Karlsruhe – die Stadt ist bekannt für das Bundesverfassungsgericht, den Bundesgerichtshof, auch für seinen Schlossgarten. Aber die mit 300.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Baden-Württembergs hat mehr zu bieten: Erfahrung, wie Lebensqualität steigen, die Gesellschaft nachhaltiger werden kann. Das zeigte sich im Forum 4 über_Nachhaltigkeit bei der Jahreskonferenz des Rates für nachhaltige Entwicklung, in dem es vor allem um eine Frage ging: Wer macht was, damit Nachhaltigkeitspolitik vor Ort wirkt.
Der Grundgedanke: Jede Generation muss ihre Aufgabe lösen, sie kann sie nicht der nächsten aufbürden. Um dies einzufordern, erläutert Jasmin Burgermeister, eine der beiden deutschen UN-Jugenddelegierten für Nachhaltige Entwicklung ihre Aktivitäten: „Wir schaffen eine junge wachsame Öffentlichkeit.“
Zeit zu handeln – zumal Deutschland im Sinne der Nachhaltigkeit „Entwicklungsland“ sei, sagte Alexander Müller. Er ist Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung und leitet derzeit das Projekt des UN-Umweltprogramms The Economics of Ecosystems and Biodiversity Agriculture and Food (TEEB AgFood). Die Aufgabe ist groß, aber machbar.
Viele Städte seien schon weiter als sie dächten, sagte Klaus Stapf, der grüne Bürgermeister von Karlsruhe. Sein Rat: „Sich besinnen, gucken, was man schon hat“ – und darauf aufbauen. So habe Karlsruhe schon lange ein internationales Begegnungszentrum und fördere Partnerschaftsprojekte mit ärmeren Ländern. Zum sozialen sei in den letzten Jahren dann noch das Ökologische hinzugekommen. Beispiele:
Wöchentlicher Kampf bis 2050
Karlsruhe will bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Die Stadt hat Einwohner, die schwer am Arbeitsmarkt zu vermitteln sind, als Energiesparhelfer ausgebildet. Diese beraten Haushalte. Deren Kosten für Energie lassen sich pro Jahr um bis zu 100 Euro senken. Stapf hat einen Umweltwettbewerb für Schulen ins Leben gerufen. Er hat mit der Wirtschaft Arbeitskreise zur Energieeffizienz und zur Durchgrünung von Gewerbeflächen gebildet. Auch weist Karlsruhe wieder mehr Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiete aus.
Es entstehe aber nichts, wenn man sich nicht dafür einsetze, mit den Bürgern zusammen arbeite und sie davon überzeuge, dass die „Zukunftsgesellschaft Chancen hat“, meint Stapf. Er freut sich über einen Schritt – und macht dann den nächsten. Er sagt: „Das ist alles kein Selbstläufer, sondern eher ein wöchentlicher Kampf“.
Muss ein Politiker diesen Kampf aufnehmen? „In unserem politischen System mit dem Schielen auf Legislaturen ist das nicht einfach“, sagt Marc-Oliver Pahl. Als Referatsleiter für Nachhaltige Entwicklung im nordrhein-westfälischen Umweltministerium koordiniert er die Strategie des Landes. Nachhaltigkeit macht sich oft erst langfristig bemerkbar, doch wer wieder gewählt werden will, brauche schnellere Erfolge.
Daher würden manche Länder mit einem „Ombudsmann“ arbeiten, der „jenseits des politischen Systems das Ziel im Blick hält“. NRW wird in den nächsten Tagen seine Nachhaltigkeitsstrategie verabschieden. Pfahl erläutert hierzu die Vorgehensweise.
"Es muss eigene Motivation geben"
Er hat den NRW-Ministerinnen und Ministern nicht einfach gesagt: „Hier kommt was von oben, wir müssen die globalen Nachhaltigkeitsziele, die Agenda 2030, umsetzen.“ Er hat sie lieber erst gefragt, was sie für ihr Ministerium jeweils für Zukunftsthemen sehen. Die hat er dann der Agenda 2030 zugeordnet. Es funktionierte. Pfahl meint: „Auf jeder Ebene muss es eine eigene Motivation geben.“
Und es braucht „politischen Mut“, sagt Karl Falkenberg, Sonderberater der Europäischen Kommission für Nachhaltigkeit. Neuestes Beispiel für ihn: die slowenische Hauptstadt Ljubljana. Sie ist 2016 die grüne Hauptstadt Europas. Die Altstadt ist autofrei, Parks, Grünflächen, Spielplätze sind geschaffen. Der Bürgermeister habe sich gegen, so Falkenberg, „erhebliche Widerstände“ durchgesetzt. Aber: Er sei trotzdem nach vier Jahren wiedergewählt worden. Denn die Lebensqualität sei gestiegen, die Wirtschaftskraft auch, Gastronomie und Kultur hätten sich angesiedelt.
Heißt das, dass die ökologisch-soziale Transformation im Rahmen der jetzigen Marktmechanismen zu schaffen ist? „Wir werden nicht darum herumkommen, zu fragen, welches Finanzsystem wir uns vorstellen oder wie wir Nahrungsmittel produzieren wollen“, sagt Falkenberg. Die Wirtschafts-, und Lebensweise werde sich ändern. Müller sagt es so: „Wir befinden uns in einem globalen Lernprozess. Soll doch keiner glauben, dass wir schon wissen, wie die Welt von morgen aussieht.“