Am 10. Juni stimmt das Europaparlament über seine Position zum Freihandelsabkommen TTIP ab. Im Vorfeld hat der federführende Handelsausschuss nun eine kritische Position zur umstrittenen Einrichtung privater Schiedsgerichte eingenommen. Der Entwurf dient als Vorlage für das Parlament. Kritiker und selbst der Vorsitzende des Ausschusses wollen noch weiter gehen, die Industrie warnt.
Es ist einer der besonders stark umstrittenen Punkte des ohnehin umstrittenen, geplanten Freihandelsabkommens TTIP zwischen den USA und der EU: In bisherigen Entwürfen ist die Einrichtung privater Schiedsgerichte vorgesehen, vor denen Unternehmen Staaten verklagen können, wenn sie die Sicherheit ihrer Investitionen gefährdet sehen. Solche Gerichte würden es nach Ansicht vieler Kritiker Unternehmen ermöglichen, nationale Gesetzgebungen etwa zum Umweltschutz zu umgehen.
Nun deutet sich eine Wende in der Debatte an: Bereits Anfang Mai hatte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström ein Papier vorgelegt, das derartige Gerichte zwar immer noch vorsieht, allerdings einige Standards definiert. So sollten beispielsweise die ernannten Richter auch eine juristische Qualifikation als solche haben – bisher konnten Konfliktparteien auch Anwälte, die in anderen Fällen für sie arbeiten, zu Richtern ernennen.
Langfristig solle ein permanentes, internationales Investitionsgericht aufgebaut werden, das auch die Möglichkeit einer Revision von Urteilen vorsieht. Zuvor hatte bereits Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ähnliche Ideen zu einem Investitionsgerichtshof vorgestellt.
Hinter die Malmström-Position hat sich nun weitestgehend der Handelsausschuss des EU-Parlaments gestellt. Das Plenum des Parlaments muss am Ende der Verhandlungen TTIP zustimmen. Wann das sein wird, ist noch unklar, Malmström würde das Abkommen gern noch 2016 unter Dach und Fach bringen.
Am 10. Juni 2015 wird das EU-Parlament jedenfalls auf die Vorlage des Handelsausschusses hin seine Vorstellungen zu dem Freihandelsabkommen beschließen. Diese Position ist zwar nicht bindend, die Verhandler der EU-Kommission können aber kaum dahinter zurückfallen, weil sie sonst riskieren, dass das fertig verhandelte Abkommen am Parlament scheitert.
„Private Schiedsgerichte auf die Müllhalde“
Wegen der zunehmend kritischen Haltung des Parlaments könnten also rein private Schiedsgerichte vom Tisch sein. Dabei werden hinter verschlossenen Türen bereits heute Staaten wie Deutschland von Unternehmen verklagt, Vattenfall etwa fordert auf diese Weise von Deutschland Schadenersatz wegen des Atomausstiegs. Allerdings werden öffentliche Investitionsschutzgerichte in der Vorlage des Handelsausschusses auch nicht explizit ausgeschlossen, sondern ihre grundsätzliche Notwendigkeit extra betont, wie am angenommenen Änderungsantrag 50A zu sehen.
Einen Ausschluss allerdings hätte sich der zuständige Berichterstatter, der SPD-Abgeordnete Bernd Lange, eigentlich gewünscht. Er hat dem von ihm ausgehandelten Beschluss trotzdem zugestimmt. „Ich bin nach wie vor der Meinung, private Schiedsgerichte gehören auf den Müllhaufen“, sagt er im Gespräch.
„Öffentliche Gerichte sind von mir aus denkbar – ergänzend zu nationalen Gerichten. Aber auch die brauchen wir zwischen den USA und der EU eigentlich nicht“, ergänzt er. Allerdings seien diese Art von transparenteren Gerichten eben der Kompromiss gewesen.
Eine Niederlage für die TTIP-Gegner. „Das ist eine ganz klare Aussage dafür, dass Konzerne einen extra Klageweg erhalten sollen“, sagt etwa Alessa Hartmann, bei der TTIP-kritischen Organisation Powershift für Handels- und Investitionspolitik zuständig. Ihre Organisation lehnt, wie die Grünen im Europaparlament, die Reformvorschläge von Malmström und Gabriel ab.
Unter anderem fürchten sie, dass sich ein ständiges Gericht als „Hüter der Investorenrechte“ verstehen und deren Privilegien entsprechend weit auslegen könnte, ohne dass auch Investitionspflichten, wie etwa der Schutz von Umwelt und Menschenrechten, einklagbar wären.
Arbeitsschutz statt Investorenschutz?
Lange macht darauf aufmerksam, dass es neben der Frage von Schiedsgerichten weitere wichtige Punkte in TTIP gibt: Kommunen fürchten etwa, dass Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung oder die Bildung durch TTIP in einen Privatisierungszwang geraten könnten. Hier hält sich Lange zugute, dass im Beschluss des Handelsausschusses steht, derartige Güter explizit vom Freihandel auszunehmen. „Wir haben auch eine Stärkung des Themas Nachhaltigkeit gefordert. So sollen Arbeitsrechte künftig einklagbar sein“, sagt Lange.
Tatsächlich enthält ein Paragraph (hier CAM 38-40) die Forderung, dass das TTIP-Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung umsetzbar sein muss und dass die Einhaltung von Arbeitsrechten unter Einbeziehung von Sozialpartner und Zivilgesellschaft überwacht werden sollen. Die Arbeitsrechte sollen sogar dem „generellen Streitschlichtungsverfahren des gesamten Abkommens“ unterworfen werde.
Für die Industrie keine gute Vorstellung, dass nicht nur Investitions-, sondern auch Arbeitsrechte transatlantisch einklagbar sein könnten. Businesseuropa, die europäische Dachorganisation von Verbänden wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie reagierte auf den Vorschlag des Handelsausschusses gemischt: Man sei froh, dass die Rechte von Investoren beachtet würden. Aber: „Europäische Firmen warnen davor, die Handelsagenda der EU mit Nachhaltigkeit zu überfrachten“, teilte der Verband mit.
Dass Investitionsrechte und Nachhaltigkeit kein Gegensatz sind, ist für Alexander Bassen, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung klar: „Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass Nachhaltigkeit und Investments isoliert betrachtet werden können. Es ist längst erwiesen, dass Investments, die Nachhaltigkeitsaspekte im Anlageprozess integrieren, eine signifikant höhere oder zumindest eine gleich hohe Rendite erwirtschaften. Es gibt also kaum rationale Gründe, Nachhaltigkeit bei den Anlageentscheidungen unberücksichtigt zu lassen“, sagt Bassen. „Verantwortliche Investoren betrachten CO2-intensive Investments als ‘gestrandet’. Dem entsprechend haben Information hierzu längst Eingang bei den großen Datendienstleistern gefunden.“
Es darf also weiter diskutiert werden: Der Entwurf des Handelsausschusses kann im Plenum des EU-Parlaments auch noch geändert werden. Lange hofft, mit einem Antrag doch noch einen expliziten Ausschluss von privaten Schiedsgerichten durchzubekommen – was öffentliche Schiedsgerichte aber nicht ausschließt.
Weiterführende Informationen
Konzeptpapier der EU-Kommission zu Schiedsgerichten [280 KB]
Bundeswirtschaftsministerium zum Vorschlag Investitionsschutzgericht [54 KB]
Vattenfall-Forderung Schadenersatz Atomausstieg
Angenommene Änderungen Antrag Handelsausschuss [pdf, 360 KB]
Powershift-Papier, Gegenposition zu Malmström/Gabriel