Der letzte Dorfladen wurde geschlossen. Die Sparkasse ist nur noch mit einem Automaten vor Ort. Es macht sich der Eindruck breit, es gibt von allem weniger, außer guter Luft. Was passiert dann, wo bleibt das soziale Leben, wo Orte, an denen man sich trifft nach dem Motto „Du schon wieder?“.
Ljubica Nikolic, Wissenschaftlerin an der Universität Göttingen stellt diese Frage an den Anfang des Themenforums „Höfesterben: Schrecken oder Teil der Transformation? Deutschlands Agrarstruktur 2030“. Es war eins von fünf Foren auf der 20. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) am 8. Juni 2021. Sie alle haben Ideen erarbeitet, was eine nächste Bundesregierung angehen sollte. Nikolics These: Dort wo es schrumpft, können neue, innovativere Ort entstehen – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Die ländlich geprägten Gebiete in Deutschland – sie machen 90 Prozent der Fläche Deutschlands aus – unterliegen einem enormen Wandel. Das Hofsterben und die Zunahme großer, industrieller Landwirtschaft, nicht nur in Deutschland, schreite voran. Seit 1990 hätten in Westeuropa zwei Millionen Betriebe aufgegeben, erklärt Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, DLG, und RNE-Mitglied. Die Agrarstruktur habe sich schleichend verändert, technischer Fortschritt sowie ökonomische Zwänge seien zentrale Antriebsfedern eines ganzen Systems geworden.
„Dableibevorsorge“ auf dem Land
Der wirtschaftliche, aber auch der demografische Wandel, eine bröckelnde öffentliche Infrastruktur, das schnelle Internet noch fern: Die Menschen auf dem Land, weit ab von den Zentren, stehen vor besonderen Herausforderungen. Eine gute Infrastruktur sei da mehr als nur Daseinsvorsorge, sie sei „Dableibevorsorge“. So sagte das unlängst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Forscherin Nikolic untersucht nun im Projekt „Das Soziale-Orte-Konzept. Neue Infrastrukturen für gesellschaftlichen Zusammenhalt“, welche innovativen Lösungsstrategien es für die „Dableibevorsorge“, die ländliche Entwicklung gibt. Gefördert wird das Vorhaben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Nikolic und ihre Forschungskolleg*innen waren dafür im hessischen Waldeck-Frankenberg und in Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen unterwegs. Sie trafen zum Beispiel im hessischen Dorf Strothe auf Leute, die den Falkenhof gegründet haben und als solidarische Landwirtschaft betreiben, im thüringischen Bechstedt auf einen Landwirt, der den KulturNaturHof mit Hofmosterei und Kulturscheune ins Leben gerufen hat.
Allerdings entwickelten sich solche sozialen Orte nicht gegen oder ganz ohne öffentliche Strukturen, sondern nur mit ihnen, so die Forscherin. Entscheidend sei zudem eine offene Verwaltung und die Möglichkeit einen Prozess in Gang setzen zu können, statt sich immer von einem befristeten Projekt zum nächsten hangeln zu müssen. Was also ist durch den Staat zu leisten? Welche Höfe braucht es, nur die kleinen oder auch die großen?
Zahl der Höfe stabilisieren
„Wünschenswert ist eine stabile bis steigende Anzahl der Höfe“ – so steht es im Zukunftsbild, das der Bund der Deutschen Landjugend und die Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz vor kurzem gemeinsam entworfen haben.
Das bekräftigten im Themenforum die beiden Vorständinnen auch noch einmal. Für den Umweltverband ist das Myriam Rapior, für den Landwirtschaftsverband Kathrin Muus. Sie beide sitzen, ebenso wie die beiden Ratsmitglieder Paetow und Krüger, auch in der von der Bundesregierung berufenen Zukunftskommission Landwirtschaft.
So erklärt Muus auf die Frage hin, ob man überhaupt noch Landwirtschaft auf einem kleinen Betrieb betreiben wolle oder ob es immer eine Perspektive brauche, dass der Hof wachsen kann: „Ein kleiner Betrieb mit hoher Wertschöpfung kann genauso gut sein wie ein großer. Die Attraktivität ist wichtig.“ Aber: Alle Betriebe bräuchten Planungssicherheit.
Rapior ergänzt: „Wenn wir weiter zwei bis drei Prozent der Betriebe pro Jahr verlieren, dann ist das erschreckend. Ich möchte das nicht. Alle Betriebe sollen ihren Platz finden, alle müssen aber ökologisch nachhaltig wirtschaften.“ Darum müssten die EU-Agrargelder anders verteilt werden, öffentliche Mittel solle es nur noch für öffentliche Leistungen geben. Der RNE äußerte sich zu dem Thema auch kürzlich in einer Stellungnahme zur Weiterentwicklung der GAP.
Dialog mit Kunden
Auch Bernhard Forstner, der sich am Johann Heinrich von Thünen-Institut mit Strukturförderung beschäftigt, plädiert dafür, einen möglichst großen Anteil der Direktzahlungen aus der sogenannten ersten Säule der Agrarförderung in die zweite Säule fließen zu lassen, mit der möglichst umwelt- und tierfreundliche Produktion unterstützt wird.
Berühmt ist das uckermärkische Ökodorf Brodowin, das die Hauptstädter und das Berliner Umland mit Biolebensmitteln versorgt. Geschäftsführer Ludolf von Maltzan beschreibt ihr Erfolgsrezept so: „Wir wollen das, was unsere Kunden wollen“ – regionale Produktion, kurze Transportwege, keine Lebensmittelabfälle, Naturschutz. Von Maltzan weiter: „Wir stehen im Dialog mit Kunden. Das macht Spaß, auch Arbeit, aber er gibt uns Landwirten ein Gesicht.“ Jede Bildungseinrichtung für Landwirte solle Naturschutz zum Pflichtfach erklären, fordert er – und jede für Naturschützer die Landwirtschaft.
Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) und RNE-Mitglied, resümiert es am Ende so: „Wir wollen möglichst viele Betriebe in einer guten wirtschaftlichen Situation auf einen ökologisch sozialen Weg bringen.“ Das Landleben würde vielfältiger werden, die Zahl der Orte, wo man sagt: „Du auch hier?“ wieder größer.