Im Januar 1989 zeigte ein Cover des Time Magazine eine in Plastik gepackte Erdkugel. “What on earth are we doing?”, fragte ein Autor des Magazins und fuhr fort: “Was jene tun, die jetzt leben, wird über die Zukunft entscheiden und vielleicht sogar über das Überleben der Gattung Mensch.”
Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler nutzte dieses Zitate als Einstieg seiner Grundsatzrede auf dem Future Sustainability Congress in Hamburg und gab damit den Takt der Veranstaltung vor: Aufbrechen, handeln, mit inhaltlicher Dringlichkeit, einem klaren Zeitplan und mit Hoffnung, die existentiellen globalen Krise lösen zu können. “Eine Transformation wird kommen, so oder so. Als politischer Aufbruch oder als politisches Debakel”, sagte Köhler. “Die Freiheit, Treibhausgase zu emittieren, die wir uns mit unserem Lebensstil in der Vergangenheit genommen haben, sie beschränkt schon heute die Freiheit und das Leben anderer.” Mutlosigkeit könne die Demokratie beschädigen. Der CDU-Politiker kritisierte das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung als “bei weitem nicht ausreichend”.
Köhler sah die Agenda 2030 der Vereinten Nationen als einen strategischen Rahmen für die Weltpolitik, eine globale Wertebasis. Er forderte Milliardeninvestitionen in die Transformation, eine Änderung der europäischen Handelspolitik, ein Nachdenken über die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre und eine neue Erzählung des Mutes – der große Wandel müsse als eine Geschichte des Gewinns erzählt werden. “Es ist möglich, weiter gut zu leben auf unserem Planeten, wenn wir den Wandel nicht verschlafen”, so Köhler.
Wie dieser Wandel geht, das war Thema des Kongresses, den RENN.nord (Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien) mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) Hamburg und dem Tagesspiegel als Partner organisiert hat, finanziert mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
„Man kann nicht sagen, dass Deutschland ein nachhaltiges Land ist. Aber es ist ein Land, das nachhaltig sein möchte“ sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse zum Auftakt, der auch Geschäftsführer der SDW Hamburg ist. “Alle, die hier versammelt sind, sie könnten diese Agenda wirklich voranbringen”, sagte Paula Caballero, die heute Managerin des ‚Lands for Life Program‘ der NGO Rare ist und die Idee zu den Sustainable Deelopment Goals der Vereinten Nationen hatte. Deren Umsetzung war zentrales Thema des Kongresses, debattiert in verschiedenen Panels.
Plastik und Umwelt
Wie lassen sich die globalen Umweltprobleme in den Griff bekommen? Christof Trowitz’ Beitrag dazu ist eine wiederverwendbare Verpackung für den Online-Versandhandel, die er auf einem von RNE-Generalsekretär Günther Bachmann moderierten Panel vorstellte. Als Business Developer der Firma RePack versucht Trowitz , mit einem neuen Geschäftsmodell den wachsenden Müllberg aus Pappkartons zu verkleinern: Er sieht umweltgerechte Verpackungen als geschäftsfähige Dienstleistung. Seine Verpackungen lassen sich einfach per Post wieder zum Online-Händel zurückschicken, der sie bis zu 20-mal einsetzen kann. Mit Zalando und der Otto Group macht die Firma gerade Pilotprojekte. Allerdings, sagte Trowitz auf dem Kongress, müssten solche Ansätze dringend skaliert werden. “Wir müssen in Systemen denken: Es braucht neben den Verpackungen auch eine Rückführlogistik”, sagte er.
Der Gedanke, dass es neue Systeme und veränderte Denkmuster braucht, zog sich durch den ganzen Kongress. Michael Braungart, Professor an der Leuphana Universität Lüneburg, übertrug den Ansatz auf das Recycling: „Wenn ich etwas, das nicht für das Recycling gemacht ist, recycle, dann mache ich was falsch”, sagte er. Und forderte, dass es extra für Wiederverwertbarkeit entwickeltes Plastik geben müsse. Es sei falsch, den Stoff zu verteufeln. Stattdessen sollten junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Branche drängen und Alternativen entwickeln.
Die kompakte Stadt
Auch in der Diskussion um Konzepte für nachhaltige Städte war der Leitgedanke, dass es sich um komplexe Systeme handelt, die geändert werden können. Städte werden definiert durch Steuergesetze, Bauvorschriften, Verkehrsgesetze und vieles mehr. “Das alles hat der Mensch gemacht, er kann es auch so steuern, dass die Stadt den globalen Nachhaltigkeitszielen entspricht”, sagte Bernhard Ensink, vom Mobilitätsanbieter Mobycon.
