Die Umsetzung der Globalen Nachhaltigkeitsziele wird zur Chefsache. Laut einer Studie sehen 87 Prozent der Befragten in den Sustainable Development Goals – kurz SDGs – enorme Chancen ihre Auffassung von Nachhaltigkeit neu zu definieren. Fast jeder zweite Firmenchef hält die Unternehmen sogar für die wichtigsten Akteure, damit aus den Zielen auch konkrete Maßnahmen und Lösungen werden. Die Daten wurden von dem Beratungsunternehmen Accenture Strategy und dem UN Global Compact erhoben. 1.000 Firmenchefs in über 100 Staaten aus rund 25 Branchen haben die Experten für die Studie mit dem Titel „CEO study 2016 – Agenda 2030: A Window of Opportunity“ befragt. Die CEO-Studie wird alle drei Jahre erstellt.
Erstmals akzeptiert die Führungsebene ein Mandat für radikale Veränderungen in Sachen Nachhaltigkeit, bewerten die Autoren die Ergebnisse. 59 Prozent der Unternehmen nennen für ihren Einsatz konkrete Werte. 2013 konnten dies nur 38 Prozent der Befragten. „Die SDGs sind für Unternehmen ein klarer Leitfaden, wie aus globalen Zielen lokale Geschäftsmodelle werden können“, sagt Lise Kongo, Exekutivdirektorin des Global Compact der Vereinten Nationen.
Damit der Einsatz für mehr Nachhaltigkeit auch Erfolg verspricht, sprechen sich die befragten Vorstände für eine stärkere Zusammenarbeit über die Branchen hinweg aus, sowie für mehr Kooperationen zwischen Regierung und Zivilgesellschaft. Sie zielen auf lokale Initiativen ab und setzen auf Innovationen mit digitalen Technologien.
Gewinnerthema für die Wirtschaft?
Nachhaltigkeit sollte Teil der strategischen Unternehmensplanung sein. Darauf weisen etliche Chefs in der Studie hin. Darunter ist auch Kurt Bock, Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns BASF SE. Allerdings müssten die Unternehmen klar zeigen, wie sie ihre Absichten verwirklichen, sagt er. „Sonst werden die Menschen zynisch und halten den Konzernen vor, nichts weiter außer Lippenbekenntnissen abzuliefern.“ Das Chemieunternehmen entwickelt ressourcenschonende Verfahren und setzt auf Transparenz bei der Kommunikation mit Kunden, Lieferanten und Logistikanbietern.
Noch deutlicher wird Paul Polman, Vorstandsvorsitzender des Nahrungsmittel- und Verbrauchsgüterkonzerns Unilever. „Wir müssen jetzt handeln“, sagt er. „Der Fokus hat sich verändert. Jetzt geht es darum, zu liefern und echte Wirkung zu zeigen.“ Er hat bereits angekündigt, Kleinbauern in Entwicklungsländern gezielt zu fördern, Frauen in armen Staaten zu unterstützen und gegen Billiglöhne in Asien vorzugehen. Gleichzeitig setzt sein Konzern nach wie vor auf das umstrittene Palmöl. Allerdings will der Konzern weltweit den Umbau des Palmölmarktes vorantreiben und bis 2020 den Rohstoff nur aus nachhaltig zertifizierten Quellen beziehen.
Die Ergebnisse der Studie sind für Yvonne Zwick, wissenschaftliche Referentin in der Geschäftsstelle des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE), ein gutes Zeichen. „Das Thema wird nicht totgeschwiegen, sondern in der Wirtschaft weitergedacht“, sagt Zwick. Sie fordert die Unternehmen auf, ihrerseits förderliche Rahmenbedingungen für unternehmerische Initiativen beim Gesetzgeber anzufragen. Politik und Wirtschaft sind in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung aufeinander angewiesen. Je konkreter die Vorgaben sind, etwa beim Klimaschutz oder bei Arbeitsschutzstandards, desto konstruktiver können die Firmen reagieren.
Nachhaltigkeit als Wettbewerbsmerkmal
Was Mensch und Umwelt hilft, soll auch ökonomisch sinnvoll sein. In der Studie geben 89 Prozent der Konzernlenker an, dass sich Engagement für Nachhaltigkeit in ihrer Branche auswirkt. Rund 80 Prozent sind zudem davon überzeugt, dass ihr Einsatz sie auch von der Konkurrenz abhebt. Gute Beispiele gibt es bereits. Doch sie werden nur selten offensiv kommuniziert. So hat etwa der Kosmetikhersteller Merck seine Zulieferer teilweise wieder direkt selbst angestellt. Damit gewinnt das Unternehmen Kontrolle über die einzelnen Produktionsstandorte und kann eigene Standards besser umsetzen. Für Zwick vom RNE ist dieses Modell ein Beispiel dafür, dass die Sorge der Unternehmen, keinen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu haben, unberechtigt ist.
Im vergangenen Jahr wurden die Globalen Nachhaltigkeitsziele von den Vereinten Nationen verabschiedet. Auch in der deutschen Wirtschaft steht das Thema weit oben auf der Agenda. „Unternehmen spielen bei der Adressierung internationaler Nachhaltigkeitsherausforderungen eine wichtige Rolle und leisten bereits heute einen aktiven Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme“, sagt Wolfgang Große Entrup, Vorsitzender des Vorstands von econsense, des Forums Nachhaltige Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Große Entrup spricht sogar von einer Aufbruchstimmung, die die Nachhaltigkeitsziele in den Unternehmen erzeugen können. „Die SDGs bilden als globales System eine gemeinsame Sprache und langfristige Zielagenda“, sagt er.
Konzernchefs maßgeblich für Umsetzung der Ziele
Bei den Globalen Nachhaltigkeitszielen geht es um ein Ende der Armut, um Menschenrechte, um mehr Klimaschutz. Je nach Branche, Unternehmensgröße oder Produktionsstandort setzen die Firmen ihre eigenen Schwerpunkte. „Insbesondere international können Aktivitäten von Unternehmen zur regionalen, wirtschaftlichen und politischen Stabilität, zum Ausbau der Infrastruktur und zur Stärkung des lokalen Arbeitsmarktes in erheblichem Maße beitragen“, sagt Große Entrup.
Ob ein Thema ganz oben auf die Agenda kommt, hängt oft vom Interesse und Verständnis der Entscheider im Topmanagement ab. Sie verleihen Themen wie besseren Arbeitsbedingungen und umweltfreundlicher Produktionsweisen das nötige Gewicht in ihrem Konzern und wecken Begeisterung bei der eigenen Belegschaft, die Maßnahmen umzusetzen. Wie sehr sich die Geschäftsleitung zur Einhaltung der Ziele verpflichtet, ist dabei besonders wichtig.
Die Studie zeigt, dass die Globalen Nachhaltigkeitsziele für die Führungsetagen kein Fremdwort mehr sind. Wie sie umgesetzt werden, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Bei bloßen Versprechen und Absichtserklärungen darf es allerdings nicht bleiben. Auch darin sind sich die Teilnehmer der Studie einig.