionelles verwenden. „Auf vielen Betrieben ist die Ausnahme heute allerdings zur Regel geworden. Offensichtlich reichen die aktuellen Bestimmungen nicht aus, um ein ausreichendes Bio-Angebot zu ermöglichen“, sagt Sanders. Prinzipiell will die EU in ihrem neuen Entwurf weniger solcher Ausnahmen zulassen. Offiziell wird er im März 2014 vorgestellt.
Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft und selbst Biolandwirt, sieht durchaus die Notwendigkeit, die Regeln für den Ökolandbau ständig zu überarbeiten. „Bio ist kein fertiger Zustand – sondern der Weg zu einer wirklich nachhaltigen Landwirtschaft“, sagt Löwenstein. Die Geschwindigkeit der Überarbeitung der Richtlinien müsse aber mit der Entwicklung des Landbaus Schritt halten.
Einige Reformen sieht Löwenstein positiv: So will die EU Mischbetriebe verbieten. Ein Landwirt muss dann entweder biologisch oder konventionell wirtschaften. Mischbetriebe seien schwerer zu kontrollieren und könnten unfaire Wettbewerbsvorteile erlangen, sagt Löwenstein. Etwa, wenn ein Landwirtschaftsbetrieb konventionell Schweine hält, deren Gülle aber zum Düngen seiner Biofelder verwendet. Auch eine Regelung, die dazu verpflichtet, den Großteil des Futters aus der Region zu beziehen, hält Löwenstein für sinnvoll.
Ohne Bio-Brokkolisaatgut keinen Bio-Brokkoli
Allerdings gehe die Reform in einigen Punkten zu weit. „Wenn das nun umgesetzt wird, bedeutet es keine Überarbeitung, sondern eine völlige Neufassung der Ökoverordnung. Das schafft Rechtsunsicherheit für die Branche“, kritisiert er. Noch sei die letzte Totalrevision von 2009 nicht komplett umgesetzt.
Löwenstein glaubt auch, dass es kontraproduktiv wäre, Ausnahmen generell zu streichen. „Biolandwirtschaft braucht Flexibilität, um mit der Wirklichkeit umgehen zu können“, sagt er und erläutert das Problem anhand des Saatgutes: Momentan darf ein Biohof konventionelles Saatgut nur dann verwenden, wenn in einer speziellen Datenbank kein Biosaatgut verzeichnet ist. „Wenn man das abschafft und nur noch aus Biosaatgut gezogene Produkte als Bio anerkennt, heißt das: Wenn es kein Bio-Brokkolisaatgut gibt, gibt es keinen Bio-Brokkoli. Nur noch konventionellen. Wozu soll das gut sein?“
Das System funktioniere gut, sagt Löwenstein, denn der wirtschaftliche Anreiz sei groß, vom Züchter Saatgut zu kaufen und es im Biobetrieb für andere Bauern oder Gärtner zu vermehren – das bedeutet dann „Biosaatgut“. Wer das zuerst mit einer Kultur versuche, habe gute Chancen erst einmal eine Monopolstellung zu erlangen.
Generell sieht er Ökolandbau nicht als eine reine Ergänzung zu herkömmlichen Anbaumethoden: „Am Ende müssen wir dazu kommen, dass die Biolandwirtschaft die konventionelle ablöst. Diesem Ziel muss auch die EU-Ökoverordnung dienen“, sagt Löwenstein.
Weiterführende Informationen
Neue EU-Ökoverordnung, inoffiziell geleakter Arbeitsentwurf [pdf, 3,2 MB]
Evaluation der EU-Ökoverordnung, Pressemitteilung des Thünen-Instituts
Vollständige Evaluation des Thünen-Instituts [pdf, 9 MB]
Webseite zur Ökoverordnung, EU-Kommission