Für Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, ist eine Stadt nur nachhaltig, “wenn sie ihre ökonomische Wettbewerbsfähigkeit mit einer hohen Lebensqualität und sozialer Stabilität dauerhaft und ökologisch verträglich gewährleistet”. Wie das geht, das zeige die 2007 verabschiedete Leipzig-Charta: Die EU-Staaten fordern darin kompakteren Städtebau, Orte, in denen Wohnen und Arbeiten beisammen liegen, was Verkehr vermeidet. Die autofreie Stadt sei deshalb keine Lösung, weil man sonst keine Nutzungsmischung schaffe, so Messari-Becker. „Ich warne vor solchen Slogans”, sagte sie. Kürzere Wege, statt eine Stunde vom Land zur Arbeit zu pendeln, das würde viel sparen, sagte auch Jörg Müller-Lietzkow, Präsident der HafenCity Universität Hamburg. Dazu müsse Wohnraum in der Stadt auch bezahlbar sein. Ensink warnte vor falschen Pfaden im Bereich der Mobilität: Unerlässlich sei ein gutes System aus Nahverkehr, Fußwegen und Rad. “Das autonome Auto, das in der Stadt rumfahren soll: Das ist die völlig falsche Richtung”, sagte er.
Engagement als Teil der Bildung
Neue Systeme brauchen völlig neues Denken, doch woher kommt das? “Bildung ist ganz zentral für die Transformation”, sagte Heike Walk, Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Sie verbindet den Gedanken mit dem der Teilhabe und des zivilgesellschaftlichen Engagements – doch das finde zum großen Teil nicht im Bildungssystem statt, sagte sie. Stattdessen seien vor allem Privilegierte engagiert, die gut verdienten. “Wir erreichen einen Großteil der Bevölkerung mit unseren Bildungsinstitutionen nicht”, so Walk. Insgesamt seien Hochschulen sehr stark nach dem Leistungsprinzip organisiert. “Die Förderung von kritischem und solidarischem Denken geht verloren”, warnte sie.
An einigen Stellen ändert sich das: An Walks Universität ist zivilgesellschaftliches Engagement ins Studium eingeflochten. Es gibt Hilfe beim Gründen von Genossenschaften oder Vereinen. Hamburg hat den Hamburger Nachweis eingeführt, ein Dokument der Stadt, das ausweist, wenn sich jemand ehrenamtlich oder zivilgesellschaftlich einbringt. Es wird dem Schulzeugnis beigelegt. “Wir ringen darum, wie man das auch in der Hochschulbildung goutieren kann”, sagte Melanie Leonhard (SPD), Senatorin für Arbeit, Soziales, Familie und Integration in Hamburg. Schließlich könne Engagement auch Teil von Exzellenz sein – und Engagement vielleicht sogar als Studienleistung anerkannt werden.
Geld und Konsum sind Teil der Lösung
Friedrich Büse war früher Metzger, dann gründete er die amidori Food Company und stellt seitdem nur noch vegetarische Burger oder Bällchen her. Seine Beobachtung ist, dass es unterschiedliche Menschentypen gibt, wenn es darum geht, Konsumgewohnheiten umzustellen und etwa auf Fleisch zu verzichten. “Manche brauchen noch den Biss und den Geschmack von Fleisch”, sagte er. Andere wollten genau das nicht: Sie hätten aufgehört, Fleisch zu essen und wollten auf keinen Fall mehr daran erinnert werden.
Büse war nur ein Beispiel zahlreicher Unternehmerinnen und Unternehmer, die Geschäftsmodelle für Firmen aus dem Bereich des nachhaltigen Konsums vorstellten. Eine Erkenntnis des Kongresses: „Geld macht einen Unterschied“, wie gleich mehrere Diskutierende ausführten. „Viele Leute haben sich in anderen Bereichen ihres Lebens wie Mobilität, Energie oder Essen bewusst für eine Alternative entschieden. Genau das geht mit Geld auch“, sagte Jakob Berndt, Mitgründer der Bank „tomorrow“. Dem pflichtete auch Dirk Grah bei, Regionalleiter Hamburg der GLS Gemeinschaftsbank: „Geld ist ein Wahnsinnshebel“, sagte er.
Den Grundtenor des Kongresses insgesamt fasste der Buchautor, Fotograf und Dokumentarfilmer York Hovest zusammen: „Wir haben hunderte und tausende von Helden da draußen, die haben es verdient, groß zu werden.“